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„Manchmal ist meine Kunst auch am Ende“

Günter Peterlein geht in seine dritte Amtszeit als Friedensrichter in Bernstadt. Anderswo ist der Posten lange vakant.

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© Matthias Weber

Bernstadt. Günter Peterlein kommt mit seinem Nachbarn bestens aus. Aber das ist nicht immer so. Bereits seit zehn Jahren versucht Peterlein zu schlichten, wenn andere in Streit geraten sind. Er ist der Friedensrichter von Bernstadt und Schönau-Berzdorf. Zu ihm kommen Familien und Nachbarn, wenn sie alleine keine Lösung mehr finden können. Jetzt geht Günter Peterlein in seine dritte Amtszeit. Im SZ-Interview spricht er über kuriose Streits, Fälle, die auch für ihn schwierig waren und den Weg, wie man am besten zu einer Lösung kommt.

Herr Peterlein, können Sie sich noch an Ihren ersten Fall erinnern?

War das gleich der erste Fall? Nein, aber an einen der ersten Fälle kann ich mich gut erinnern, weil es auch einer der kniffligsten für mich war. Ein älterer Mann, über 80, ist zu mir gekommen. Er hatte Streit mit seinem Schwiegersohn. Das war eine so schwierige Verhandlung, weil die Fronten derart verhärtet waren. Die beiden waren sogar handgreiflich geworden, bevor der Ältere schließlich zu mir kam. Ins Detail kann ich wegen der Verschwiegenheitspflicht nicht gehen. Es handelte sich aber um einen Streit, der schon lange schwelte. Es war keine völlige Funkstille zwischen den beiden, aber sie hatten ihre Kommunikation auf das Nötigste eingeschränkt. Aber es hat eine Einigung gegeben. Der größte Erfolg war für mich, als die beiden sich in die Augen gesehen und sich die Hand gegeben haben.

Ist das das eigentliche Ziel? Die Leute dazu zu bringen, überhaupt wieder miteinander zu sprechen?

Genau das ist die Kunst. Viele können einfach nicht mehr miteinander reden, sondern brauchen mich als eine Art Brücke. Sie erst mal nur mit mir, statt mit dem Gegenüber. Ich sage dann immer: ‚Sprechen Sie doch bitte miteinander.‘

Was sind in Bernstadt und Schönau-Berzdorf die häufigsten Streitthemen?

Grundstücksgrenzen, Wegerecht, manchmal Mieterstreits. Gerade hier in den Ortschaften auf dem Eigen ist das Wegerecht eine große Schwierigkeit. Das hat tatsächlich geografische Gründe. Durch die Hanglagen mancher Orte haben sie hier viele Hinterliegergrundstücke. Also Grundstücke, die nicht direkt an der Straße liegen, sondern ihren Zugang über vorn liegende Grundstücke haben. Nun gibt es aber das Gewohnheitsrecht seit ein paar Jahren nicht mehr. Viele meinen vielleicht: Ich bin mein Leben lang hier durchgelaufen - warum soll ich das jetzt plötzlich nicht mehr dürfen? Dann muss man schauen: Entweder ist im Grundbuch eine sogenannte Grunddienstbarkeit eingetragen. Dann ist das Durchqueren des vorderen Grundstücks gestattet. Oder es gibt eine privatrechtliche Vereinbarung. Die ist aber nicht vererbbar und gilt nur für die lebenden Parteien. Deswegen immer mein Rat: Bei Grundstücksangelegenheiten ist der Grundbucheintrag das Ziel. Der ist ans Grundstück gebunden, nicht an Personen.

Wie viel Jura-Kenntnisse muss man als Friedensrichter haben?

Es ist keine Voraussetzung. Ich bin nicht in der Form an Recht und Gesetz gebunden wie ein Richter. Ich bin ja auch kein Richter, ich vermittle. Bei mir steht am Ende auch kein Richterspruch sondern eine Schlichtung. Ich denke oft: „Ihr lebt doch miteinander, geht an den Gartenzaun, trinkt ein Bier und redet über die Sache.“ Wenn das aber nicht möglich ist, ist es meine Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Am Anfang habe ich mich viel mit anderen Friedensrichtern besprochen. Auch zu Herrn Keßelring, dem früheren Löbauer Amtsgerichtsleiter, hatte ich einen guten Draht. Ansonsten gibt es in der Regel bei den Treffen der Bezirksvereinigung der Friedensrichter Schulungen zu verschiedenen Schwerpunkten. Ich habe früher beim Kraftwerk Schwarze Pumpe gearbeitet und war dort für Materialwirtschaft und Einkauf zuständig. Deshalb habe ich zum Beispiel Grundlagen im kaufmännischen Bereich.

Die Einigung, die am Ende bei Ihnen getroffen wird – ist die eigentlich bindend?

Es kommt darauf an. Es gibt das Tür- und Angelgeschäft, wie wir es nennen. Das sind kurze Auskünfte oder Gespräche ohne ein förmliches Verfahren. Es gibt aber auch Fälle, bei denen am Ende die Einigung in einem Protokoll festgehalten wird. Ein solches Protokoll ist 30 Jahre lang rechtlich bindend. Solche Fälle habe ich im Schnitt fünfmal pro Jahr.

Was war der kurioseste Fall?

Zwei Frauen, eine Katze. Der einen Dame gehörte die Katze, die andere hat sie regelmäßig gefüttert. Die Besitzerin der Katze hatte die Angst, die andere Frau könnte ihr das Tier wegnehmen.

Wie haben Sie das denn gelöst?

Mit viel Zureden auf beiden Seiten. So was hat man manchmal auf dem Tisch. Bellende Hunde waren auch schon Thema. Aber man kann einem Hund nun mal nicht sagen, dass er nur von sechs bis zehn Uhr und dann wieder ab 13 Uhr bellen darf. Geruchsbelästigung: Da ging es um einen Hühnerstall und eine darüberliegende Wohnung, in die der Geruch der Hühner zog. Aber das konnten wir lösen, indem zumindest die Zugangstür zu dem Stall auf eine andere Seite versetzt wurde.

Wie gehen Sie allgemein vor, um einen Streit zu schlichten?

Die Leute kommen nicht selten mit Wut im Bauch zu mir. Ich lasse diejenigen erstmal erzählen und höre nur zu. Das muss man lernen. Vielen hilft es aber schon, sich mal die Leber freireden zu können, ohne dass einer unterbricht. Danach frage ich gezielt nach. Welche Punkte sind es, die stören? „Schildern Sie mir jetzt mal das Problem.“ Da muss die Denkmaschine arbeiten. Bei manchem kommt dabei auch die Einsicht, dass der andere nicht der Einzige ist, der Schuld ist. Außerdem lasse ich mir vom Antragsteller aufschreiben, was genau er sich vom Streitgegenüber wünscht. Was ist die Zielstellung? Auch damit wird vieles schon klarer. Und dann kann man sich zur Verhandlung zusammensetzen.

Wie merken Sie es, wenn keine Einigung möglich ist?

Wenn ich nach Gesprächen mit den Parteien in eine Verhandlung gehe, dann meistens mit ein paar Ansätzen, wie man die Sache womöglich lösen könnte. Wenn gar nichts akzeptiert wird, wenn ich merke, da ist überhaupt kein Einigungswille... na, dann breche ich die Verhandlung ab. Ich hatte auch schon Fälle, dass auf beiden Seiten gar keine Bereitschaft war, sich zu entschuldigen, Dinge zurückzunehmen, wo Beschimpfungen fallen. Wenn keine Bereitschaft für ein akzeptables Gesprächsniveau da ist, dann ist meine Kunst am Ende.

In Ostritz wird schon lange ein Friedensrichter gesucht, keiner will das Amt. Können Sie sich erklären, warum?

Es ist kein begehrtes Amt. Man schafft sich nicht nur Freunde. Es kommt auch mal ein Anruf, auf den man nicht gewartet hat. Ich lasse mir zum Beispiel auch direkt, wenn die Einigung getroffen ist, das Protokoll unterschreiben. Sonst beseteht die Gefahr des Grübelns, wenn man wieder alleine ist. Bei der Verhandlung hat man das Gegenüber vor Augen, alleine werden die eigenen Ziele wieder stark. Da fängt man an zu überlegen: Hätte ich nicht dies oder jenes noch aushandeln sollen? Aber ohen Kompromisse geht es nicht.

Hat sich das Streiten in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Da wären wir wieder bei dem Thema Wegerecht. Zu DDR-Zeiten war es jedem wurscht, wer wo langfuhr. Aber die Grundlagen haben sich geändert. Wegerecht ist auch eine Geldfrage geworden. Es hängen Abwassergebühren dran, Kosten für die Pflege. Ich kann bei solchen Fällen oft beide Seiten verstehen. Der eine sagt: Es war doch immer so, hier bin ich doch immer langgegangen. Der andere hat die Kosten und die Arbeit für die paar Quadratmeter Fußweg und sieht, dass der andere sich nicht beteiligt. Geld ist ohnehin ein Thema, das an Bedeutung gewonnen hat. darüber wird heute mehr gestritten.

Gespräch: Susanne Sodan