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Mini-Reichstag soll Jugend auf Patriotismus trimmen

Kein Scherz: In Russland sollen Kinder mit dem Sturm auf einen Nachbau des Berliner Gebäudes spielerisch Militärtrainings absolvieren. Doch es steckt noch mehr dahinter.

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© dpa

Claudia Thaler

Moskau. Es klingt wie ein Kuriosum: Kinder, Schüler und Jugendliche sollen den Reichstag stürmen. Nicht in Berlin, sondern in einer Kleinstadt westlich von Russlands Hauptstadt. Doch was der Verteidigungsminister Sergej Schoigu im Moskauer Parlament ankündigt, ist nicht als Scherz gedacht. „Die jungen Menschen sollen das nicht an abstrakten Schauplätzen lernen, sondern an ganz konkreten Orten“, sagt er unter Applaus und Zurufen vieler Abgeordneter in der russischen Duma. Für einen Freizeitpark will das Ministerium den Berliner Reichstag, der für Russland symbolisch für den Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg steht, in Miniformat nachbauen.

Nicht zufällig wählt Schoigu diesen Zeitpunkt Ende Februar für seine Ankündigung. In der selben Woche feiern Russlands Familien an dem arbeitsfreien Tag die Vaterlandsverteidiger. Der Gedenktag soll die Angehörigen der russischen Armee ehren. Präsident und Oberbefehlshaber Wladimir Putin legt vor der Kremlmauer am Denkmal für gefallene Soldaten vor russischen Medien einen Kranz nieder. Gleichzeitig gilt der Tag in dem patriarchal dominierten Land auch inoffiziell als Tag des Mannes.

Schoigu, den Beobachter nicht als Kriegstreiber einschätzen, greift mit dem Mini-Reichstag tief in die russische und post-sowjetische Erinnerungskultur. Bereits jeder Schüler in Russland kennt das Bild des Rotarmisten Jewgeni Chaldej. Sein weltbekanntes Foto zeigt mehrere Soldaten der Roten Armee, die nach der Schlacht um den Reichstag im Mai 1945 auf dem zerstörten Gebäude ihre Flagge hissen. Der Sturm auf den Reichstag wurde später auch zum Schlüsselmoment des russischen Patriotismus - nun sollen junge Menschen genau dies „nachfühlen“, sagt der Minister. In Berlin selbst hält man sich am Donnerstag mit Einschätzungen zum Mini-Nachbau zurück. Kein Kommentar, heißt es in der Berliner Senatskanzlei ebenso wie bei der Bundestagsverwaltung.

Der Triumph über Hitler-Deutschland wird in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion am 9. Mai, einem der wichtigsten Feiertage des Jahres, gefeiert. Seit rund zehn Jahren donnern wie zuletzt zu Sowjet-Zeiten Kampfpanzer, Raketenträger und Fliegerstaffeln über den Roten Platz in Moskau und in vielen anderen Städten - es soll ein Fest für die ganze Familie sein. Bereits Babys werden in uniformähnliche Schlafanzüge gesteckt, Erstklässler salutieren auf den Straßen vorbeifahrenden Panzern. Das Spalierstehen bei der Militärparade ist für viele quasi Pflicht.

Dennoch sagt Schoigu: „Wir wollen unser Land nicht endlos militarisieren.“ Aber: „Wir müssen unser Augenmerk auf die patriotische Erziehung legen.“ Auf dem Gelände des „Patrioten Parks“ in Kubinka sollen deshalb militärbegeisterte Jugendliche trainieren und „sich im Überlebenskampf versuchen“, wie Schoigu das Projekt vorstellt. Es soll besonders die vom Verteidigungsministerium unterstützte Organisation der „Jungarmisten“ ansprechen. Ihr Ziel ist es, grundlegende Kenntnisse des Militärs, der Waffen und Patriotismus zu vermitteln. Rund 42 000 junge Militärbegeisterte gibt es landesweit nach Angaben der offiziellen Webseite seit Mai vergangenen Jahres in der selbst ernannten „militärisch-patriotischen Gesellschaft“.

In Kubinka absolvieren sie neben einem Panzermuseum, in einem „lebensgroßen Partisanendorf“ und im nachgebauten U-Boot aus dem Zweiten Weltkrieg Schieß- und Militärübungen. „Die ganze Familie kann den Tag dort mit Kämpfen verbringen und mit deftigen Fleischnudeln beschließen“, sagt Schoigu. Auch ein erstes provisorisches Modell des Mini-Reichstages soll nach Medienberichten bereits existieren. Wann der nachgestellte Sturm auf den Reichstag beginnen sollte und wie der Bau finanziert wird, lässt der Minister jedoch offen. (dpa)