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Meißen gibt Gemälde zurück

Ein Depot-Stück aus dem Stadtmuseum erhält einen zentralen Platz im tschechischen Brüx.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Die Szene ist eindeutig: Auf dem Boden hingestreckt liegen einige Nonnen in ihren weißen Kutten, ein Bewaffneter schwingt den Säbel. Zu sehen ist das Ganze auf dem Gemälde „Der Überfall der Hussiten auf das Brüxer Nonnenkloster“. Gestern wurde das Bild von Meißens Oberbürgermeister Olaf Raschke (parteilos) an den Oberbürgermeister der nordböhmischen Stadt Most – zu Deutsch Brüx – Jan Paparega zurück gegeben. Damit geht eine fast hundertjährige Odyssee des Gemäldes zu Ende.

Von einem unbekannten Maler am Ende des 17. Jahrhunderts geschaffen, thematisiert das Ölgemälde den Überfall der Hussiten auf die Nonnen des Magdalenen-Klosters und die Ermordung von zehn Schwestern im Jahr 1421. Das Kloster befand sich in Saras (Zahrazany), einem Ort in der Nähe von Brüx, der heute zu dessen Stadtgebiet gehört.

Besonderes Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen

Der Grund: Nach der Hinrichtung des Reformators Jan Hus 1415 rebellierten seine enttäuschten Anhänger, die Hussiten. „In der Folge kam es zu zahlreichen äußerst brutalen Aktionen gegen katholische Institutionen, um mit Gewalt eine reformatorische Umkehr zu erzwingen“, erklärte Martina Fischer, die Leiterin des Meißner Stadtmuseums am Mittwoch bei der Übergabe des Gemäldes in den Räumen ihres Hauses.

Das Bild und das mit ihm festgehaltene Ereignis stehe „für das ambivalente Verhältnis von Deutschen und Tschechen“, erklärte Oberbürgermeister Raschke. Und dies trifft in vielerlei Hinsicht zu. So war die Mehrzahl der Einwohner von Brüx am Ende des 14. Jahrhunderts deutsch, wie Museumsleiterin Fischer erklärte, und Brüx war ein katholisches Zentrum inmitten eines protestantischen Umfeldes.

Die überlebenden Nonnen waren 1421 nach Meißen gezogen, um den Markgrafen Friedrich IV um Hilfe zu bitten. „Friedrich traf mit einem Heer ein, brachte den Hussiten die erste Niederlage bei, die Stadt Brüx konnte vor der Zerstörung gerettet werden.“ Fünfhundert Jahre später war es wieder das besondere Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen, das sich anhand des Bildes zeigte. „Die tschechische Nationalstaatsgründung nach dem Ersten Weltkrieg führte zu Spannungen zwischen den deutschen Einwohnern und der neuen tschechischen Regierung.“

Historische und emotionale Bedeutung

Daraufhin entschlossen sich die Deutschen, das Gemälde in Sicherheit zu bringen: „Es müsste dies natürlich in aller Stille und ohne Aufsehen erfolgen“, heißt es in einem Brief. So geschah es denn auch, und das Gemälde gelangte 1921 zunächst nach Weimar und von dort nach Meißen. Als 2013 die erste Anfrage zu seinem Eigentümerstatus aus Most kam, begann Museumsleiterin Fischer mit entsprechenden Nachforschungen, in deren Verlauf sie dessen Herkunft zweifelsfrei klären konnte.

„Dieses Bild ist ein wichtiges Zeugnis der Geschichte Ihrer Stadt Most und sollte wieder Bestandteil einer lokalen Erinnerungskultur werden“, erklärte Oberbürgermeister Raschke, an die tschechischen Gäste gewandt. Sein Amtskollege Jan Paparega sagte, dass das Gemälde nicht nur von historischer, sondern auch von emotionaler Bedeutung ist. Zeigt es doch ein Most, das es heute nicht mehr gibt – die historische Altstadt musste in den 1960er Jahren der Braunkohle weichen. Jan Paparega erklärte, es werde in der Ausstellung zur verschwundenen Stadt Most an zentraler Stelle ausgestellt werden.

Das Fazit von Oberbürgermeister Raschke: „Ich wünsche mir, dass dieses Gemälde dazu anregt, im gemeinsamen Nachdenken über unsere Vergangenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen.“