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Mieder und Monstrum aus der DDR

Die Görlitzer zeigen im Kaisertrutz Erinnerungsstücke mit Geschichten. Seit Freitagabend hat die Schau geöffnet, die Diskussionen auslösen soll.

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© Wolfgang Wittchen

Von Silvia Stengel

Görlitz. Wer hebt sich denn eine DDR-Fahne auf? Noch dazu ein solches Monstrum: 17 Meter lang und mehr als vier Meter breit. Jasper von Richthofen hat noch überlegt, ob er sie im Kaisertrutz ausbreitet oder zusammengelegt zeigt. Dort öffnet an diesem Freitag die neue Ausstellung „Erfahrung DDR!“. Sie präsentiert nicht nur Erinnerungsstücke, sondern auch Geschichten dazu. Das war sogar Bedingung, dass die Görlitzer zu dem, was sie aus DDR-Zeiten aufgehoben haben, etwas erzählen, sagt der Museumsleiter. Deswegen ist hier nun auch die Fahne zu sehen. Die stammt aus den 1980er Jahren und hat zuletzt an der Stadthalle in Görlitz geweht. An dem Veranstaltungshaus hängt nun mal das Herz vieler Görlitzer. Deswegen hat sie Joachim Nitsche, Jahrgang 1961, auch mitgenommen. „Diese große DDR-Fahne habe ich als Erinnerung an die Stadthalle bei ihrer Schließung erworben“, schreibt er. „Nach vielen schönen Feiern und Veranstaltungen, die ich dort erlebt habe, wollte ich ein bleibendes Erinnerungsstück. Beim Ausverkauf der Technik waren dann unter Scheinwerfern und Kabeln auch die großen DDR-Fahnen. Für mich galt: große Fahne – große Erinnerung.“

Mieder aus der DDR: Die farbigen BHs waren sehr gefragt.
Mieder aus der DDR: Die farbigen BHs waren sehr gefragt. © Wolfgang Wittchen
Ausgespäht: die Kopie einer Akte der Staatssicherheit der DDR.
Ausgespäht: die Kopie einer Akte der Staatssicherheit der DDR. © Wolfgang Wittchen

Nun liegt sie zusammengerollt im Regal, die DDR-Fahne. Auch Puppen, Kartenspiele, Steckhalma, Brotbüchsen, ein Kinderwagen, eine Jugendweihe-Urkunde, geblümte Bestecktaschen, eine Bohrmaschine, selbst eine Gasmaske aus der Armeezeit sind nun zu sehen – mehr als 300 Objekte von über 100 Leihgebern. Bei den kurzen Geschichten dazu taucht das Wort „Mangelwirtschaft“ öfter auf. Viele Frauen nähten und strickten selber. Babyausstattungen und ein weißes Brautkleid sind Beispiele dafür.

Eine ganze Reihe von Plakaten mit Parolen wird gezeigt. Die hatte ein Görlitzer für seinen Nachwuchs aufgehoben, doch der wollte sie nicht. Ein alter Karton steht hier nun auch im Regal. Das war ein Westpaket von 1950. Der Besitzer hat später seine Wanderschuhe darin aufbewahrt. Und eine Sammlung mit Orden: „Wir haben eigentlich nichts abgewiesen“, sagt der Leiter. „Wir sammeln auch weiter.“

Eine Geschichte um einen kirchlich engagierten Görlitzer hat Jasper von Richthofen am meisten bewegt. Der ist nachts nach Berlin gefahren und hat dort Unterlagen für Diskussionsrunden in Görlitz geholt. Es ging um die Frage, ob man als Christ in der DDR bleiben kann. Später stellte sich heraus: Die Stasi war immer mit im Auto. „Da gibt es schon irre Geschichten“, sagt der Leiter. Ein Görlitzer hat einmal im Jahr die Stadtbrücke fotografiert: „Das ist natürlich interessant“. Zu seinen Lieblingsexponaten gehören Kotflügel von einem Trabant. Die hat sich einer zugelegt, auch wenn er sie gerade nicht brauchte. Er hätte sie ja gegen eine Lichtmaschine tauschen können. Oder die Weihnachtspyramide: Dazu schreibt eine Frau, dass sie gar nicht wusste, was sie kaufte. Sie hatte eine lange Schlange vor einem Laden gesehen und sich angestellt. Jasper von Richthofen, der aus dem Westen stammt, stößt auf Gemeinsamkeiten. Einen Rechenschieber, der hier gezeigt wird, hat der Besitzer aus dem Westen bekommen. Irgendwann stellte er fest, dass er in der DDR hergestellt wurde, hier gab es ihn nur kaum zu kaufen. Oder die Indianer, das Spielzeug von früher. „Indianer hatte ich auch“, sagt er.

„Es geht nicht um den Schauwert der Sachen“, betont Jasper von Richthofen. Sein Ziel ist, dass sich die Menschen an das Gute und Schlechte erinnern und ins Gespräch kommen. Es gibt schließlich auch junge Menschen, die die DDR gar nicht erlebten. Für ihn stellt sich die Frage: Welche Erfahrungen haben die Älteren gesammelt, die für die heutige Zeit relevant sind? Dabei geht es für ihn auch um eine Wertschätzung. Er will schon gar nicht „schulmeistern“ und den Leuten erklären, dass sie in einem Unrechtsstaat gelebt hätten. „Es kann aber auch sein, dass herauskommt, dass es nicht so lustig war“, sagt er.

Es gibt Begleitveranstaltungen von einem Stammtisch und Spielen bis zu Diskussion über Themen wie Ordnung, Recht und Staatssicherheit. Die Ausstellung zeigt auch Kopien von zwei Stasi-Akten. Einer schreibt dazu: „Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum ich von der Stasi (Staatssicherheit) observiert wurde, zumal ich während meiner Studienzeit selber mehrfach als Mitarbeiter angeworben werden sollte. Die auf mich angesetzten ,Inoffiziellen Mitarbeiter‘ (IM) der Staatssicherheit sind mir namentlich bekannt und leben in Zittau, Hagenwerder und Görlitz.“

Damit ist der Verdacht schon mal ausgeräumt, dass es eine Nostalgieschau wird. Es gibt aber auch Sachen, an die man sich gern erinnert, wie Brett- oder Kartenspiele mit der ganzen Familie, Märchenfilme von der Defa wie „Frau Holle“ oder „Aschenputtel“. Der Satz „das hatten wir auch“ wird wohl oft in der Ausstellung zu hören sein.

Ob der Zusammenhalt früher besser war? Oder lag es an der Mangelwirtschaft? Der eine hatte Fliesen, der andere begehrte Platten oder Bücher. Darüber kann gern diskutiert werden. Oder über Erfahrungen mit Ausländern. Woher kommen die Ängste? Reden war schon immer ein gutes Rezept. Jasper von Richthofen ist das „ein Herzensthema“. Dafür gibt es nun eine „Sitzarena“ in der Ausstellung.

Auf einer Leinwand sind Fotos von den Exponaten und in Görlitz gedrehte Filme wie „Gevatter Tod“ zu sehen. Es gibt Hörstationen. Und es liegen Gästebücher aus. Dort können die Besucher auch Sätze hinterlassen wie „Finde ich blöd“ oder „Es ist ja gar nicht das und das dabei.“ Jasper von Richthofen sagt: „Die Ausstellung ist ein Vehikel, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Leute sollen sich erinnern – mit offenem Ausgang.“

„Erfahrung DDR!“ im Kaisertrutz in Görlitz, Platz des 17. Juni 1, Ausstellung bis zum 2. April 2017: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.