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Matheunterricht im Infinus-Prozess

Zahlenkolonnen, unsichere Zeugen, protestierende Angeklagte: Sachsens größtes Betrugsverfahren nimmt allmählich Fahrt auf.

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© dpa

Von Ulrich Wolf

Montagsmorgens um halb zehn im Saal N1.05 am Landgericht Dresden: Der technikaffine Beisitzende Richter Alex Theile hilft der Beamtin vom Landeskriminalamt Sachsen, die Kabel zwischen Laptop und Beamer zu stöpseln. Eine Angestellte des Landgerichts verteilt kopierte Unterlagen an Verteidiger und Staatsanwälte.

Der Hauptbeschuldigte Jörg Biehl schaut gelassen zu, zupft sich derweil das rosafarbene Einstecktuch in der Brusttasche seines Sakkos zurecht. Dass die Verhandlungen in Sachsens derzeit größtem Betrugsprozess um den Dresdner Finanzdienstleister Infinus regelmäßig eine Viertelstunde später als angesetzt beginnen, das regt keinen Beteiligten mehr auf. Man hat sich nach 29 Prozesstagen aneinander gewöhnt, das Mammutverfahren hat inzwischen die stürmische betriebswirtschaftliche See erreicht. Mancher schlägt dabei leck.

Die Beamtin vom LKA beispielsweise. Ihr Job war es, die Liquiditätsströme der Infinus-Gruppe zu analysieren. Der 54 Jahre alte frühere Infinus-Boss Biehl hält ihr entgegen, von 185 großvolumigen Versicherungsverträgen liege sie in 35 Fällen falsch. Sie habe die Laufzeiten nicht korrekt übertragen. Ein Verteidiger macht darauf aufmerksam, dass das Geschäftsjahr nicht jeder Infinus-Firma identisch ist mit dem Kalenderjahr. „Oh, das habe ich falsch gemacht“, sagt die Beamtin. Und räumt ein, mitunter nicht alle Zahlen aus der Infinus-Buchhaltung richtig in ihre Tabellen übertragen zu haben. Der Vorsitzende Richter gibt ihr bis 7. April Zeit, alles zu korrigieren, dann könne man auch ihr Fazit anhören.

Auch Lutz Knop, im Auftrag der Staatsanwaltschaft eingesetzter Gutachter zum Geschäftsmodell von Infinus, kommt mit dem stürmischen Gegenwind der sechs Angeklagten noch nicht zurecht. Der ehemalige Infinus-Jurist Siegfried Bullin etwa doziert wie ein Hochschulprofessor, wie denn der Herr Gutachter die Zukunftsfähigkeit eines Geschäftsmodells prognostizieren wolle, wenn er nicht einmal eine Fünf-Jahres-Hochrechnung gemacht habe.

Da gerät der Wirtschaftsprüfer vom renommierten Großunternehmen Deloitte & Touche ins Schlingern. Allein die sowohl kopfrechnerischen wie auch rhetorischen Fähigkeiten des Vorsitzenden Richters halten ihn über Wasser. Mit dem Satz „Die stillen Reserven in diesem Geschäftsmodell sind bislang nicht entdeckt, vielleicht finden wir sie noch“ zieht er den Gutachter ins Rettungsboot. Ob Infinus mit seinem Geschäftskurs tatsächlich – wie von der Staatsanwaltschaft behauptet – Schiffbruch erlitten hätte, ist weiter offen.

Dass sich die Passagiere an Bord nicht mehr so recht wohlfühlten, zeigten die Aussagen einer Anlegerfamilie aus dem Schwäbischen. Die Kiesgrubenbesitzer verloren bei Infinus einen sechsstelligen Betrag. Sie machten dafür den Vermittler verantwortlich. Der widersprach zaudernd und versuchte zaghaft zu betonen, alles so gemacht zu haben, wie es ihm bei den Schulungen von Infinus vermittelt worden sei.

Die widersprüchlichen Aussagen waren für die Große Wirtschaftskammer Anlass genug, in diesem Fall nun auch nach 2011 wiederangelegte Gelder mit in die Anklage aufzunehmen, was die Schadenshöhe von bislang mindestens 156 Millionen Euro deutlich erhöhen könnte.

Auch Kapitän Biehl wurde kritisiert: von seiner Ex-Geliebten. Die Vorstandsfrau, Geschäftsführerin und Prokuristin, einstige Herrscherin über fasr alle Infinus-Konten, sagte aus, ihre Funktionen hätten nur auf dem Papier gestanden. Der uneingeschränkte Entscheider sei Biehl, das Führungskräftetreffen jeweils dienstags eine „Lawerrunde“ gewesen. Die Offiziere rund um Biehl hätten nicht viel zu melden gehabt. Deren Verteidiger werteten dies gleich auch als Entlastung ihrer Mandanten und gaben entsprechende Erklärungen ab.