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Milch frisch aus dem Automaten

In Diera zeigt sich, dass Kunden bereit sind, für gute Milch deutlich mehr zu zahlen als im Supermarkt.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Diera / Lommatzsch / Prausitz. Diese Milch kriegt man nicht im Handel. Torsten Schlunke vom Milchhof Diera geht an den Automaten, wirft eine Ein-Euro-Münze ein, stellt die leere Ein-Liter-Flasche ins Fach, und schon füllt sich diese mit Jersey-Milch.

Das ist fettreiche Milch der braunen Jersey-Kühe. Sie hat einen Fettgehalt von 4,7 Prozent. Geholt werden kann sie in Diera im dortigen Milchhof. Seit 21. Mai steht im Eingangsbereich des Verwaltungsgebäudes ein Milchautomat. Von 5 bis 20 Uhr ist er geöffnet. „Wir wollen testen, inwiefern Kunden bereit sind, für gute Qualität auch gutes Geld zu bezahlen“, sagt Marko Schlunke, der Geschäftsführer des Milchhofes in Diera.

Denn das Qualitätsprodukt Milch wird von Molkereien und Handel zu Dumpingpreisen verschleudert. Exakt 21,25 Cent pro Liter bekommen die Dieraer im Moment als Grundpreis derzeit von der Molkerei bezahlt. Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Um die 30 Cent wären für eine einigermaßen rentable Milchproduktion nötig.

Geändert hat daran auch der „Milchgipfel“ der Bundesregierung in der vergangenen Woche nichts. Zwar sollen 100 Millionen Euro für die Milchbauern bereitgestellt werden. Auf Sachsen kommen davon rund fünf Millionen Euro.

„Hochgerechnet auf alle Betriebe sind das 1 000 Euro. Das ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein wir haben täglich Verluste von 3 500 Euro“, sagt Marko Schlunke. Er hätte sich von der Politik Lohnzuschüsse gewünscht, um die schwierige Zeit zu überstehen. „Sicher könnten wir die Produktion drosseln, statt dreimal nur noch zweimal am Tag melken. Dann müssten wir drei Leute entlassen“, sagt sein Bruder Torsten, der Herdenmanager in Diera ist. Und es brächte keine Entlastung. „Die Molkereien würden dann mehr Milch beispielsweise aus Tschechien kaufen“, sagt Marko Schlunke.

Einen großen Teil Schuld an der Misere gibt er der Politik. Die Sanktionen gegen Russland würden auch die deutschen Milchbauern treffen. Dass dorthin aus politischen Gründen keine Milch und Milchprodukte mehr verkauft werden dürften, mache einen Preisverfall von vier Cent pro Liter aus. Und noch etwas kommt hinzu. „Der Markt in Russland wurde sofort von anderen wie den USA besetzt. Außerdem haben die Russen selbst Kühe gekauft. Dieser Markt ist durch die Sanktionen auf Dauer verloren“, befürchtet Torsten Schlunke.

Auch die Agrargenossenschaft Lommatzscher Pflege in Barmenitz kämpft mit den gleichen Problemen. Deren Chef Wolfgang Grübler spricht von monatlich 100 000 Euro Verlusten durch die Milchproduktion. „Wir kämpfen ums nackte Überleben, es geht um die Existenz“, sagt er. Etwa zwei Drittel der Verluste könnten durch die Biogasanlage aufgefangen werden. Doch die Genossenschaft muss Kredite abzahlen. Allein sieben Millionen Euro kosteten neue Ställe.

„Wir mussten investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Grübler. Weitere Investitionen sind erst einmal auf Eis gelegt. Der Betrieb kann sich die 1,2 Millionen Euro für Jungrinderställe nicht leisten. Auch andere Investitionen sind aufgeschoben. „Viele Traktoren sind überaltert, haben hohe Reparaturkosten. Doch wir können uns keine neuen leisten“, sagt Wolfgang Grübler. Auch Sponsoring zum Beispiel für Kindereinrichtungen sei vollständig zurückgefahren worden.

„Warum im Süden Deutschlands Molkereien 30 Cent pro Liter zahlen, im Osten das aber nicht möglich ist, das muss mir erst mal jemand erklären“, sagt der Chef der Agrargenossenschaft. Der Milchgipfel sei ein Witz, das Geld nicht mal Sterbehilfe für die Bauern. „Ein ganzer Betrieb erhält gerade mal 1 000 Euro, während der Kauf eines einzigen Elektroautos mit 2 000 Euro gefördert wird“, schimpft er. Die Politik habe versagt. „Jeder weiß, dass es so nicht weitergeht, aber niemand trifft eine Entscheidung“, so Grübler.

Die Lage sei schwierig, aber nicht aussichtslos, sagt Therese Gierschner-Wallrabe, die Geschäftsführerin vom Milchcenter in Prausitz. Auch sie spricht von Umsatzverlusten in Höhe von 130 000 Euro im Monat. Und auch hier werden diese zum Teil durch die Biogasanlage kompensiert. Rund 30 000 Euro pro Monat blieben aber hängen. Die würden aus der Rücklage bezahlt. „Wir haben zur richtigen Zeit investiert, um eine solche Periode überstehen zu können. Das zahlt sich aus. Durch bessere Haltungsbedingungen geben die Kühe jetzt wesentlich mehr Milch als vor sechs Jahren“, sagt sie. Trotz der schlechten Lage sollen in Prausitz Ställe und eine Gülleanlage wie geplant gebaut werden. Weil es Fördermittel gab und wegen der niedrigen Zinsen. „Ohne Wachstum gibt es keine Zukunft“, sagt Therese Wallrabe-Gierschner. Und für diese Zukunft sieht sie gar nicht so schwarz. Der Milchpreis werde sich mittelfristig wieder bei 30 Cent pro Liter einpegeln, glaubt sie. Nötig sei aber, dass die Repressionen und Sanktionen gegen Russland aufgehoben würden. „Wenn wir so arbeiten würden wie die Politiker, wären wir schon längst weg vom Fenster“, sagt sie. Milcherzeuger, die einen geordneten Rückzug planten, sollten mit Geld für Vorruhestandsregelungen unterstützt werden. Und den Milcherzeugern müsste erlaubt werden, in guten Zeiten steuerfreie Rücklagen bilden zu können, fordert sie.

An Molkereien und Handel hat sie keinerlei Erwartungen. „Sie sind es, die an der Krise verdienen. Gewinnmaximierung ist nun mal das Motto der Marktwirtschaft“, sagt sie.

Dass Kunden durchaus bereit sind, für Milch mehr zu zahlen, zeigt sich in Diera. 50 bis 60 Liter Milch zum Preis von einem Euro pro Liter gehen dort täglich am Automaten weg. Auch Wolfgang Grübler hat solche Erfahrungen kürzlich in Südtirol gemacht. Der Liter Milch wurde dort für 1,50 Euro verkauft.