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Mit Blechschild auf Spurensuche

Der Rotarmist Arsenij Danilow war Kriegsgefangener in Zeithain. Er hat Fleckfieber, die Gestapo und Buchenwald überlebt.

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© Stiftung Sächsische Gedenkstätten/Gedenkstätte Ehr

Von Dörthe Gromes

Zeithain. Es begann bei der Internet-Auktionsplattform Ebay. Dort ersteigerte Alfred Michaelis eine Kriegsgefangenenmarke aus Zeithain. Solche Marken werden dort für etwa 20 bis 30 Euro pro Stück gehandelt. Der Reservist der Bundeswehr beteiligt sich seit Jahren an der Kriegsgräberpflege im Ehrenhain Zeithain. Deshalb schenkte Michaelis die erworbene Marke der Gedenkstätte. Deren Leiter Jens Nagel recherchierte anhand der aufgedruckten Nummer – und wurde prompt fündig. In seinem Archiv fand sich ein Name zur Nummer: Arsenij Iwanowitsch Danilow.

In der historischen Baracke ist die Ausstellung der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain untergebracht.
In der historischen Baracke ist die Ausstellung der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain untergebracht. © Archiv/Sebastian Schultz
Leutnant Arsenij Iwanowitsch Danilow aus Noginsk.
Leutnant Arsenij Iwanowitsch Danilow aus Noginsk. © Archiv/Sebastian Schultz
Die Gefangenenmarke: Das Zinkblech ist stark verwittert, die Daten sind jedoch noch gut lesbar.
Die Gefangenenmarke: Das Zinkblech ist stark verwittert, die Daten sind jedoch noch gut lesbar. © Repro/Sebastian Schultz

Danilow war Leutnant der Roten Armee, geboren 1911 in der Nähe von Moskau. „Bei schätzungsweise 90 000 Gefangenen, die in Zeithain registriert worden sind, war das wirklich ein großer Zufall“, kommentiert Nagel das unverhoffte Geschenk. Der Historiker begann, im Internet und in den Archiven anderer Institutionen nach weiteren Biografie-Puzzleteilen zu suchen. Das ist ein Bestandteil seiner Arbeit: „Insbesondere von Angehörigen ehemaliger Kriegsgefangener kommen Anfragen nach ihren Hinterbliebenen. Für sie erstellen wir dann solche Gefangenen-Biografien, so weit es die Aktenlage zulässt.“ 2015 gab es 159 Anfragen, die meisten aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Danilows Gefangenen-Biografie steht stellvertretend für viele Schicksale – mit einem entscheidenden Unterschied: Der junge Leutnant überlebte die Haft. „Von den insgesamt drei Millionen russischen Kriegsgefangenen überstand gerade mal ein Drittel die Gefangenschaft lebend“, erklärt der Leiter der Gedenkstätte. Allein in Zeithain starben 25 000 bis 30 000 Inhaftierte.

Arsenij Danilow, verheiratet und Vater zweier Kinder, kam im August 1941 in Zeithain an. Dort erhielt er bei der Registrierung die Marke mit der Nummer 14 193. Diese Personennummer tauchte fortan in allen Unterlagen auf, die über ihn geführt wurden. Er musste die Marke stets an einem Band um seinen Hals tragen. Die Gefangenenmarken funktionierten nach demselben Prinzip wie Soldatenmarken: Im Todesfall konnte der untere Teil abgebrochen werden, der obere Teil verblieb an der jeweiligen Leiche. Danilows Marke blieb jedoch intakt.

Sowjetischen Kriegsgefangenen verweigerte das Nazi-Regime die Behandlung nach den Regeln der Genfer Konvention. Sie wurden nur unzureichend ernährt und untergebracht. Auch die medizinische Versorgung war kaum gegeben. Aufgrund der katastrophalen hygienischen Zustände brach im Zeithainer Lager im Winter 1941/42 eine Fleckfieber-Epidemie aus. Sie drohte, auch auf die einheimische Bevölkerung überzugreifen. „Die Situation damals lief komplett aus dem Ruder“, erklärt Jens Nagel. Infolgedessen wurde der Quarantänezustand über das Lager verhängt, man überließ die Kranken quasi sich selbst. Ungefähr 7 000 Menschen schafften es nicht. Doch der junge Leutnant überlebte wie durch ein Wunder.

Wegen eines Leistenbruchs wurde Danilow als eingeschränkt arbeitsfähig eingestuft und kam erst Anfang 1943 ins Lager Mühlberg, von dem Zeithain eine Zweigstelle war. Dort wurde er Teil eines Arbeitskommandos, das für die Leipziger Wellblechfabrik Grohmann & Frosch Zwangsarbeit leistete. Als gelernter Schlosser war Danilow in Kriegszeiten eine begehrte Arbeitskraft. Für ihn war das Glück im Unglück, denn: „Die Überlebenschancen der zum Arbeitsdienst eingeteilten Kriegsgefangenen waren höher als der im Lager Inhaftierten“, so Gedenkstättenleiter Nagel. Nach einem missglückten Fluchtversuch wurde Danilow der ebenfalls in Leipzig ansässigen Pittler-AG zugeteilt, die Werkzeugmaschinen herstellte.

Im Juni 1944 wurden 110 sowjetische Kriegsgefangene, die bei der Pittler-AG Zwangsarbeit leisteten – darunter auch Arsenij Danilow – plötzlich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und der Gestapo Leipzig übergeben. „Angeblich, weil sie arbeitsunwillig waren, zumindest war das die offizielle Begründung“, so Historiker Jens Nagel.

Nach mehrwöchiger Haft kam der Rotarmist Anfang Juli ins KZ Buchenwald. „Über seine Zeit dort wissen wir derzeit nichts. Auch nicht, wie und wann er aus dem Lager kam“, erklärt der Ehrenhain-Leiter. „Dass Danilow überlebt hat, ergaben sowjetische Repatriierungsunterlagen“, fährt er fort. Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft wurden zu Sowjet-Zeiten zunächst durch den Geheimdienst NKWD überprüft. Danilow wurde anscheinend als zuverlässig eingestuft, denn er trat wieder in den Dienst der Roten Armee ein. Danach verliert sich seine Spur.