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Mister Sachsen und die Liebe

Philipp Schneider wurde zum schönsten Mann im Land gewählt. Hier erzählt er, warum er diskriminiert wird.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Wir empfehlen ihnen einen HIV-Test. Wenn Philipp Schneider beim Arzt sitzt, hört er häufig diesen Satz. Der Grund dafür ist seine sexuelle Orientierung, da ist er sich sicher. Der 21-Jährige aus dem Dresdner Osten lebt seine Homosexualität offen aus. Er steckt mitten in seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten. Drittes Lehrjahr, bald ist er fertig. Er erlebt, dass auch unter Kollegen, die es eigentlich besser wissen müssten, Gerüchte und Vorurteile im Umlauf sind. Viele verbinden Homosexualität immer gleich mit HIV und Aids, erzählt er. Das sei völliger Quatsch. Er ist nicht HIV-positiv, einen Test macht er einmal im Monat beim Gesundheitsamt. Doch genau diesen Test muss er häufig auch zusätzlich über sich ergehen lassen. „Das ist diskriminierend“, sagt er.

Im vergangenen November wurde er zum Mister Sachsen gewählt. Seinen Titel und seine Popularität will er nun im Kampf gegen Diskriminierung und für mehr Aufklärung nutzen. Seit Jahren arbeitet der Dresdner eng mit der Aids-Hilfe zusammen, engagiert sich bei Veranstaltungen, redet mit Betroffenen.

Immer wieder wird er auf der Straße angegafft, wenn er offen seine Gefühle auslebt. Auch in der Neustadt passiert ihm das. „Im angeblich so bunten Viertel hätte ich das nicht erwartet“, so Schneider. Schiefe Blicke, dumme Sprüche, das kennt er aus seiner Heimat, einem kleinen Örtchen zwischen Berlin und Wittenberg. Lange hat er mit sich gerungen bis zum Coming-out. Mit 19 Jahren erst sagte er es Eltern und Freunden. „Es wurde viel getratscht in unserem Dorf, das kannte man nicht.“ Der Umzug nach Dresden war für Philipp auch eine kleine Flucht.

Wie groß die Vorurteile, egal ob in der Großstadt oder auf dem Land, immer noch sind, belegt auch der aktuelle Sachsen-Monitor von 2016. Diesen gab die Sächsische Staatskanzlei in Auftrag. 32 Prozent der Befragten sagten, eine Beziehung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern sei „unnatürlich“. In Sachsen ist der Kampf um Anerkennung oft besonders schwer, beobachtet auch Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband. Viele seiner Vereinsmitglieder bauen eine Mauer um sich herum auf, flüchten sich ins Private. Während andere in der Mittagspause von ihrem Wochenende mit dem oder der Liebsten erzählen, schweigen sie. Aus Angst vor blöden Sprüchen oder Ausgrenzung prangt als Bildschirmschoner nicht das Pärchenbild aus dem Urlaub, sondern die Standard-Variante von Windows. Lehrer und Erzieher erzählen ihren Chefs nichts von ihrem Privatleben. Aus Angst um ihren Job. „Schwule sind eine Gefahr für Kinder“, hört Markus Ulrich oft als Vorurteil.

Nicht nur im Beruf, auch in der Freizeit schränken sich viele offen schwul oder lesbisch lebende Menschen ein. „Viele würden gern ein Fitnessstudio oder einen Sportverein besuchen, trauen sich das aber nicht“, so Ulrich. Manchmal mündet die Homophobie nicht nur in verbalen Ausfällen, sondern auch in körperlichen Angriffen. Markus Ulrich sieht in zeitiger Aufklärung einen Weg, Alltagsdiskriminierung zu bekämpfen. Homophobie dürfe gar nicht erst entstehen. Sie sei meist anerzogen von Eltern. Wenn Kinder in einem bunten und toleranten Umfeld aufwachsen, sei das der einfachste Weg. Er fordert, die gleichgeschlechtliche Ehe endlich mit der zwischen Mann und Frau gleichzustellen. „Wenn der Staat alle gleich behandelt, fällt das auch der Bevölkerung leichter. Ein Signal in diese Richtung sei nötig, denn die Anfeindungen nehmen zu. Diesen negativen Trend in der Gesellschaft beobachtet auch Carolin Wiegand vom Dresdner Gerede-Verein. Dieser setzt sich für gleiche Rechte von Homosexuellen und Transgendern ein. „Wir waren da schon mal weiter.“ Parteien wie die AfD vergiften das Klima. Die Menschen in den Beratungen des Vereins berichten von verstärkter Diskriminierung. Auch bei Behörden und Dienstleistern. „Wir erleben Situationen, in denen zwei Frauen zusammen einen Stromanschluss anmelden und sie dort trotz mehrfacher Schreiben nicht als Paar, sondern als WG abgerechnet werden“, so Wiegand.

Die Wahl zum Mister Sachsen ist für Philipp Schneider nur der erste Schritt. Weitere Wettbewerbe stehen an. Über seine Sexualität spricht er auch auf der großen Bühne ganz offen. Verstecken ist nichts für ihn – nicht mehr.