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Mission Bahnhof

Im Hauptbahnhof soll ein Notquartier für Reisende und Obdachlose entstehen. Für die Polizei wäre das eine Entlastung.

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© René Meinig

Von Sandro Rahrisch

Nervös läuft Tonya Kapsarova den Gehweg auf und ab. Der Bus aus Sofia hat die Bulgarin gerade vorm Hauptbahnhof abgesetzt. Die Journalistin will weiter nach Erfurt und blickt ratlos auf die vielen Haltestellenschilder an der Bayrischen Straße. Natalie Gassner und Ralf Rudek sehen schon von Weitem, dass die Frau den Überblick verloren hat. Sie eilen zu ihr und schicken sie zum Flixbus-Schalter. Für die beiden Bundespolizisten ist das Alltag. Im Hauptbahnhof erklären sie Reisenden geduldig, wie sie zum Altmarkt gelangen. Sie tragen älteren Fahrgästen die Koffer hinauf zum Bahnsteig. Und sie rufen den Krankenwagen, wenn bei Passanten der Kreislauf schlappmacht. Alles Aufgaben, die in anderen Städten Bahnhofsmissionen übernehmen. Leipzig und Chemnitz haben eine, Görlitz auch, nur der Dresdner Bahnhof glänzte bislang vor allem mit Geschäften.

Mehr Hilfe für Reisende und Menschen in Not soll es jetzt aber auch an der Elbe geben. Mit gut 48 000 Euro wird sich die Stadt in diesem Jahr am Aufbau einer Bahnhofsmission im Hauptbahnhof beteiligen. Weitere 16 600 Euro bringen Caritas, Diakonie sowie die katholische und evangelische Kirche im Raum Dresden auf. „Insgesamt tut es der Stadt gut“, sagt Sebastian Kieslich, Sprecher der Caritas. Reisende, die Hilfe brauchen, bekommen nicht nur die Koffer getragen oder den Weg gezeigt.

Für die Nacht soll auch ein Quartier entstehen, in dem sich Obdachlose in sicherer Umgebung ausruhen und gestrandete Reisende auf ihren Anschlusszug warten können. „Wir haben in den Nachtstunden zum Teil ein Problem mit Fernbusreisenden, die auf den nächsten Bus oder den Zug warten“, sagt Natalie Gassner. Der Warteraum unter den Gleisen habe aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nur bis 23 Uhr geöffnet. Die Geschäfte und Toiletten mit Ausnahme des Behinderten-WC seien nachts auch geschlossen. Eine Anlaufstelle insbesondere nachts wäre gut.

Auch Hilfe für Obdachlose ist nötig. Wie viele in Dresden leben, kann die Stadtverwaltung nicht sagen. Eine Statistik wird nicht geführt. Doch vor allem im Winter suchen Menschen immer wieder einen einigermaßen warmen Schlafplatz im Hauptbahnhof. „Grundsätzlich schicken wir in dieser Zeit niemanden weg“, so Gassner. „In der Bahnhofshalle ist es geschützt und wärmer als draußen. Allerdings müssen sich alle an die Hausordnung und unsere Weisungen halten. Von uns kriegen sie immer Zettel mit, wo sie Hilfe finden können, zum Beispiel in den Nachtcafés.“

Diese sind jedoch nur im Winter geöffnet. Im Sommer verbringen viele Obdachlose die Nacht woanders. Ein bekannter Treffpunkt ist laut Bundespolizei der Schlesische Platz vorm Neustädter Bahnhof. Aber auch an verschiedenen Orten in der Neustadt oder an den Elbwiesen übernachten Dresdner ohne festen Wohnsitz, wenn es die Temperaturen hergeben. „Andere sind nur auf der Durchreise, kommen etwa aus Polen oder Tschechien, und ziehen nach ein paar Tagen weiter“, so Rudek. Hilfe lässt sich freilich nicht diktieren. Hier sei sozialpädagogische Arbeit gefragt. „Wir als Polizei können nur bis zu einem gewissen Punkt unterstützen und Ratschläge erteilen“, so Rudek. „Den Weg müssen die Betroffenen alleine gehen. Mit einer Bahnhofsmission versprechen wir uns da eine Schnittstelle zwischen polizeilichem und sozialpädagogischem Handeln.“

Die Stadt erhofft sich auch, dass eine Bahnhofsmission positiv auf die Sicherheitslage am Wiener Platz abfärbt. „Ein wenig haben wir jedoch schon die Befürchtung, dass eine Bahnhofsmission auch polizeilich relevante Klientel anziehen könnte“, sagt Natalie Gassner. Drogenabhängige, stark alkoholisierte Personen, Straftäter – darauf seien die Beamten vorbereitet. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir eine Situation erleben, wie es sie in den 90er-Jahren etwa am Berliner Bahnhof Zoo gab“, sagt Ralf Rudek. Bahnhöfe hätten sich in Deutschland sehr zum Positiven gewandelt. Es gebe keine dunklen, schmuddeligen Ecken mehr, in denen man sich verstecken könne. Und potenziellen Straftätern werde man von vornherein zeigen, wer im Bahnhof das Sagen hat, so Gassner.

Insgesamt wünscht sich die Polizei eine Entlastung, wenngleich sie weiterhin ein Anlaufpunkt für Reisende bleiben wird. In welche Ecke die Mission ziehen wird und wann sie eröffnet, ist unklar. „Wir gehen nun in die Verhandlungen mit der Bahn“, sagt Kieslich. Betrieben werden soll die Mission hauptsächlich durch ehrenamtliche Mitarbeiter. „Ein wichtiger Schritt ist mit der Finanzierung getan. Die Stadt zeigt, dass sie hinter dem Projekt steht.“