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Mit dem Auto nach Afrika

Eine Familie aus Freital hilft Kindern in Nigeria – auf eine ungewöhnliche Art.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Carina Brestrich

Freital. Eine halbe Tonne Reis, mehrere Hundert Kilo Kekse und unzählige Stifte – was in ein Auto alles reinpasst, das weiß Anna Eger gut. Die 30-jährige Ärztin aus Freital ist ein Profi, wenn es darum geht, ein Auto so zu bepacken, dass kein Stauraum ungenutzt bleibt. Schon etliche Fahrzeuge haben sie und ihre Familie bis in den letzten Winkel beladen – mit einem Ziel: Kinder am anderen Ende der Welt glücklich machen. Immer wieder kaufen sie Autos, beladen sie und schicken sie nach Nigeria, in die Nähe von Benin-Stadt, im Süden des westafrikanischen Landes.

Die Freude im Dorf ist riesig, wenn wieder eine Lieferung ankommt.
Die Freude im Dorf ist riesig, wenn wieder eine Lieferung ankommt. © Foto: privat
Die Kinder schlafen in einfachen Hütten aus Holz oder Ziegeln.
Die Kinder schlafen in einfachen Hütten aus Holz oder Ziegeln. © Foto: privat
Bevor es verschifft wird, wird jedes Auto bis in den letzten Winkel bepackt.
Bevor es verschifft wird, wird jedes Auto bis in den letzten Winkel bepackt. © Foto: privat

Angefangen hatte alles vor fünf Jahren. Damals lernten Anna Egers Eltern bei einem Besuch in der Nähe von Magdeburg einen nigerianischen Pastor kennen. Schnell waren die Egers, die selbst kirchlich verwurzelt sind, von dem Engagement des Nigerianers beeindruckt. Seit 1991 kümmert sich Pastor James, dessen wahren Namen die Familie aus Sicherheitsgründen nicht nennen will, um verwaiste Kinder. „Viele von ihnen haben ihre Eltern durch Krankheit und Krieg verloren oder lebten im Dschungel, ohne Nahrung, ohne Schule, ohne Perspektive“, sagt Anna Eger.

Nachdem er sie zunächst in angemieteten Wohnungen unterbrachte, erhielt Pastor James 2007 etwa 15 Hektar Land. Auf der Fläche ist inzwischen eine Art Kinderdorf gewachsen. Die Kinder schlafen in Hütten, bekommen Trost, werden so gut es geht mit Essen versorgt und lernen Körperhygiene. Auch eine staatlich anerkannte Schule gibt es auf dem Gelände. „Viele Kinder sind traumatisiert. Bei Pastor James werden sie liebevoll aufgenommen und versorgt“, sagt Anna Eger, die selbst noch nicht vor Ort war, aber über Videotelefonie regelmäßig Kontakt nach Nigeria hat. „Einige seiner Schützlinge sind inzwischen erwachsen und studieren jetzt.“

Terror macht Kinder zu Waisen

Dennoch blicken sie und ihre Familie zunehmend mit Sorge nach Afrika: Die Zahl der Kinder im Dorf ist stark gestiegen. Inzwischen leben dort etwa 2 400 Mädchen und Jungen zwischen vier und 18 Jahren. Der Grund für den Anstieg ist die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, die Gebiete im Norden des Landes kontrolliert. Viele Familien sind auf der Flucht, zahlreiche Kinder verlieren ihre Eltern durch die Gewalt der Miliz, sind am Ende auf sich allein gestellt. Schon viele solcher Kinder haben Pastor James und seine etwa zehn Helfer aufgenommen. Allerdings: „Es wird immer schwerer, eine so große Zahl an Kindern zu betreuen und täglich zu versorgen“, sagt Anna Eger. „Wir sind immer wieder beeindruckt, wie er das schafft.“ Die Tage, an denen es keine einzige Mahlzeit gibt, sind selten. Doch wie lange noch?

Die Großfamilie aus Freital will deshalb helfen. Lange hat sie überlegt, wie diese Hilfe aussehen könnte. Zunächst schickten sie Koffer mit Hilfsgütern wie Decken, Seife und Schiefermäppchen per Flugzeug nach Nigeria. Später überlegten sie, Container in das afrikanische Land zu schicken. Aber das ist teuer und gefährlich: „Es kommt oft vor, dass Container während der Reise geplündert werden oder der Inhalt zerstört wird“, sagt Leonard Karsch, der zur Familie gehört und sich um die Organisation der Hilfsaktionen kümmert. Schließlich kam die Freitaler Familie auf die Idee, Autos nach Nigeria verschiffen zu lassen. Sie liefern quasi die Hülle, um die Hilfsgüter zu transportieren, und helfen vor Ort bei der Logistik, etwa für Behördengänge, Krankenhausbesuche oder Besorgungen. „Der öffentliche Nahverkehr ist in diesem Gebieten schlecht“, erklärt er.

Seit 2011 hat die Familie von ihrem Geld etwa 15 Autos gekauft und gen Süden geschickt. Bevor es auf die Reise geht, werden die Fahrzeuge mit allem beladen, was dringend benötigt wird: Nahrungsmittel, Schulmaterial, Spielzeug und Hygieneartikel. Anschließend holt eine Spedition das Fahrzeug ab und bringt es nach Hamburg, von wo aus es per Schiff etwa anderthalb Monate unterwegs ist. Bisher seien sogar fast alle Hilfsgüter vollständig angekommen. „Wir haben viel im Internet recherchiert, was möglich ist und was nicht“, sagt Leonhard Karsch. So etwa war es zeitweise verboten, Reis oder Fleischkonserven in das Land zu schicken. Zudem dürfen Autos nicht älter als 15 Jahre sein. Die Familie setzt auf gebrauchte Modelle von Ford, die sie in Deutschland für 2 000 bis 5 000 Euro kaufen. „Für diese Marke sind die Ersatzteile in Nigeria leicht zu besorgen“, sagt er.

Weil es auf Dauer zu teuer ist, regelmäßig Autos zu kaufen, haben Anna Eger und ihre Familie einen Verein gegründet, über den sie Spenden sammeln können. „Amo Deum“ heißt er, zu Deutsch „Ich liebe Gott“. „Wir sehen unsere Aktivitäten als Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Anna Eger. Dennoch wissen sie und die anderen, dass ihre Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Doch nicht zu helfen, kommt für sie nicht infrage. Zuletzt hat die Familie im November einen Ford auf die Reise geschickt. Alle freuen sich schon auf den Moment, wenn das Auto im Dorf ankommt und sie per Videotelefonie live dabei sein können. „Es ist sehr berührend, wenn 2 000 Kinder zum Dank ein Lied singen.“

Der Verein Amo Deum hat ein Spendenkonto: IBAN: DE38850503000221078231, BIC: OSDDDE81XXX,

Kontakt per Mail oder per Telefon: 01573 4430455