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Marketingchefin für Görlitzer Vorzüge

Andrea Behr will mit der Europastadt-GmbH die lebenswerte Stadt bewerben. Brummelige Taxifahrer spornen sie dabei an.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Sebastian Beutler

Görlitz. Als Andrea Behr in Görlitz ankam, fuhr sie mit einem Taxi. Um die Fahrzeit zu überbrücken, kam sie mit dem Fahrer ins Gespräch, schwärmte über die Stadt und ihre Schönheit. Und stieß auf Unverständnis. Der Taxifahrer wollte sie vom Gegenteil überzeugen. Willkommen in Görlitz. Seit zehn Wochen arbeitet sich Andrea Behr als neue Geschäftsführerin der Europastadt Görlitz/Zgorzelec und damit wichtigste Wirtschaftsförderin der Stadt durch Papiere, aber vor allem sucht sie das Gespräch: Mit den Unternehmern, mit den Görlitzern, fährt Klinkenputzen in die Dresdner Behörden und die Wirtschaftsförderung Sachsen. „Man muss wissen, was wir können, was wir anzubieten haben“, sagt sie, die zuletzt als Marketingchefin bei Veolia Deutschland tätig war.

Dieses Angebot will die gebürtige Görlitzerin schärfen. So arbeitet die 41-Jährige an einem Konzept zum Thema Film, um zusätzliche Touristen in die Stadt zu holen. Als sie jüngst auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin war, erlebte sie zusammen mit ihren Mitarbeitern, wie stark mittlerweile Görlitz mit den Dreharbeiten internationaler oder nationaler Produktionen verbunden wird. „Darin unterscheiden wir uns von anderen Städten Deutschlands.“ Dabei hat Andrea Behr auch vor Augen, wie das kleine Moritzburg von nur einem Film profitiert. Zu Tausenden ziehen Ausstellungen über „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ die Menschen an. „Wenn der Tourist aber in die Filmstadt Görlitz kommt, dann findet er zurzeit noch zu wenig konkrete filmische Anlaufpunkte vor.“

Bislang scheiterten aber alle Bemühungen, auch in Görlitz ein Filmmuseum einzurichten. Nicht zuletzt, weil Requisiten nach den Dreharbeiten zerstört wurden oder auf der Müllhalde landeten. Das will Andrea Behr bei künftigen Produktionen verhindern. So könnte mit den Produktionschefs vereinbart werden, dass die eine oder andere Requisite in Görlitz verbleibt und so eine Filmsammlung entsteht. Aber trotz der bisherigen Praxis gibt es schon filmische Utensilien in der Stadt, und sei es ein ausgestopfter Bär im Naturkundemuseum, der in einem Film mitspielte. „Und da gibt es noch ganz viel Vergleichbares“, ist sich Andrea Behr sicher.

Über Tourismus wird in Görlitz viel geredet. Es ist eine Branche im Aufwind. Mit 280 000 Übernachtungen erzielte die Stadt im vergangenen Jahr einen neuen Rekord. Und dabei sind die kleinen Pensionen und Gästezimmer noch gar nicht berücksichtigt. Darüber wird leicht vergessen, dass die Hauptaufgabe dieser Gesellschaft die Vermarktung des Wirtschaftsstandortes Görlitz ist. Oberbürgermeister Siegfried Deinege hatte deshalb auch die Wahl von Frau Behr zum Anlass genommen, anzukündigen, dass sie „die aktive Investorengewinnung und Unternehmensansiedlung, die Belebung des Innenstadt-Handels oder auch die Wirtschaftsförderung voranbringen wird“. Und da ist ihr Start gleich geprägt von der politischen Debatte um die Steuersätze, die in Görlitz für eine vergleichbar große deutsche Stadt sehr hoch sind. Sie selbst kann daran nichts ändern, ist letztlich auch ihrem Dienstherrn verpflichtet und vermeidet daher, schon in der Anfangszeit Konflikte anzuzetteln. Und zum anderen von den Unsicherheiten rund um das Bombardier-Werk. Auch dazu hält sie sich bedeckt, Vertraulichkeit sei für die Gespräche im Hintergrund ganz wichtig. Dass „vielfältige Bemühungen für eine neue Perspektive“ laufen, an denen die Stadt und der Freistaat beteiligt sind, bestätigt sie aber.

Die Steuersätze, so hoch sie in Görlitz auch sind, seien aber nicht das Hauptthema der Unternehmer. Das hätte sie zuletzt erst wieder am IT-Stammtisch gehört, zu dem sich Unternehmer, Oberbürgermeister Siegfried Deinege und sie trafen. Deren wichtigstes Anliegen: „Die lebenswerte Stadt soll weiter entwickelt und dieses Bild auch landesweit verbreitet werden“, sagt sie. Das hatte sie auch gleich nach ihrer Wahl mitgeteilt, dass sie mitwirken wolle, „Görlitz als lebenswerte Stadt der Zukunft fit zu machen und nachhaltig gut aufzustellen.“ Darin trifft sie sich mit dem Interesse der Görlitzer Wirtschaft. Die Unternehmer wollen gute Fachkräfte finden. Das ist in einer schrumpfenden Region eine Herausforderung. Sie brauchen dazu Partner: die Fachkräfte-Allianz des Landkreises, aber auch die Strukturwandel-Initiative von Sachsen und Brandenburg können dabei helfen.

Und Görlitz braucht Zuwanderer, Fachleute, denn vielen Unternehmen geht es gut, sie wollen wachsen. Auch das ein Eindruck vom IT-Stammtisch. „Für mich ist das eine Schwerpunktbranche der Stadt“, sagt Andrea Behr. „Deswegen müssen wir uns als Standort für IT-Firmen besser vermarkten.“ Das richte sich nach innen wie nach außen. „Denn selbst manches Unternehmen in Görlitz weiß gar nicht, wie breit mittlerweile die IT-Branche in Görlitz vertreten ist.“ Aber auch die Kreativwirtschaft, die gern mit der unteren Jakobstraße in Verbindung gebracht wird, hat für sie Potenzial. Da wirken bei Andrea Behr ihre Veolia-Jahre in Leipzig nach. Künstler, Architekten, auch Lebenskünstler nahmen in Leipzig Stadtteile oder Industriebrachen in Beschlag. „Die Kreativen wandelten die Stadt und verbreiteten eine frische, jugendliche Stimmung. Da haben wir als Stadt Görlitz auch Möglichkeiten.“

Vor allem aber will Andrea Behr für die bestehenden Firmen erster Ansprechpartner sein. Weltkonzerne zum Bleiben oder Kommen zu bewegen, ist eher ein Glücksfall. Dass es trotzdem möglich ist, zeigt das Beispiel Kodersdorf. Mit dem Umland will sie eng zusammenarbeiten und stützt dabei auch den Kurs ihres Aufsichtsratsvorsitzenden, Rolf Weidle. Der hatte erst am Wochenende in der SZ seine Strategie vorgestellt, zusammen mit Kodersdorf und dem Schöpstal Flächen zu entwickeln. Frau Behr sagt darüber: „So können wir unser Knowhow der Verwaltung und der Wirtschaftsförderung einbringen, die umliegenden Gemeinden ihre Flächen.“

Das Bild einer lebenswerten Stadt aber soll auch nach innen wirken, die Görlitzer mitnehmen, die manchmal im Alltagsärger die ermutigende Entwicklung seit 1990 nicht mehr wahrnehmen. Deswegen spiele der Berzdorfer See ja auch so eine große Rolle, weil er die Lebensqualität für die Einwohner schon jetzt hebe, noch ehe er ein Ziel für Urlauber ist.

Oder auch der Görlitzer Handel. Dabei setzt sie auf die Wiederbelebung des Kaufhauses. „Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam mit dem Kaufhaus hochwertiges Einkaufen in Görlitz etablieren können“, sagt sie. „Da bin ich sehr zuversichtlich, dass ein solches Angebot auch kaufkräftige Kreise aus Polen oder dem Görlitzer Umland anzieht.“ Funktioniert das Kaufhaus, kommen auch weitere Geschäfte, die Auswahl steigt, Görlitz als Einkaufsstadt gewinnt. „Wir brauchen Zugpferde und Vielfalt“, bringt es Frau Behr auf einen Nenner. Die Europastadt will dabei helfen. So sollen nochmals die Pläne für kleinere Outlet-Center in der Steinstraße oder auf der Berliner Straße geprüft werden. Und wenn das Kaufhaus einmal fertig sein wird, will die städtische Wirtschaftsförderung auch in die Werbung einsteigen. Doch das ist Zukunftsmusik.

Andrea Behr selbst entdeckt mit ihrer Familie momentan Görlitz. „Von meinem Mann und den Kindern höre ich nur ,Ah‘ und ,Oh‘“, erzählt sie. Sie haben sich Zgorzelec angeschaut, haben schöne Stunden am Berzdorfer See verbracht, das Nachtlesen besucht und die Restaurantszene in der Altstadt genossen. Für Frau Behr steht schon jetzt fest: „Das ist eine lebenswerte Stadt.“ Nun muss sie nur noch den Taxifahrer überzeugen. Doch ist sie da guten Mutes, denn das Ziel ist klar: „Görlitz muss zusammen mit seinen Bürgern Lebensfreude ausstrahlen, um andere Menschen anzuziehen.“