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Maria, Josef und die Feierabendbrigade

Die Großhennersdorfer Pyramide ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Dieses Jahr wird sie 40 Jahre alt.

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© M. Weber/Katharinenhof

Von Susanne Sodan

Großhennersdorf. Christfried Glathe hat in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder dieselbe Frage beantworten müssen: Wann wird die Pyramide aufgebaut? Glathe arbeitet als Handwerker beim Katharinenhof Großhennersdorf. Immer, wenn dessen Bewohner ihn sehen, fragen sie nach der Pyramide. Trotzdem strahlt Glathe, er freut sich ja selber drauf, auf die vier Meter hohe Holzpyramide, die er und seine Kollegen jedes Jahr auf dem Katharinenhof-Gelände aufbauen. Jetzt hat das Fragen ein Ende. Am Montag haben sich Glathe und seine Kollegen ans Werk gemacht, die Einzelteile aus dem Lager geholt. Noch ist die Pyramide auf der Wiese hinter dem Haupthaus verhüllt, aber sie steht. Im Mittelpunkt.

Zum Pyramidenfest an diesem Sonnabend gibt es auch eine kleine Fotoausstellung über die Pyramide. Michaela Formann und Patrick Weißig haben die Bilder rausgesucht, die im neuen Langer-Haus zu sehen sein werden.
Zum Pyramidenfest an diesem Sonnabend gibt es auch eine kleine Fotoausstellung über die Pyramide. Michaela Formann und Patrick Weißig haben die Bilder rausgesucht, die im neuen Langer-Haus zu sehen sein werden. © Matthias Weber

Die Pyramide – sie gehört für die Bewohner vom Katharinenhof einfach zur Weihnachtszeit dazu. Seit mittlerweile 40 Jahren. Mit ihr entstand auch das Pyramidenfest der Einrichtung. „Einmal mussten wir das Fest wegen eines Virus absagen“, erzählt Michaela Formann vom Diakoniewerk Oberlausitz. Aber die Pyramide, die stand trotzdem. Zu ihrem Jubiläum haben Michaela Formann und Patrick Weißig, Sprecher beim Diakoniewerk, in alten Dokumenten und Fotos gekramt.

Angefangen hatte alles mit einem Zeitungsartikel vom Dezember 1975, in dem es um die neue Oberwiesenthaler Marktpyramide ging. Die Zeitung gelangte auch zum Katharinenhof Großhennersdorf. Heute leben hier vor allem erwachsene Menschen mit Behinderung, in den 70er Jahren waren Kinder und Jugendliche in der Überzahl. So eine große Pyramide, das wäre was für die Kinder, besonders, wenn sie motorische Einschränkungen haben, dachten sich die Mitarbeiter des Katharinenhofes damals. „Die Figuren sind anschaulich und einfach nicht so zerbrechlich wie bei kleinen grazilen Pyramiden“, erklärt Frau Formann.

Die Mitarbeiter entscheiden sich: So eine Pyramide wie die in Oberwiesenthal wollten sie auch. Nur, wen danach fragen? Wer die Pyramide gebaut hatte, wusste man damals nicht mehr, falls es überhaupt in dem Artikel gestanden hatte – der wiederum längst zu Altpapier geworden war. Die Leute vom Katharinenhof vertrauten offenbar auf Gott und findige Postboten. Denn sie schrieben einen Brief ins Erzgebirge und adressierten ihn so: An den Schnitzmeister, der die Marktpyramide in Oberwiesenthal herstellte aus 9373 Ehrenfriedersdorf. Gott und Post ließen die Großhennersdorfer nicht im Stich. Der Brief fand den richtigen Adressaten, nämlich die Arbeitsgemeinschaft Holz des Deutschen Kulturbundes Ehrenfriedersdorf. Eine Feierabendbrigade. Später begannen die Briefe stets mit „Lieber Herr Melzer!“ So hieß der Leiter der Truppe.

Es gingen viele solcher Briefe hin und her. „Es muss ein riesiger Arbeitsaufwand über viele Monate gewesen sein“, sagt Michaela Formann. „Und die ganze Arbeit machten die Schnitzer in ihrer Freizeit.“ Wie groß sollte die Pyramide sein? Welche Figuren? Klar, Maria, Josef und Jesus mit Krippe mussten sein, die drei Könige auch, Schafe, Schäfer und natürlich die Sänger. Und reicht überhaupt das Material für eine zweite solche Großaufgabe? „Es ist bemerkenswert, wie das funktioniert hat“, sagt Michaela Formann. Denn es entstand zwischen Großhennersdorf und Ehrenfriedersdorf mehr als eine Geschäftsbeziehung. Man half sich gegenseitig. Die Großhennersdorfer schickten zum Beispiel zwei große Linden-Baumstämme ins Erzgebirge. Deren Holz ist allerdings nicht in den Figuren verbaut. „Die Stämme wurden erst später geschickt.“ Die Ehrenfriedersdorfer wiederum, eigentlich ja die Auftragnehmer, sammelten Geld für den Katharinenhof. Über 1 000 DDR-Mark kamen zusammen. Am 12. November 1977 lieferten die Schnitzer die Figuren in der Oberlausitz aus. Den Innenbau der Pyramide hatten Großhennersdorfer Handwerker übrigens selbst hergestellt.

Seitdem gehört die Pyramide dazu, ebenso das Pyramidenfest, das immer am Sonnabend vorm ersten Advent gefeiert wird. Also diesen Sonnabend. „Es ist bis heute so geblieben, die Bewohner kennen den Ablauf genau“, sagt Michaela Formann. Wiederkehrende Muster, markante Punkte, erklärt sie, seien wichtig für die Menschen im Katharinenhof. Das Pyramidenfest ist solch ein Punkt. Einer, der für große Vorfreude sorgt. Trotzdem, die Pyramide wird stets erst in den Tagen zwischen dem Totensonntag und dem Fest aufgebaut. Wann genau, hängt vom Wetter ab, erzählt Christfried Glathe. Vor allem braucht man dafür Zeit, mindestens vier Leute, einen Kran und Spezialwerkzeug. „Sie soll ja sicher stehen“, sagt Glathe und strahlt wieder. Als letztes, zum Beginn des Pyramidenfestes, werden die Figuren auf die zwei Ebenen gestellt – nachdem sie einmal durch die Reihen der Katharinenhof-Bewohner gegangen sind.