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Mit dem Dolch ins Meißner Amtsgericht

Ein Besucher nötigt mit der Waffe in der Hand eine Rechtspflegerin. Der Vorfall hätte verhindert werden können.

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Von Jürgen Müller

Diese Bluttat am 1. Juli 2009 ging um die Welt. Im Landgericht Dresden wurde die 31-jährige Ägypterin Marwa El-Sherbini, die als Zeugin aussagte, von einem Angeklagten im Gerichtssaal vor den Augen von Gericht und Staatsanwaltschaft mit 18 Messerstichen ermordet. Dem Täter war es zuvor problemlos gelungen, eine Waffe ins Landgericht zu schmuggeln. Kontrollen gab es keine. Das änderte sich schlagartig von einem Tag auf den anderen. Seitdem werden am Landgericht alle Besucher akribisch kontrolliert. In den Amtsgerichten, auch in Meißen, sah man das anders. Kontrollen gab es hier nur sporadisch und meist nur aus gegebenem Anlass. Und so kann am 28. Juni vorigen Jahres, also fast vier Jahre nach dem Mord im Landgericht, ein Dresdner mit einem 29 Zentimeter langen Dolch das Meißner Amtsgericht betreten. Er ist dort, um eine Erbangelegenheit zu klären. Als ihm die Rechtspflegerin erklärt, dass noch die Daten zweier bisher unbekannter Neffen zu ermitteln sind, rastet er aus. Er holt den Dolch hervor, fuchtelt mit diesem herum. Sie solle ihre Arbeit gefälligst ordentlich machen, sonst komme er wieder und würde die Räume entsprechend seiner Vorstellungen „vorrichten“, droht er. Dann flüchtet er durch den Hinterausgang und fährt mit seinem Auto davon, obwohl er keine Fahrerlaubnis besitzt. Noch am gleichen Tag wird der Täter in Dresden festgenommen.

Die damals 43-jährige Mitarbeiterin des Gerichtes wird zwar nicht körperlich verletzt, aber psychisch. Sie erleidet einen Schock, muss sich in ärztliche Behandlung begeben und ist einige Zeit arbeitsunfähig. Gestern saß der Täter nun vor dem Gericht, in dem sich die Tat abgespielt hatte. „Ich hatte nicht die Absicht, das Gericht mit einer Waffe zu betreten und die Frau in Bedrängnis zu bringen“, sagt der Mann, der acht Jahre zur Schule ging, aber nur sechs Klassen schaffte, zu DDR-Zeiten im Jugendwerkhof war, bisher schon 22-mal vor Gericht stand und auch mehrfach im Gefängnis saß. Nein, das Messer habe er einem Alkoholiker aus Mitleid für fünf Euro abgekauft. Der habe ihn vor dem Gericht angebettelt, aber für die fünf Euro wollte er einen Gegenwert haben. Er erhielt angeblich den Dolch mit verziertem Griff und einer 15 Zentimeter langen Klinge. Als er dann im Zimmer der Rechtspflegerin saß, habe das Messer gedrückt, deshalb habe er es herausgeholt. Als die Frau fragte, was das soll, habe er geantwortet, das sei doch nur sein „Zahnstocher“.

Mit der „Wumme“ im Gesicht

Generell fühlt sich der Mann von Behörden missverstanden und ungerecht behandelt. So sei ihm 2003 nach einem Schlaganfall die Fahrerlaubnis entzogen und bis heute nicht wieder erteilt worden, obwohl er keine Straftaten begangen habe. Das stimmt so nicht. Tatsächlich wurde er schon mehrfach wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Als 1999 eine Sperre auslief, beantragte er keine neue Fahrerlaubnis. Dazu hätte er eine MPU machen müssen. Doch dafür hatte er kein Geld.

Besonders dreist: Nachdem er am Tattag in Dresden von der Polizei ohne Fahrerlaubnis festgenommen wurde, nach seinen Worten „wie im Zweiten Weltkrieg und mit einer Wumme im Gesicht“, setzte er sich am nächsten Tag wieder ans Steuer seines Fiat. Den will er inzwischen verkauft haben. An wen, will er nicht sagen. Kann er auch nicht, denn es ist gelogen. Das Auto wurde am 10. Juli dieses Jahres von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt.

Für den Staatsanwalt sind die Vorwürfe erwiesen. Wegen Nötigung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen fordert er eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. Der Verteidiger hingegen sieht keine Nötigung. Die Tat sei nicht geplant gewesen, sein Mandant habe damit auch nichts erreicht. „Hätte sich das Geschehen nicht im Amtsgericht, sondern in einem Asylantenheim zugetragen, wäre dem nicht eine so hohe Bedeutung beigemessen worden. Dort ist das alltäglich“, so der Anwalt. Sein Mandant winselt um Gnade. Er habe eine schwierige Kindheit gehabt, sei von seiner Mutter misshandelt worden. „Ich bitte um Milde“, sagt er.

Er ist gänzlich unbelehrbar

Die bekommt er nicht. Das Gericht verurteilt ihn zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten ohne Bewährung. Die Tatwaffe und das Fahrzeug werden eingezogen. „Sie sind gänzlich unbelehrbar, haben eine geringe Frustrationstoleranz und ein gesteigertes Gerechtigkeitsempfinden. Gleichartige Taten sind von Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten“, so der Richter. Die Behauptung, das Messer habe er erst kurz zuvor von einem Alkoholiker gekauft, könne getrost ins Reich der Fabel verwiesen werden. Was der Richter nicht sagt: Die Tat hätte verhindert werden können, wenn es Eingangskontrollen gegeben hätte. Die gibt es auch in Meißen seit einigen Monaten übrigens ständig.