Merken

Mehr als nur Händchen halten

Kaffee kochen oder Fahrscheine lösen – für Demenzkranke sind einfache Dinge oft schwer. Alltagsbegleiter wie Mary Wagner helfen ihnen dabei.

Teilen
Folgen
© Steffen Füssel

Von Christiane Raatz

Mary Wagner sitzt auf der Couch, langsam blättert sie durch ein Fotoalbum, zeigt auf ein buntes Urlaubsbild. „Den kenn ich gar doch nicht“, sagt ihre Oma, die 95 Jahre alte Irmgard Steuernagel. Wagner erklärt, dass ein Freund zu sehen ist, erzählt dazu kleine Geschichten. Die junge Frau braucht Geduld, denn ihre Oma hat vieles vergessen. Irmgard Steuernagel hat Altersdemenz – wenn auch keine schwere Form. „Ich bin sehr oft bei meiner Oma, lese vor, spiele Karten mit ihr, das macht mir Freude“, erzählt die Enkelin.

Deshalb kam Mary Wagner auf die Idee, sich zur Alltagsbegleiterin für Demenzkranke umschulen zu lassen. Vor wenigen Wochen hat sie sich selbstständig gemacht und will nun Betroffenen helfen, sich in den eigenen vier Wänden so lange wie möglich zurechtzufinden. Zeitung vorlesen und alte Fotos anschauen gehört ebenso dazu wie gemeinsam kochen und backen. „Es ist auch wichtig, Demenzkranke zur Selbstständigkeit anzuleiten, so weit es eben geht“, erklärt Wagner. Kleine Hausarbeiten wie Wäsche zusammenlegen oder Kaffee kochen werden gemeinsam erledigt. Die junge Frau begleitet ihre Patienten zu Arztterminen oder macht auch mal einen Ausflug in den Zoo. „Eben Dinge, für die viele Angehörige keine Zeit haben.“

13 Hausbesuche keine Seltenheit

Der Job ist nicht leicht, das hat Mary Wagner während ihres Praktikums gelernt. Viele Pflegekräfte arbeiten unter Zeitdruck, bis zu 13 Hausbesuche am Tag sind keine Seltenheit. Für den alten Menschen bleibt da nicht viel Zeit. Als selbstständige Alltagsbegleiterin kann sich die 33-Jährige zwar Zeit nehmen. Die Kosten von rund 20 Euro pro Stunde müssen allerdings selbst finanziert oder zum Teil über die Pflegestufe bezahlt werden. Bei der Arbeit ist Geduld gefragt. Mary Wagner hat etwa jüngst mit vier Demenzkranken „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt – und musste die Spielregeln in jeder Runde neu erklären.

Der Beruf hat eine gute Zukunftsperspektive: Aktuell leiden in Deutschland etwa 1,4 Millionen Menschen an einer Demenz, ihre Zahl wird sich nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie bis 2050 verdoppeln. Sachsen gehört zu den Bundesländern, in denen überdurchschnittlich viele alte Menschen leben. „Und je älter man wird, desto größer ist die Gefahr, an Demenz zu erkranken“, erklärt Vjera Holthoff, Professorin an der Dresdner Uniklinik. Krankhafte Eiweißablagerungen legen dann die Hirnzellen lahm. Botenstoffe stehen nicht mehr zur Verfügung, Nervenzellen sterben ab. Der Prozess beginnt schleichend, anfangs sind nur einzelne Areale betroffen. Vorläufer finden sich schon bei Menschen zwischen 55 und 60 Jahren, über die Jahre hinweg prägen sie sich aus. Oft beginnt die sogenannte Alzheimer-Demenz mit Gedächtnisstörungen: Dinge werden vergessen, den Betroffenen fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden. Abläufe werden durcheinandergebracht, etwa beim Lösen einer Fahrkarte oder Bedienen einer Kaffeemaschine. Erkrankte können sich etwas Neues nur sehr schwer merken. Dennoch gibt es einiges, was man tun kann, so Vjera Holthoff. Zum einen Medikamente, die dafür sorgen, dass der Verlauf zumindest verlangsamt wird. Zum anderen kann etwa Ergotherapie den Gemütszustand verbessern. Weil ein strukturierter Alltag wichtig ist sind gerade Alltagsbegleiter eine große Hilfe, so Holthoff.

Vereinsamung droht

Auch Wohlfahrtsverbände kümmern sich in Dresden um Demenzkranke, unter anderem die Volkssolidarität. Neben zwei Pflegeheimen, in denen etwa 80 Prozent der Bewohner dement sind, fahren die Mitarbeiter auch zu Hausbesuchen, etwa 120 pro Monat stehen auf dem Programm. „Die Tendenz ist steigend“, sagt Geschäftsführer Clemens Burschyk. Zudem werden Betroffene auch zu Hause abgeholt, um sie in Begegnungsstätten für ein paar Stunden mit anderen zusammenzubringen, zu spielen oder Kaffee zu trinken. Drei Gruppen gibt es bereits, eine vierte wird jetzt gegründet. „Vielen Demenzkranken droht die Vereinsamung. Sie da rauszuholen, wird immer wichtiger“, sagt Burschyk.