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Menschen mit Handicap ohne Lobby?

Der Behindertenverband Bischofswerda löst sich auf. Eine schwere Entscheidung für Wolfgang Gebhardt und sein Team.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch und Gabriele Nass

Bischofswerda. Bischofswerda hat einen starken Verein weniger. Der 1990 gegründete Behindertenverband „Selbsthilfe“ hat sich zum Ende des vergangenen Jahres aufgelöst. In diesem Jahr laufen beim Amtsgericht Dresden noch die Formalitäten zur Abwicklung. Wolfgang Gebhardt aus Burkau, seit Gründung des Verbandes dessen Vorsitzender, wurde durch das Gericht mit der Liquidation beauftragt. So schreibt es das Vereinsrecht fest.

Es tue ihm weh, den Verband auflösen zu müssen, sagt Wolfgang Gebhardt ohne Umschweife. In den vergangenen 26 Jahren hatten er und andere viel Kraft, Zeit und auch Geld aufgewandt, um den Verband aufzubauen, ihn am Leben zu halten und vor allem anderen Menschen mit Handicap zu helfen. Die Grenze der Belastbarkeit, vor allem für die fünf Vorstandsmitglieder, war schon seit Längerem erreicht. Letzten Herbst zogen die Verbandsmitglieder deshalb Konsequenzen und beschlossen die Auflösung.

Viele sind auf Fahrdienst angewiesen

Wolfgang Gebhardt, inzwischen 64 Jahre alt und seit einem Autounfall vor fast 30 Jahren an den Rollstuhl gebunden, spürt zunehmend altersbedingte und gesundheitliche Einschränkungen. Gesundheitlich gehe es ihm mal besser, mal schlechter, sagt er auf eine entsprechende Frage. Anderen Vorstandsmitgliedern ergehe es ähnlich. Vor allem die eingeschränkte Mobilität setzt Grenzen. Um für den Verband tätig zu sein, waren viele auf den Fahrdienst angewiesen. Und der kostet Geld. Er sei da noch in einer vergleichbar guten Lage, sagt Wolfgang Gebhardt. Er wird von seiner Frau gefahren. Doch auch das kostet natürlich Spritgeld – und viel Zeit.

In guten Zeiten hatte der Behindertenverband Bischofswerda 80 Mitglieder. Zuletzt waren es noch 25. Es gab in den vergangenen Jahren Versuche, den Vorstand zu verjüngen. Kein leichtes Unterfangen in einem Verband, dessen Mitglieder fast alle schwerbehindert sind.

Steine im Weg

Hinzu kommen Steine, die dem Verband in den Weg gelegt wurden. Das Amt für Arbeit und Soziales des Landkreises strich 2013 die Ein-Euro-Hilfe für die Geschäftsstelle. Man merkt es Wolfgang Gebhardt an, dass er sich noch jetzt darüber ärgert. „Das Ehrenamt erfährt nicht immer die Aufmerksamkeit, die es verdient“, sagt er. In diesem Fall ging es um eine „Assistenz im Ehrenamt“, die für den Verband lebensnotwendig war. Zum Beispiel: Wie kommt man an eine Akte in einem höheren Regalfach, wenn man im Rollstuhl sitzt? Oder wer hält im Bürohaus an der Bischofstraße die Tür auf, wenn ein Rollstuhlfahrer auf Toilette muss?

Es waren auch praktische Dinge wie diese, um die sich der Verband gekümmert hat. Hinzu kamen Beratungsangebote für die Mitglieder und Geselligkeit, etwa bei den jährlichen Sommerfesten. Dass zahlreiche Geschäfte in Bischofswerda auch für Menschen im Rollstuhl gut zu erreichen sind, ist auch ein Verdinest des Verbandes. Ebenso, dass Bordsteinkanten, so auf der Bautzener Straße und dem Markt, bei der Sanierung abgesenkt wurden. Das Baurecht schreibt das zwar vor. Doch Mitglieder des Behindertenverbandes konnten es testen und ihre Anregungen einbringen. Mit der Bischofswerdaer Stadtverwaltung habe der Verband all die Jahre gut zusammengearbeitet – sowohl unter OB Andreas Erler als auch unter seinem Nachfolger Holm Große, sagt Wolfgang Gebhardt.

Mehr als zehn Jahre kämpfte der Verband für einen Fahrstuhl auf dem Bischofswerdaer Bahnhof, sodass Menschen im Rollstuhl (oder mit Kinderwagen) problemlos die Bahnsteige 2 und 3 erreichen können. Hier gab es seitens der Bahn immer wieder nur Vertröstungen.

Gesicht des Verbandes

Wolfgang Gebhardt war das Gesicht des Behindertenverbandes „Selbsthilfe Bischofswerda“ – und er wird es für viele wohl bleiben. Mit dem Ende des Verbandes verlieren Behinderte in der Stadt und der Umgebung eine Lobby. „Auch ohne unseren Verband wird man künftig behindertengerecht bauen, weil es vom Baurecht vorgeschrieben ist. Aber es gibt unter den Behinderten keinen Ansprechpartner mehr“, sagt er. Ersatz hinsichtlich Beratungsgesprächen finden Behinderte in Bautzen – beim Sozialverband VdK und mehreren Selbsthilfegruppen.

Wolfgang Gebhardt schaltet nun ein paar Gänge runter. Er bleibt aber ehrenamtlich aktiv, vor allem in seinem Heimatort Burkau. Dort gehört er den Natur- und Heimatfreunden an und er führt eine Chronik über das Dorf.