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Mit dem Fußball Frieden geschlossen

Ex-Fußball-Profi Frank Lippmann ging vor 32 Jahren gen Westen. Im Talk mit Gert Zimmermann erzählt er aber nicht nur davon.

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© Thomas Riemer

Von Thomas Riemer

Schönfeld. Die Bundesliga war mein Traum. Den habe ich mir erfüllt.“ Frank Lippmann lehnt sich kurz in den Sessel zurück. Wieder einmal hat der heute knapp 57-Jährige seine „Geschichte“ erzählen müssen, die er eigentlich zum 30. Jahrestag seiner spektakulären Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik abgehakt hat. Doch das Publikum im Festsaal des Schönfelder Schlosses will sie noch einmal aus erster Hand hören. Beim Fußballtalk mit Reporter-Legende Gert Zimmermann. Der hat noch eine Woche vor Lippmanns Flucht in der Nacht vom 19. auf den 20. März 1986 mit dem damaligen Linksaußen von Dynamo im Hotel „Königstein“ gespeist. Lippmann gesteht: „Da hatte ich noch keinen Fluchtplan. Die Entscheidung ist vor Ort gefallen, niemand hat davon gewusst.“

Vor Ort: Das war in Uerdingen nach Dynamos „Schmach auf der Grotenburg-Kampfbahn“. Die Dresdner hatten im Europapokal das Hinspiel mit 2:0 gewonnen. Unter anderen durch ein Lippmann-Tor stand es im Rückspiel zur Halbzeit 3:1 für Elbflorenz. Danach „hat die ganze Mannschaft versagt“, so Lippmann nach der 3:7-Pleite. „Das ist sportlich nicht zu erklären.“ Dass er wenige Stunden später ins Auto seines Fluchthelfers stieg, habe mit dem Spiel aber nichts zu tun gehabt. „Es war meine letzte Chance, Bundesliga zu spielen.“

Lippmann ließ seine damalige Verlobte und heutige Frau sowie die drei Monate alte Tochter in der DDR, sie folgten ihm im Sommer 1989 über Ungarn in den Westen. „Das war brutal“, blickt „Lippe“ zurück. Selbst der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß, dem ja gute Kontakte zur DDR-Führung nachgesagt wurden, konnte nicht helfen.

Der Vollblutstürmer landete in Nürnberg. Aber: Spielen durfte er dort zunächst nicht, weil er laut Uefa-Bestimmung ein Jahr für den Fußball gesperrt wurde. Dann der erste Tiefschlag: Kreuzbandriss. „Danach bin ich nie wieder richtig auf die Beine gekommen“, sagt Lippmann. Von Nürnberg wechselte er zum damaligen Erstligisten Waldhof Mannheim – und hatte erneut Pech. Weil die Mannschaft zu einem Trainingslager nach Jugoslawien fuhr, reiste er vorsichtshalber nicht mit – denn das Land gehörte dem Ostblock an. Beim Training mit den Mannheimer Amateuren in Deutschland verletzte er sich erneut schwer. Nach Zwischenstationen bei Vorwärts Steyr und in Linz in Österreich spielte Lippmann beim schweizerischen FC Zug vor. „Ich hatte keine Krankenversicherung. An einem Montag habe ich deshalb mit Winterthur einen Vertrag unterzeichnet“, erinnert sich der Altstar. „Am nächsten Tag habe ich mir im Training die Knochen gebrochen.“ Seine Hochzeit in der Schweiz geriet kurz in Gefahr, aber: „Ich bin vom Krankenbett mit Gehgips zum Altar gehumpelt.“

So mancher der rund 60 Fußball-Fans in Schönfeld hält den Atem an. Es sind vor allem die Älteren, die „Lippe“ noch für Dynamo stürmen sahen. Aber beispielsweise auch Hans-Peter Müller aus Großenhain. Er war Lippmanns Lehrmeister im damaligen BMK. „Ja, ich hab dort Heizungsmonteur gelernt. Warum, das weiß ich bis heute nicht“, lacht der gebürtige Dresdner. „Ich war sicher keine Bereicherung für die Firma.“ Über den sogenannten „zweiten Weg“ kam er 1979 zu Dynamo Dresden, durchlebte unter anderem das Trainergespann Gerhard Prautzsch/Eduard Geyer. Lippmann grinst vielsagend: „Schlimmer geht‘s nicht. Aber man wurde geprägt.“ Der Heißsporn spielte sich nach und nach in die Stammformation, schoss wichtige Tore, gehörte zur Mannschaft, die 1984 und 85 den ungeliebten BFC Dynamo im Pokalfinale besiegte. Auch Gert Zimmermann erinnert sich daran: „Die Berliner haben richtig gekotzt.“ Selbst BFC-Edelfan und Stasi-Chef Mielke „brachte beim Empfang kein Wort heraus“, ergänzt „Lippe“.

Im Februar 1990 nach dem Mauerfall kehrte er nach Dresden zurück, schloss sich dem DSC an. Bei einem Testspiel – übrigens wieder gegen den BFC Dynamo – brach er sich im Steyer-Stadion Knöchel, Schien- und Wadenbein. „Da wusste ich: Das ist das Ende.“ Das war 1993. Frank Lippmann beschloss, Trainer zu werden. Bis 1999 beim DSC, dann acht Jahre bei Dynamo Dresden insbesondere im Nachwuchsbereich. „Was dort ablief, war Chaos pur“. Es war die Zeit nach der Ära von Präsident Rolf-Jürgen Otto.

Nach seiner überraschenden Beurlaubung 2008 bei Dynamo ging es letztlich zum Bischofswerdaer FV. Fast zehn Jahre war Lippmann dort Trainer und ist bis heute Sponsorenbeauftragter des Vereins. Sein aktuelles Team ist der Königswarthaer SV, Kreisoberliga Westlausitz. „Also mit 57 den Frieden mit dem Fußball gefunden?“ will Gert Zimmermann wissen. Frank Lippmann lächelt. „Man wird mit dem Alter gelassener“, sagt er. Und schmunzelt.

Der nächste Schönfelder Fußballabend findet am 19. April statt. Gert Zimmermann und Bürgermeister Hans-Jürgen Weigel begrüßen dann den DDR-Rekordnationalspieler Joachim Streich.