Merken

Meine Tante, deine Tante

Die Trainer-Legenden Hans Meyer und Eduard Geyer treffen sich in Dresden – ihre Generalkritik vor dem Sachsenderby von Dynamo in Aue.

Teilen
Folgen
© Thomas Kretschel

Von Sven Geisler

Sie einigen sich auf ein Unentschieden. Das sollte beiden reichen, meinen Hans Meyer und Eduard Geyer. Die Trainerlegenden treffen sich zum Talk in Dresden. Eigentlich geht es um die Anekdoten von früher, die sie so herzerfrischend pointiert erzählen können, dass man jedes Mal glaubt, man höre sie zum ersten Mal. Doch in dieser Woche, in der das Sachsenderby in der 2. Fußball-Bundesliga für die Fans das alles beherrschende Thema ist, ist natürlich ihre Meinung zu Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue gefragt.

Heimspielbesucher Geyer und Fernsehzuschauer Meyer kommen also zu dem Schluss, dass der eine wie der andere Klub drin bleiben soll. Erst einmal aber bekommt Dynamo sein Fett weg und der Dresdner Geyer für seine gewohnt zugespitzten Worte donnernden Applaus von den Zuhörern im Autohaus. „Das ist für mich ein bisschen wie Weiberfußball“, sagt er – und holt zu einer Generalkritik aus. „Die werden oft für ihre Spielweise gelobt“, grantelt der 73-Jährige. „Ballbesitz ist gut und schön, aber wenn ich zu Hause spiele und es gibt Freistoß an der Mittellinie, muss ich den nicht zurück zum Torwart spielen.“

Mal den Spatz nehmen

Und überhaupt: „Als ich in Cottbus war, hieß unser Stadion zwar ,der Freundschaft’, aber die Gegner sind nicht gerne hingekommen. Und in Dresden spielst du vor 29 000 Zuschauern – da muss doch mal der Funke überspringen, das Gift am Kinn runterlaufen. Das ist mir zu viel: meine Tante, deine Tante.“ Während Geyer also ein Mentalitätsproblem erkannt hat, kritisiert Meyer das taktische Verhalten wie zuletzt gegen Fortuna Düsseldorf. „Das ist eine Frage der Grundeinstellung“, erklärt der 75-Jährige. „Wenn ich gegen den souveränen Spitzenreiter spiele, es sind noch fünf Minuten und es steht 1:1 – dann nehme ich doch auch mal den Spatz.“

Stattdessen rennt Dynamo ins Verderben. „Wenn ich im Kopf weiß, ich brauche jeden Punkt gegen den Abstieg, darf dieses 1:2 nicht fallen.“ Aus der Ferne habe er das in dieser Saison verfolgt und oft zur Halbzeit und selbst in der Schlussphase gedacht: Das sieht aber gut aus für Dynamo. Oft blieb es nicht dabei, 13 Punkte haben die Dresdner in der letzten Viertelstunde plus Nachspielzeit verloren. „Und nicht, weil sie kaputt waren, sondern weil sie weiter nur nach vorne denken.“

Das, meint Meyer, sei naiv. Und er erinnert an die alte Trainergarde um den Jenaer Georg Buschner und den Magdeburger Heinz Krügel, die den Spielern eingebläut hätten: Hinten werden die Spiele gewonnen. „Man muss es heute etwas erweitern: Die Spiele werden in der Abwehrorganisation der gesamten Mannschaft gewonnen, und die stimmt bei Dynamo wie bei einer Menge Mannschaften in Deutschland derzeit nicht.“ Dass er in diesem Zusammenhang auch RB Leipzig erwähnt, wird zur Kenntnis genommen.

Hier geht es um Dynamo und ein bisschen um Aue, „dieses kleine Nest“, wie Meyer respektvoll sagt. „Das ist einer von zwei Vereinen der DDR-Oberliga, die nach 1990 aus den schlechtesten Möglichkeiten das Beste rausgeholt haben.“ Der andere sei Energie Cottbus, auch wenn die erfolgreichsten Zeiten unter dem Trainer Ede Geyer schon ein wenig her sind: 1997 Aufstieg in Liga zwei und Einzug ins Pokalfinale (0:2 gegen den VfB Stuttgart), Aufstieg in die Bundesliga 2000 und 2006, jeweils zweimal den Klassenerhalt geschafft.

„Abstiegskampf hatte ich in Cottbus genug“, sagt Geyer. Und aus seinem reichen Erfahrungsschatz schlussfolgert er, was Dynamo fehlt: „Das hat etwas mit Charakter zu tun, dass du mal über deinen Schatten springen kannst, Entscheidungen triffst, die dich einen Schritt nach vorne bringen und dem Gegner ein bisschen Angst einjagen.“ Die Schwarz-Gelben sind dem Altmeister zu brav. „Sie haben vor der Saison wichtige Spieler verloren, aber dann muss die Mannschaft mehr über die Mentalität kommen, mal provozierend spielen.“

Ein bisschen mehr Aue darf es auch für Dresden sein. „Das wird ein Spiel, in dem es kracht“, sagt Geyer und denkt dabei an die alten Zeiten. „Die in Aue wissen Holz zu schnitzen. Bei der Wismut kriegten sie ihren Schnaps, und dann haben uns die Zuschauer von der Holztribüne aus angefeindet. Das war immer ein heißes Pflaster.“

Das war es für ihn auch auf St. Pauli, klar, diese Geschichte darf nicht fehlen. Vor dem Spiel mit Energie auf dem Kiez hatte er sich mit einem gewagten Vergleich über die Einstellung der Nachwuchsspieler aufgeregt: „Manche von den Jungs haben eine Berufsauffassung wie die Nutten von St. Pauli. Die rauchen, saufen und huren rum, gehen morgens um Sechs ins Bett.“

Das Plakat „Ede Geyer – unser bester Freier“ habe ihm damals überhaupt nicht gefallen, gibt er zu. Im Nachhinein fühle er sich jedoch geehrt und ärgere sich, mit der – er macht eine ausschweifende Bewegung mit den Händen vor seiner Brust – Dame, die am Kabinengang auf ihn wartete, nicht wenigstens kurz geplaudert zu haben. „Ich hätte sie ja wenigstens fragen können, wie es ihr geht. Das ist ja schon ein harter Job.“

Hoeneß könnte nicht davonrennen

Meyer kokettiert mit Selbstironie. „Ohne Abstiegskampf wäre der Name Meyer gar nicht in die Öffentlichkeit gelangt“, sagt er – und schiebt nach: „Ich konnte nur mit den Blinden.“ Ob Twente Enschede in den Niederlanden, Borussia Mönchengladbach, Hertha BSC oder 1. FC Nürnberg – er kam als Retter in der Not. Dass er 1981 mit dem FC Carl Zeiss Jena im Europapokalfinale stand und zweimal den, wie er sagt, „Gewerkschaftspokal“ im Endspiel gegen Dynamo (1972 und 1974) gewonnen hat, gehört in eine andere Zeit. Diese Erfolge schätzt er jedoch nicht geringer als seinen DFB-Pokalsieg mit Nürnberg 2007.

Sie haben viel zu erzählen, der Abend geht in die Verlängerung. Und wenn sich die Dynamos am Sonntag so die Bälle zuspielen, wie sie, dürfte ein munteres Spielchen dabei herauskommen. Geyer spricht über das Duell gegen die Bayern 1973, als ihm Uli Hoeneß entwischt war und zwei Tore schießen konnte. „Wenn wir jetzt gegeneinander antreten würden, könnte der mir nicht mehr davonrennen.“ Meyer hakt ein: „Uli, der auch schlagfertig ist, würde dir jetzt antworten: Das ist ja kein Wunder, du hattest ja 40 Jahre nichts zu essen.“

An der Verpflegung wird es am Sonntag jedenfalls nicht liegen, und Geyer meint schließlich ein wenig beruhigend: „Aue ist ja auch keine Übermannschaft.“