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Mehr als nur die Hölle Ost

Der ESV Lok Pirna hat 70. Geburtstag gefeiert. Der erste DDR-Weltmeister überhaupt startete für den Klub. Ein besonderes Ziel hat der Verein nicht aus den Augen verloren.

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© Marko Förster

Von Stephan Klingbeil

Die Lok dampft immer weiter. Vor Kurzem hat der ESV Lokomotive Pirna sein 70-jähriges Bestehen gefeiert. Die „Eisenbahner“ bieten mit ihren acht Abteilungen nicht nur seit Jahren zahlreiche Breitensportangebote für Sportbegeisterte in Pirna und Umgebung. Der Verein hat auch viele Erfolge erlebt. Die Copitzer Sprintspezialistin Elfriede Preibisch, geborene Stäps, wurde 1950 dreifache DDR-Meisterin und sicherte sich zwei Titel bei Studenten-Weltmeisterschaften. Und der Pirnaer Eberhard Luther holte 1955 WM-Gold im Asphaltkegeln – es war der erste Weltmeistertitel überhaupt für die DDR.

Anstoßen zum 70. Geburtstag: Lok-Vereinschef Klaus Lehmann, Sportkoordinatorin Birgit Wehner, Volleyball-Leiterin Juliane Hampel und Handball-Manager Uwe Heller (v.l.).
Anstoßen zum 70. Geburtstag: Lok-Vereinschef Klaus Lehmann, Sportkoordinatorin Birgit Wehner, Volleyball-Leiterin Juliane Hampel und Handball-Manager Uwe Heller (v.l.). © Daniel Schäfer

Der Verein wurde 1948 gegründet und hieß zunächst Sportgemeinschaft Reichsbahn, dann SV Lok Pirna und ab 1990 ESV. Schon von Beginn an waren die Handballer im Verein dabei, anfangs auf dem Großfeld unter freiem Himmel, später in der Halle. Die Lok-Pioniere gewannen die Sachsenmeisterschaft 1949, nahmen an der Ostzonenmeisterschaft teil. Zahlreiche Titel wurden erkämpft. Höhepunkt waren die Bezirksmeistertitel im Hallen- und Großfeldhandball 1964 und 1965 und damit der Aufstieg in die 1. DDR-Liga. Auch der aktuelle langjährige Vereinsvorsitzende Klaus Lehmann war damals aktiver Handballer.

Heute stellt die Abteilung rund 100 der 540 Vereinsmitglieder. In den vergangenen Jahren haben die „Eisenbahner“ viele Höhen und Tiefen erlebt. So peilten die ESV-Männer nach der Gründung einer GmbH unter Geschäftsführer Uwe Heller den Sprung in die Zweite Liga an. Aus jener Zeit stammt auch der Spitzname der Heimspielstätte: die Hölle Ost. „Den Namen hat uns unser erster Gegner in der Dritten Liga verpasst“, erklärt Heller, der seit 1976 im Verein ist und einst auf der Kreismitte-Position selbst Handball spielte.

Die Fans sind lautstark, das ehrenamtliche Engagement von Anhängern und Helfern des Vereins ist gewaltig, so etwa das „Rückraum-Team“ des ESV, das mit viel Herzblut Oberliga-Spieltage in der Halle mit vorbereitet und begleitet, emotionale Choreographien ausarbeitet, Partien der Teams im Nachgang medial aufbereitet. Sie sind heute wichtiger denn je für die Lok.

Mit Sponsorengeld und erfahrenen, oft ausländischen Spielern klappte es vor ein paar Jahren sogar fast mit dem Sprung in die Zweitklassigkeit, aber eben nur fast. 2015 war Schluss: Der ESV stieg ab und hätte damals selbst beim Klassenerhalt den Rückzug in die Oberliga angetreten. „Aus wirtschaftlicher Sicht wäre alles andere nicht zu verantworten gewesen“, sagt Heller. „Es stand Spitz auf Knopf.“ Das betraf die Spielerkosten, aber auch die Entfernungen zu den Gegnern in Liga drei: Im Schnitt rund 500 Kilometer pro Spieltag – das kostete Zeit und Geld.

Um die Männermannschaft vor dem Aus zu retten, kam es zum Schnitt. Der ESV setzt seither verstärkt auf Spieler aus der Region und den Nachwuchs, die so auch mehr Spielzeit in den höheren Ligen bekommen sollen. „Diese Saison wollen wir dazu frühzeitig den Klassenerhalt in der Oberliga perfekt machen“, sagt Heller. Das große Ziel Wiederaufstieg sei langfristig nicht abgehakt. „Die Dritte Liga kann und soll irgendwann auch wieder ein Thema für unser Team sein.“

Um heimische Talente zu gewinnen und zu fördern, kooperierte Lok zunächst mit dem HSV Dresden und danach, seit 2017, erfolgreich mit dem SSV Heidenau. Dessen Handballer und Lok haben Männerteams von der Oberliga bis zur Kreisliga und gemeinsame Nachwuchsmannschaften der B-, C-, D- E-Jugend plus Minis – sie alle treten als SG Pirna-Heidenau an.

Während es bei den Handballern vom ESV nur Männer- bzw. Jungenteams gibt, sind in der Abteilung Turnen/Aerobic nahezu ausschließlich Frauen und Mädchen aktiv. Die Sparte ist laut ESV-Sportkoordinatorin Birgit Wehner mit rund 150 Mitgliedern sogar die größte im Verein.

Die Frauensportgruppe des ESV trifft sich ebenfalls regelmäßig. „Wir studieren dann Choreographien ein“, sagt Birgit Wehner, die die Gruppe leitet. Gemeinsam treten sie ab und zu öffentlich auf oder reisen zu Großveranstaltungen wie dem Internationalen Deutschen Turnfest 2017 in Berlin. Doch nicht nur das: Kommendes Jahr wollen die Lok-Frauen an der Weltgymnaestrada im österreichischen Dornbirn teilnehmen. Dort werden rund 20 000 Freizeitsportler aus 50 Nationen erwartet.

Birgit Wehner hofft indes darauf, dass es auch irgendwann eine Männergruppe in der Abteilung gibt. Ferner könnte das Sportangebot durchaus erweitert werden. Die Hoffnungen ruhen hierbei auf der neuen Turnhalle. Der geräumigere Neubau soll die derzeitige viel zu kleine Einfeld-Halle in der Einsteinstraße ersetzen. Pirnas Stadtrat hat grundsätzlich den Weg dafür geebnet.

Für die Kegler würde das indes Abschied bedeuten – von ihrer Zweibahnanlage im Keller. Denn im Neubau sei keine Kegelbahn vorgesehen, es gebe in der Umgebung ausreichend weitere Spielstätten. Derweil steht beim ESV der Breitensport immer mehr im Fokus. Spaß an der Bewegung und gemeinsam Sport zu treiben sei vielen Mitgliedern wichtig. Das gilt für die Alt-Herren-Fußballer genauso wie für Volleyballfrauen oder die Tischtennismänner.

Im Tischtennis war der ESV bis Ende 2016 Landesnachwuchsstützpunkt. Doch Übungsleiter traten kürzer. Talente wechselten nach Wilsdruff, andere zum TSV Graupa. Nun halten Loks Männer die Fahne in Bezirksklasse und Kreisliga hoch. Die Lok dampft also immer weiter. Das kann man auch an der Leichtathletik-Sparte sehen. „Die stand vor drei, vier Jahren kurz vor dem Aus“, so Birgit Wehner. Doch das sei jetzt kein Thema mehr. „Die Nachwuchsarbeit in der Leichtathletik ist sehr gut, rund 50 Kinder trainieren bei uns.“

www.esv-lok-pirna.de