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Meißens hässlichste Kurve

Die ehemalige Gaststätte „Sächsischer Jäger“ verfällt, eine alte Unternehmervilla ebenso – Abhilfe scheint nicht in Sicht.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Es ist, als würden die neun hohen Douglastannen eisern die Ordnung wahren: Jeweils drei in einer Reihe, bilden sie ein Quadrat und verdecken gnädig das Haus in der Rauhentalstraße 103 – eine alte Unternehmervilla. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, scheint es, als versuche ein Rosenstrauch die Tristesse des einstigen Gasthauses „Sächsischer Jäger“ zu mildern. Ohne Zweifel – die beiden verfallenden Häuser machen diese Kurve der Rauhentalstraße zu einer der hässlichsten von Meißen, wenn nicht gar zur hässlichsten überhaupt.

Durch die Fassade des Haues an der Rauhentalstraße 103 laufen Risse – besser ist es da, die Straßenseite zu wechseln, auch wenn dort kein richtiger Fußweg ist.
Durch die Fassade des Haues an der Rauhentalstraße 103 laufen Risse – besser ist es da, die Straßenseite zu wechseln, auch wenn dort kein richtiger Fußweg ist. © Claudia Hübschmann

Was mit den Häusern wird, wer ihre Eigentümer sind, ob die Stadt nicht etwas gegen ihren Verfall tun kann? Auf all diese Fragen kommen aus der Verwaltung, egal, um welches Gebäude man in der Stadt um Auskunft bittet, immer die gleichen Antworten: Wer der Eigentümer ist, darf aus Datenschutzgründen nicht genannt werden, was mit den Häusern wird, wisse man nicht, und einschreiten könne man erst, wenn Gefahr im Verzug sei, etwa, wenn Dachziegel auf den Gehweg zu stürzen drohten.

Was die Rauhentalstraße 103 betrifft, so drohen nicht nur Dachziegel auf den Gehweg zu stürzen, sondern die ganze Vorderfront des Gebäudes. „Die Rissbildungen sind bekannt und werden von der Bauaufsicht beobachtet“, teilte Anne Dziallas, die Büroleiterin des Oberbürgermeisters auf eine entsprechende Anfrage mit. Was die Rissbildung betrifft, kennt sich Jürgen Wolf aus. Er hat bis 1999 in dem Haus gewohnt. „Für DDR-Verhältnisse war das ein gutes Haus mit einem riesengroßen Balkon nach hinten hinaus. Den Riss mitten durchs Haus gab es schon in DDR-Zeiten, da wurden Plomben gesetzt und regelmäßig kontrolliert, ob sich an dem Riss etwas getan hatte.“

Jürgen Wolf nimmt an, dass es Wasser ist, das vom Hang, an dem das Haus gebaut ist, gegen das Mauerwerk drückt. Er sagt, dass nach der Wende die Altbesitzer aus dem Westen gekommen wären. „Die wollten uns das Haus damals für 130 000 D-Mark verkaufen.“ Das Ganze sei auch deshalb nicht zustande gekommen, weil es sich um eine Erbengemeinschaft gehandelt habe, die sich nicht einigen konnte. Ein Herr Giezen sei damals der Ansprechpartner gewesen.

Martina Fischer, die Leiterin des Stadtmuseums, die selbst lange auf der Rauhentalstraße gewohnt hat und das besagte Haus kennt, weiß es genauer. In einem Meißner Adressbuch von 1950 findet sich, dass der Besitzer des Hauses die Firma Neubert & Co. vormals Kaolin- und Tonwerke AG Meißen ist. Im Haus wohnte damals der Betriebsleiter Alfons Gietzen, dazu zwei Vorarbeiter, ein Hofarbeiter, ein Schlosser und ein Schuhmacher.

Die derzeitigen Besitzer des Hauses dürften Nachfahren von jenem Alfons Gietzen sein. Vielsagend teilt die Stadtverwaltung mit: “Das Grundstück Rauhentalstraße 103 befindet sich in Privateigentum. Gründe, warum keine Entwicklung stattfindet, sind uns nicht bekannt.“ Es findet nicht nur keine Entwicklung statt, die Besitzer lassen das Haus weiter verfallen.

Nicht besser sieht es auf der anderen Straßenseite aus. Da weiß die Stadtverwaltung: „Der ,Sächsische Jäger‘ hat einen neuen Eigentümer.“ Nach SZ-Informationen hat der Geschäftsmann Awad Al Mahamied das Haus wohl gekauft. Er gehört zur muslimischen Unternehmergemeinschaft SBS, unter deren Dach die muslimische Gemeinde in Meißen angesiedelt ist. Auch hier tut sich nichts, geht der Verfall ungebremst weiter.

Wenn man über die Zukunft der einstigen Gaststätte „Sächsischer Jäger“ nichts weiß, so doch wenigstens etwas über ihre Vergangenheit. „Das Gebäude wurde vermutlich um 1923 errichtet“, hat Stadtchronist Claus-Dirk Langer herausgefunden. Das Adressbuch von Meißen für 1924 führt das Haus Rauhentalstraße 86 erstmalig auf und nennt als Eigentümer die Geschwister Montag, Otto Montag war Gastwirt. Zwischen 1939 bis mindestens 1950 führte Willy Knebel die Gaststätte.

Linken-Stadtrat Andreas Graff hatte im März bei der Stadtverwaltung nachgefragt, warum sie nichts gegen den Verfall von Gebäuden in Meißen unternehme. Die Antwort lautete, dass ihr – anders als etwa in Thüringen – die gesetzlichen Grundlagen fehlten. Walter Hannot von der Initiative „Bürger für Meißen“ schrieb darauf hin: „Was nicht die Frage beantwortet, weshalb wir speziell in der Stadt Meißen so wenig machen können, es hingegen in Pirna, Bautzen oder Görlitz ganz anders aussieht. Vielleicht gilt da ja thüringisches Recht?“