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Mehr Freizeit für Wacker-Mitarbeiter

Die Ost-Chemiebranche hat einen bundesweit einzigartigen Tarif geschlossen. Davon profitiert auch das Werk Nünchritz.

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© Sebastian Schultz

Von Antje Steglich

Nünchritz. Die Arbeitszeit in der ostdeutschen Chemiebranche wird bei gleichem Gehalt um 90 Minuten verkürzt. Das ist ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und dem Arbeitgeberverband Nordostchemie. Mit dem neuen Manteltarifvertrag ist der Angleichungsprozess an das West-Niveau abgeschlossen, heißt es deshalb von beiden Seiten. Konkret wird die wöchentliche Regelarbeitszeit auf 38,5 Stunden abgesenkt.

Mit dem bereits vereinbarten Tarifvertrag über lebensphasengerechte Arbeitszeitgestaltung (Lepha) reduziert sich die Arbeitszeit zudem um eine weitere Stunde auf 37,5 Stunden pro Woche. – Das Neue am sogenannten Potsdamer Modell ist jedoch die Abkehr von einer festen hin zu einer individuell ausgehandelten Arbeitszeit. „Die Betriebe haben alle unterschiedliche Mitarbeiter-Gruppen: Es gibt zum Beispiel die Tagschicht, das Drei- oder Vier-Schicht-System, den 24-Stunden-Dienst bei der Feuerwehr ... Den verschiedenen Anforderungen wollten wir gerecht werden“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende der Wacker Chemie AG Nünchritz, Göran Gust, der mit am Verhandlungstisch in Potsdam saß.

Die erste Säule des neuen Modells ist deshalb eine betriebliche Arbeitszeit, die jeweils vor Ort von den Unternehmensleitungen und Betriebsräten für einen bestimmten Zeitraum ausgehandelt wird. Für einzelne Betriebsteile oder Mitarbeitergruppen kann die zwischen 32 und 40 Stunden betragen. Gibt es keine solche Vereinbarung, tritt automatisch ein Basis-Stufenmodell in Kraft. Demnach würde die Arbeitszeit in drei Stufen bis zum Jahr 2023 auf die 38,5 Stunden abgesenkt.

Zweite Säule des Modells ist die Einführung einer individuellen Wahlarbeitszeit, die mindestens 32 Wochenstunden beträgt und nach oben nur durch das Arbeitszeitgesetz gedeckelt ist. Demnach können die 30 500 Mitarbeiter der Ostchemie je nach Lebenslage ganz individuelle Absprachen treffen – und theoretisch sogar mehr als 40 Stunde die Woche arbeiten.

„IG BCE und der Arbeitgeberverband der Nordostchemie haben einen flexiblen und innovativen Ansatz für die Beschäftigten der Chemischen Industrie gewählt“, sagt der Leiter des Nünchritzer Wacker-Standortes, Gerd Kunkel, zu dem Tarifabschluss. Leitgedanke sei gewesen, die Rahmenbedingungen der Ostchemie, insbesondere den signifikant stärkeren Rückgang der Erwerbstätigen in Ostdeutschland, zu berücksichtigen. „Dem soll mit attraktiveren Rahmenbedingungen für Mitarbeiter und Unternehmen begegnet werden“, so Gerd Kunkel.

Auch der Nünchritzer Betriebsrat bewertet den Tarifabschluss sehr positiv. „Wir sind sehr zufrieden. Die Arbeitszeit war in den vergangenen Jahren ein großes Thema in Nünchritz. Jetzt müssen wir was Gescheites draus machen“, so Göran Gust. Dass viele Arbeitnehmer aber tatsächlich mehr arbeiten gehen wollen, glaubt er nicht. „Nach oben sehe ich gerade im Schichtsystem nicht viel Spielraum. Die Arbeitnehmer wollen eher eine Entlastung“, so der Betriebsratschef.

Welche konkreten Vereinbarungen es für die 1 500 Mitarbeiter im Nünchritzer Werk geben wird, ist aber noch unklar. „Der neue Manteltarifvertrag bietet einen Gestaltungsspielraum, der in den nächsten Monaten erst geprüft werden muss. Das weitere Vorgehen erfolgt in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat“, kündigte Werkleiter Gerd Kunkel an. Geht es nach Betriebsratschef Göran Gust, sollte die Vereinbarung für die betriebliche Arbeitszeit aber im nächsten Jahr stehen. Dabei könne sich der Betriebsrat durchaus ein neues Schichtmodell für das Nünchritzer werk vorstellen. „Aber die Zeit ist verdammt eng“, sagt er mit Blick auf die Notwendigkeit, mehr Fach-Personal einzustellen.

Neben diversen Aushängen wurden die Wacker-Mitarbeiter am Dienstag in einer Betriebsversammlung über den neuen Tarifvertrag informiert. Der tritt Anfang 2018 in Kraft.