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Sprengkraft wie Handgranaten

Handchirurg Dr. Christian Otis Lorenz aus dem Klinikum Pirna über illegale Böller, Verletzungen und Heilungschancen.

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© Norbert Millauer

Herr Dr. Lorenz, zünden Sie zu Silvester eigentlich selbst noch Feuerwerke?

Ja, natürlich, das gehört doch dazu. Zum Leidwesen meiner Familie verbinde ich das aber oft mit Vorträgen über die Sicherheit.

Aber ich dachte, als Handchirurg ist man da vorsichtiger, weil man ja die Verletzungen kennt …

… ja, sicherlich. Aber gerade wir als Eltern haben ja auch eine Vorbildfunktion. Kinder lernen von den Eltern. Und wenn sie sehen, wie man ein Feuerwerk richtig und sicher anzündet, vermeidet man ja später Schlimmeres.

Aber sie zünden nicht aus der Hand, oder?

Nein, auf keinen Fall. Es gibt genügend sichere Sachen, beispielsweise Raketen, die man aus Flaschen startet. Oder größere Batterien, die man hinlegen und anzünden kann. Da ist die Verletzungsgefahr äußerst gering.

Kommen Sie denn überhaupt zum Feuerwerken? Silvester ist doch sicher die Hochzeit für Handverletzungen?

Ja, das stimmt. Ich habe meistens Silvester Dienst und dabei immer Patienten mit Handverletzungen. Das fängt praktisch mit dem Tag an, ab dem die Knaller verkauft werden. Ich finde das aber richtig: Wenn eine Klinik schon einen Handchirurgen hat, dann soll sie ihn auch zu solchen Stoßzeiten einsetzen. Dieses Jahr gibt es aber eine Ausnahme, Silvester ist dienstfrei.

Welcher Mix begünstigt denn Handverletzungen, die durch Knaller verursacht werden?

Die meisten Fälle passieren, wenn Alkohol mit im Spiel ist, dann werden die Leute leichtsinnig. Zu Silvester ist das aber so eine Sache, da gehört ja Alkohol auch irgendwie dazu. Man kann ja nun nicht zu jedem sagen, der ein Feuerwerk zünden will, dass er nichts trinken darf.

Unterschätzen die Leute auch die Kraft solcher Feuerwerkskörper?

Ja, viele sind sich nicht bewusst, was sie da in der Hand halten. Ich hatte mal einen Fall, da hat einer seinem Freund so einen angezündeten China-Böller mit den Worten „Halt mal!“ in die Hand gedrückt. Der Freund dachte, es sei ein harmloser Knaller. Als der dann explodierte, hat der Freund vier Finger verloren.

Gibt es hier regional andere Verletzungsmuster als anderswo?

Ja, bedingt durch die Grenznähe zu Tschechien und auch Polen. Es ist hier viel leichter, an illegale Böller zu kommen. Damit steigt das Risiko schwerer Verletzungen.

Welche Sprengkraft können solche illegalen Böller erreichen?

Sie erreichen teilweise die Sprengkraft scharfer Armeemunition. Viele der illegalen Böller haben durchaus die Durchschlagskraft einer Bundeswehr-Handgranate.

Wie wirkt sich das auf den Körper aus?

Geht so ein Böller in der Hand hoch, ist das verbunden mit einer starken Druckwelle. Diese Kraft wandert durch das Gewebe und zerstört es unter Umständen massiv.

Welche Handverletzungen treten nach solchen Böller-Explosionen auf?

Häufig sind es Verbrennungen jeglichen Grades, manchmal nur kleine Sachen, oft aber auch schlimmer. Sehr häufig gehen auch die Gelenke kaputt, weil sie die schwächsten Stellen in den Fingern sind. Es geht weiter über Knochenbrüche sowie Nerven- und Gefäßschäden. Im schlimmsten Fall verliert der Betroffene einen oder mehrere Finger.

Was für Folgen gehen damit einher?

Es meist sehr langwieriger Heilungsprozess, oft drei bis sechs Monate Arbeitsunfähigkeit, einige haben deswegen auch schon ihren Beruf aufgeben müssen.

Was sollte man tun, wenn ein Knaller in der Hand explodiert und man dadurch verletzt wird?

Das hängt davon ab, wie schwer die Verletzung ist. Bei leichten Verbrennungen reicht es aus, sie zu kühlen. Zur Sicherheit sollte man aber dennoch danach einen Arzt aufsuchen.

Und bei schweren Verletzungen?

Wunden möglichst mit sterilen Tüchern abdecken, das ist immens wichtig. Und immer den Rettungsdienst rufen. Die Einsatzkräfte können am besten beurteilen, wie schwer die Verletzung tatsächlich ist und wie gezielt geholfen werden kann. Der Rettungsdienst fragt beispielsweise schon von unterwegs an, in welcher Klinik der Fall behandelt werden kann.

Wo ist das hier möglich?

Spezielle Handchirurgen gibt es in den Kliniken Pirna, Freital, Dresden-Friedrichstadt und in der Dresdner Uniklinik. Für richtig schwere Fälle gibt es Spezialkliniken in Jena, Halle, Leipzig und Berlin. Das sind alles Orte, die mit dem Hubschrauber noch in vertretbarer Zeit zu erreichen sind.

Was kann der Handchirurg nach solchen Verletzungen wieder richten?

Er kann Gewebe und Knochen stabilisieren und unter allen Umständen versuchen, sämtliche Handfunktionen zu erhalten. Auch durchtrennte Sehnen und Nerven lassen sich häufig rekonstruieren. Es gibt in einigen Fällen auch die Möglichkeit, abgetrennte Gliedmaßen zu replantieren. Solche Fälle übernehmen aber die großen Spezialkliniken, allen voran Jena.

Also sollte man abgetrennte Finger auf alle Fälle mit in die Klinik bringen, sofern man noch daran denkt?

Ja, auf alle Fälle, am besten eingepackt in sterile Tücher und gekühlt mit Eis. Das Eis sollte aber nicht direkt an das Gewebe kommen, um Erfrierungen zu vermeiden. Mehr als sechs Stunden sollten allerdings zwischen Unfall und Replantations-Versuch nicht vergehen.

Das Gespräch führte Thomas Möckel.