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Mildes Urteil im Missbrauchsprozess

Ein 74-jähriger Angeklagter muss für seine Taten nicht einen Tag hinter Gitter. Er hat gestanden, sich an der Tochter seines Freundes vergangen zu haben.

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© Symbolfoto: dpa

Von Alexander Schneider

Angeklagte, die Verantwortung für ihre Taten übernehmen, landen recht schnell im Gefängnis – wer aber bestreitet, hat gute Chancen, mit Bewährung davonzukommen. Einer der Gründe dafür ist die klamme Personalsituation der Justiz. Zu beobachten ist dieses Dilemma allein in diesem Monat in zwei Kindesmissbrauchs-Prozessen am Landgericht Dresden.

Am Mittwoch wurde ein 74-jähriger Rentner aus einem Dorf bei Sebnitz wegen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die das Gericht zur Bewährung aussetzte. Weiter muss der Mann 6 500 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen. Von der Verurteilung für zwei weitere Tatvorwürfe, in denen es um „besonders schwere Fälle“ geht – der Angeklagte soll dem zuletzt elf Jahre alten Mädchen seinen Finger dabei eingeführt haben – sah das Gericht im Hinblick auf das späte und mühsam errungene Geständnis des Angeklagten für die übrigen Taten ab.

Es war ein zähes Ringen. Der Rentner hatte die Vorwürfe lange bestritten. Staatsanwaltschaft und Gericht akzeptierten das – halbherzige – Geständnis aus dem einzigen Grund, dem heute 13-jährigen Kind eine Vernehmung zu ersparen. Es wird seit 2014 alle zwei Wochen bei einem Psychologen behandelt. „Stabilisieren“ nennen Ärzte das. Eine echte Traumatherapie sei erst nach dem Verfahren möglich, sagt Hagen Berger, der Nebenklage-Anwalt des Kindes. Es leide bis heute unter Angstzuständen und habe Albträume. „Gerade jetzt vor der Hauptverhandlung wieder“, so Berger. Das Mädchen habe Angst vor dem Täter.

Das Kind ist die Tochter eines damaligen Freundes. Der Täter hatte das Mädchen zwischen Sommer 2013 und April 2014 öfter auf seinem Quad mitgenommen. Unterwegs kam es zu den sexuellen Übergriffen. So hat der Rentner dem Mädchen mehrfach an Brust und Scheide gefasst. Einmal habe er es gefragt, ob es seinen Penis in den Mund nimmt. „Sie hat das abgelehnt, und ich habe aufgehört“, gab der Mann zu.

Nach Bekanntwerden der Taten im April 2014 stand der Rentner im November 2014 vor dem Amtsgericht Pirna. Dort bestritt er, sagte, das Mädchen habe ihn angemacht, habe ein Kind von ihm haben wollen. Das Gericht verwies die Sache ans Landgericht – dem Täter drohten ohne Geständnis mehr als vier Jahre Haft.

Doch am Landgericht lag das Verfahren nun zwei Jahre, weil der Angeklagte nie in Untersuchungshaft saß. Verhandlungen gegen inhaftierte Angeklagte haben Vorrang. Der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel begründete die Dauer mit der angespannten Personalsituation. Das Warten wertete das Gericht nun strafmildernd, der bislang nicht vorbestrafte Angeklagte pflege seine Frau und sei in seinem Dorf einer massiven Ächtung ausgesetzt.

Im Juli hatte sich ein Dresdner freiwillig gestellt, als der Missbrauch gegenüber seiner 13-jährigen Stieftochter aufflog. Der 36-Jährige wurde sofort verhaftet und Anfang November von Ziegels Kammer zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Übergriffe waren ähnlich, allerdings gab es weit mehr Fälle. Die Urteile lassen Beobachter mit einem mulmigen Gefühl zurück.