Merken

Manufaktur-Chef privat

In Brasilien sind jetzt bislang unbekannte Dokumente zu Porzellan-Pionier Max Adolf Pfeiffer aufgetaucht.

Teilen
Folgen
NEU!
© Claudia Hübschmann

Von Peter Anderson

Meißen. Modellmeister Uwe Marschner hat extra seinen Urlaub unterbrochen. Vorsichtig fährt er mit seinen Fingern über eine brüchige Mappe. Nur wer genau hinschaut, entdeckt die mit Bleistift in sauberer Handschrift aufgetragenen Namen Paul Scheurich und Max Esser. Die zwei Porzellan-Künstler trugen maßgeblich zum Wiedererstarken der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei. Scheurichs Rokoko-Figuren und Essers Porzellan-Tiere wie der berühmte Fischotter wurden zu Ikonen jener fruchtbaren Epoche. Die Namen beider Künstler sind eng verbunden mit dem Wirken von Manufaktur-Direktor Max Adolf Pfeiffer. Der frühere Chef der Schwarzburger Werkstätten in Thüringen begann seine Tätigkeit in Meißen 1913 als kaufmännischer Direktor und leitete das Unternehmen bis zum Beginn der Nazizeit.

Pfeiffer-Plakette, entstanden zu seinem 50. Geburtstag.
Pfeiffer-Plakette, entstanden zu seinem 50. Geburtstag. © Archiv

Aus der Mappe kommen dünne Blätter zum Vorschein, einzeilig mit Schreibmaschine beschrieben. Offenbar handelt es sich um Aufsätze Pfeiffers, in denen er die Lebenswege Scheurichs und Essers skizzierte. Unter den Blättern finden sich historische Verkaufslisten der Manufaktur mit handschriftlichen Einträgen Pfeiffers. „Das müssen wir uns jetzt erst mal ganz genau anschauen. Bevor wir es an unseren Archivar Dr. Peter Braun übergeben. Der rückt es sonst nicht wieder heraus“, scherzt Marschner.

Familiengeschichte aufgezeichnet

Ihm gegenüber sitzt an diesem Vormittag eine braun gebrannte, schlanke Dame mit sorgfältig frisiertem blonden Haar und nippt an ihrem Kaffee. Sie und die Mappe mit den historischen Dokumenten haben einen weiten Weg hinter sich. Ulrike Julie Maria Pfeiffer ist mit Mann, Tochter, Schwiegersohn und zwei Enkeln aus Brasilien über Zwischenstationen nach Meißen gekommen. Die Enkelin von Max Adolf Pfeiffer möchte ihrer Familie die Manufaktur zeigen und dem Archiv gleichzeitig die Mappe aus dem Familienerbe übergeben.

Die Pfeifferzeit

Max Adolf Pfeiffer war ursprünglich Diplomingenieur für keramische Maschinen und Direktor der Schwarzburger Werkstätten.

Noch im Ersten Weltkrieg setzte er den Bau des dann 1916 eröffneten Werksmuseums durch.

Ab 1922 begann Pfeiffer ein umfangreiches Modernisierungsprogramm. Er ließ unter anderem das Bildhaueratelier erweitern und einen Neubau für die Modelle errichten.

Zwischen 1925 und 1930 wurden die Versuche zur Entwicklung brauchbarer Gießmassen abgeschlossen. Unter Pfeiffers Ägide wurde zudem ein neuer Versatz für das Böttgersteinzeug entwickelt.

In den 20er-Jahren öffnete sich die Manufaktur besonders für von außen kommende Künstler wie Paul Scheurich und Max Esser. Zu erwähnen wären auch Gerhard Marcks oder Richard Langner.

Unter Pfeiffer begann nicht zuletzt die steile Karriere des späteren Professors Paul Emil Börner, der ab 1930 die künstlerische Gesamtleitung der Manufaktur innehatte. Bekannt sind Börners Porzellan-Glockenspiele, aber auch seine klassischen Gefäßformen und Pflanzen-Dekore.

Die Überlieferung der Manufaktur wurde von Pfeiffer ebenfalls gepflegt. Auch durch die in seiner Zeit entstandenen Nachformungen blieb vieles der Anschauung erhalten, was im Weltkrieg später unterging.

1 / 7

Aus ihrer Handtasche zieht Ulrike Julie Maria Pfeiffer ein Buch hervor – eine Überraschung. Niemand am Tisch wusste davon. Es enthält die Familiengeschichte des brasilianischen Pfeiffer-Zweiges. Ein kurzes Blättern, schon gibt es den ersten Hinweis auf Max Adolf Pfeiffer. Ulrike Julie Maria Pfeiffer zeigt das Faksimile eines Briefes ihres Großvaters. „Er hat oft an meine Mutter geschrieben, besonders als mein Vater im Feld stand. Sie hatten eine sehr innige Beziehung zueinander“, sagt die Autorin.

Aufmerksam verfolgt werden ihre Worte von der Leipzigerin Dr. Caren Marusch-Krohn. Mit „Die Pfeifferzeit“ hat sie ein Standardwerk zu jener wichtigen Manufaktur-Epoche herausgegeben. Das Buch ist mittlerweile vergriffen, nur noch antiquarisch erhältlich. „Von Max Adolf Pfeiffer sind sehr wenige private Dokumente und Details überliefert“, sagt die Leipziger Forscherin. Das jetzt unverhofft aus Brasilien eingeflogene Buch könnte genau diese Lücke füllen.

Wohnen in der Manufaktur

Zielsicher schlägt Ulrike Julie Maria Pfeiffer eine Seite mit einem Kinderbild von Wolfgang Pfeiffer, ihrem Vater, auf. Fröhlich, ein bisschen fragend schaut der kleine Junge auf der Fotografie aus. „Im Mikrokosmos stammen meine frühesten Erinnerungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, in der wir in der Clausmühe im Triebischtal, etwas außerhalb von Meißen wohnten“, schreibt Wolfgang. Erst gegen Ende des Krieges zog die Familie in die große Direktorenwohnung im Hauptgebäude der Manufaktur auf der Talstraße. Seine Schulzeit in den Zwischenkriegsjahren verbrachte Wolfgang am Franziskaneum. Kurz nach der Machtergreifung der Nazis endete die schöne Zeit. „Väterchen“, so spricht Wolfgang von Max Adolf Pfeiffer, sei von seinem Posten bei der Porzellan-Manufaktur durch politische Intrigen entfernt worden. „Es waren böse Machenschaften, um seinen Posten für einen NS-Parteigenossen frei zu machen“, heißt es weiter. Wolfgang selbst konnte in München ein Kunststudium beginnen, geriet gegen Ende des Krieges in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Max Adolf Pfeiffer verschlug es im Sommer 1945 nach Selb in Bayern. „Wir bleiben nun zunächst hier in Selb, der Wiederaufbau der Manufaktur in Berlin ist z.Z. noch nicht möglich“, schreibt er an die Familie seines Sohnes. Er schaffe sich eine eigene kleine Privat-Manufaktur. Wenn alle Stränge reißen, hoffe er darauf, mit Bernsteinschnitzen, Amulettschneiden, Silber hämmern und Emaille-Arbeiten noch gutes Geld zu verdienen, fährt der frühere Meissen-Chef in seinem Brief fort.

1948 entflohen Wolfgang und Ulrike Pfeiffer dem Elend im Nachkriegsdeutschland nach Brasilien. „So sehr es mich für Euch freut, dass Eure Reisepläne nun in absehbarer Zeit in Erfüllung gehen werden, so wehmütiger ist es für mich, denn nach menschlichem Ermessen werde ich Euch wohl kaum in 20 Jahren hier wieder begrüßen können“, heißt es in einem der letzten Briefe Max Adolf Pfeiffers kurz vor der Abreise von Sohn und Schwiegertochter nach Übersee. Tochter Ulrike Julie Maria Pfeiffer schließt das Buch. „Ich bin froh, dass die Briefe jetzt hier in Meißen sind.“