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Mauerfall bringt alles durcheinander

Zufälle passieren jedem einmal. Doch das, was Tino Meier in den Wendemonaten erlebt hat, musste er erst mal verkraften.

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© Steffen Unger

Von Hans Leonhardt

Putzkau. Alles fing ganz unspektakulär an. Nach seiner Tischlerlehre in Putzkau begann der Bischofswerdaer ein Fernstudium zum Ingenieur für Verarbeitung, Rohholz und Holzwerkstoffe. Währenddessen arbeitete er bereits und schloss sein Studium nach fünf Jahren ab. In der DDR wollte Tino Meier schon seit seinem 13. Lebensjahr nicht mehr leben. Das hatte einen einfachen Grund. Sein Cousin war für vier Wochen in Kanada, Meier wollte auch dahin, die Ausreise wurde jedoch nicht genehmigt. „Von da an sagte ich mir, ich will nicht in einem Staat bleiben, in dem ich in den Sommerferien nicht hin kann, wo ich lustig bin“, sagt er lachend. Nach dem Studium beantragte Tino Meier die Ausreise. 1989 war es dann soweit. Davor musste jedoch alles verkauft werden, was Meier und seine Frau an Besitz hatten. Ihr Haus wurde sogar verschenkt. Der Ausreisetermin fiel auf den 14.11.89. Was sich bis dahin noch abspielen sollte, konnte zum Zeitpunkt der Genehmigung keiner ahnen.

An einem Dienstag wollten Meiers die DDR verlassen, am Donnerstag davor fiel die Mauer. Freitag fuhren sie nach Westdeutschland, um sich den Ort anzuschauen, in dem sie leben wollten. Den fanden sie durch einen weiteren großen Zufall. Tino Meiers Frau war im Stadtwald von Bischofswerda spazieren und fand dort einen Luftballon aus Radevormwald bei Remscheid. Dort wurde Stadtfest gefeiert und die Bewohner ließen Ballons steigen, an denen Postkarten befestigt waren. Kurz nach dem Mauerfall besuchten sie also die Familie, die den Ballon geschickt hatte. Dabei redete sein Gastgeber Tino Meier ins Gewissen. Die Chance sich selbstständig zu machen, sei in dieser Zeit des Umbruchs so gut wie nie. Meier sah das ein, allerdings besaß er nichts mehr im Osten. Er machte seine Entscheidung davon abhängig, ob er das Haus wiederbekommt. Das klappte und Tino Meier machte sich als Fensterbauer selbstständig. Zu Beginn seiner Laufbahn fuhr er für acht Wochen nach Radevormwald, um dort etwas über Fenster und vor allem Kunststofffenster zu lernen. In der DDR gab es so etwas nicht. Seine ersten Fenster bezog er auch von dort, mittlerweile bekommt er sie aus Polen.

Kontakte sind am wichtigsten

Im Vergleich zu früher ist die Arbeit ganz anders geworden, sagt Tino Meier. Bis 1995 war er vor allem bei Neubauten tätig, heute konzentriert sich das Geschäft auf Sanierungen. Als Erfinder ist der Fensterbauer und Tischler nebenbei auch noch tätig. Mit einem Freund hat er eine sogenannte Adapterzarge zur Sanierung von Plattenbauten entwickelt. Das Problem ist nämlich: In die DDR-Türöffnungen passen die neuen Türen nicht. Dank der Zarge funktioniert das jedoch. Damit hat es Tino Meier schon ins Fernsehen geschafft.

Das Wichtigste für Tino Meiers Beruf sind Kontakte. Dadurch ist er auch an Aufträge in Berlin gekommen. Auf die Frage, ob der Schritt in die Selbstständigkeit richtig war, weiß Tino Meier keine richtige Antwort. „Wenn es mal schlecht läuft, zweifelt man“, sagt er nachdenklich. „Aber man kann mich auch nicht in ein Büro einsperren“. Ganz wichtig seien die Familie, die hinter ihm steht und: „Heimat ist Heimat, woanders wäre man ein Fremder geblieben“. – „Wenn ich keinen Stress habe, werde ich krank oder wenn ich nicht weiß, was morgen ist“, sagt der Fensterbauer. In den 25 Jahren seiner Selbstständigkeit war er noch nicht einen Tag krank. Die Zukunft sieht leider nicht so gut aus. Noch ist nicht klar, ob es einen Nachfolger für seine Tischlerei geben wird. 15 bis 20 Jahre will Tino Meier noch selbst in der Werkstatt stehen.