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Marokko auf der Sonnenseite

Ein Mega-Solarprojekt im Süden ist der Stolz des Landes. Doch die ärmsten Bewohner der Region fühlen sich abgehängt.

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© Reuters

Von Tanja Tricarico

Wenn sie Wasser braucht, holt Noara Moukhlis den Esel aus dem Stall. Sie belädt das Tier mit leeren Flaschen und führt es an den rund zwei Kilometer entfernten Brunnen. Der Esel trägt ihr die vollen Wasserflaschen zurück zum Haus. Moukhlis lebt in Tasselant, einem Berberdorf unweit von Ouarzazate im Süden Marokkos.

Knapp eine halbe Stunde von Moukhlis Haus entfernt, beginnt die Zukunft der Energieversorgung: Hightech inmitten der marokkanischen Geröllwüste. Ingenieure und Fachleute aus der ganzen Welt bauen ein gigantisches Solarkraftwerk. Noor – übersetzt „Licht“ – heißt die Mega-Baustelle. Mindestens 800 000 Tonnen soll Noor pro Jahr einsparen. Läuft die komplette Anlage, kann das Kraftwerk rund 1,3 Millionen Menschen mit Strom aus Solarenergie versorgen.

Noor ist ein Kraftwerk der Superlative. Über eine halbe Million Parabolspiegel wurden verbaut, eine Fläche von über 1 200 Quadratmeter mit den Spiegelrinnen gespickt. Derzeit wird an einem 240 Meter hohen Solarturm gebaut, auf den Tausende Heliostate ausgerichtet werden. Bei voller Leistung liefert die Anlage sieben Stunden Energie für die Region. Drei Milliarden Euro kostet das Mega-Projekt. Deutschland steuert knapp 830 Millionen Euro bei. Und auch die deutsche Wirtschaft profitiert. Siemens lieferte Turbinen, der Mittelständler Schott die Spiegel, Fachleute des Ingenieurbüros Lahmeyer beraten die Betreiber. Bisher ist nur ein Teil von Noor in Betrieb. Bis Ende 2017 soll der komplette Bau fertig sein.

2 000 Menschen arbeiten nahezu rund um die Uhr auf der Baustelle: Marokkaner, Spanier, Chinesen. Noara Moukhlis Mann ist einer davon. Er arbeitet in der Küche der chinesischen Arbeiter. Sechs Tage die Woche, acht bis zehn Stunden. Wie viel er verdient, sagt Noara nicht, aber das Einkommen der letzten Monate reichte, um in ein größeres Steinhaus zu ziehen. Trotzdem fühlt sich Moukhlis ungerecht behandelt. „Mein Mann arbeitet sehr hart“, sagt die 27-Jährige. Ihr Blick ist ernst, das schwarze Kopftuch lässt ihre feinen Gesichtszüge noch strenger erscheinen. Aber andere, bessere Jobs gebe es für die Leute aus dem Dorf auf der Baustelle nicht, sagt sie. Für die würden Männer aus den Städten bevorzugt.

Zuständig für die Umsetzung des Solarkraftwerks ist die marokkanische Behörde für Solarenergie (Masen). Und die will alles richtig machen. Bis 2030 will Marokko mehr als 50 Prozent seiner Energieversorgung vor allem über Sonne und Wind decken. Dem König des Landes, Mohammed VI., geht es um den Klimaschutz, aber auch um ein Ende der Abhängigkeit von Energieimporten aus Algerien oder Spanien. Irgendwann will Marokko sogar Europa mit Strom versorgen. Die Energie aus der Sonne soll nach Spanien und Portugal fließen.

Noor hat Tarik Bourquouquou zurück nach Marokko gelockt. In Frankreich und Spanien hat der Ingenieur studiert. Jetzt arbeitet er für die marokkanische Energiewende. „Ich bin stolz auf Noor“, sagt Bourquouquou. „Das Projekt ist enorm wichtig für die Region. Es bringt den Menschen Jobs – und sie sammeln Spezialwissen, das sie an andere weitergeben können.“

Hoffnung auf viele Jobs

Bourquouquous Arbeitgeber will vor allem etwas gegen die Armut im Land tun. Dank Noor wurden Straßen und Wasserleitungen gebaut. Auch in Noara Moukhlis Dorf soll die Wasser- und Energieversorgung verbessert werden. Betriebe in der Region bekommen Aufträge, wenn es um Transporte geht, um die Installation von Sanitäranlagen. Auch beim Material wird auf ein „Made in Marocco“ geachtet.

Von den knapp 2 000 Arbeitern auf der Baustelle kommen laut Bourquouquou rund 85 Prozent aus Marokko. Doch für die komplizierte Anlage werden Fachleute gebraucht: Schweißer, Techniker, Konstrukteure. In der Nähe gibt es nicht viele davon, sagt der 36-Jährige.

Die Region rund um Ouarzazate zählt zu den ärmsten des Landes. Boris Schinke, Marokko-Experte bei Germanwatch, kennt den Ärger der Bevölkerung. „Die Bekanntgabe des Kraftwerksstandorts sowie aus dem Zusammenhang gegriffene Arbeitsplatzzahlen haben in der Bevölkerung zu übersteigerten Erwartungen geführt“, sagt Schinke. Noor war der Heilsbringer, der Tausenden zu Jobs verhelfen sollte.

Zurück in Tasselant. Noara Moukhlis gießt Tee auf, bricht süßes Brot, reicht Waffeln. In fünf Tagen wird ihr Mann wieder zu Hause sein, für wenige Stunden. Spätestens in zwei Jahren wird er nicht mehr pendeln müssen. Ist der Bau fertig, verschwinden auch die chinesischen Wanderarbeiter und mit ihnen die Hilfsjobs. Doch davon wissen die Moukhlis noch nichts. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft.