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„Man sollte es einfach mal versuchen“

Wie sächsische Betriebe Fachkräfte im Ausland finden – und für Sachsens Ruf werben.

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Von Georg Moeritz

Hier fällt nicht der Merkel-Satz: „Wir schaffen das.“ Im Kreis von rund 50 Unternehmern in einer Chemnitzer Gaststätte steht der Chef der Software-Firma Nettask und sagt: „Man sollte es einfach mal versuchen.“ Mehrere Syrer mit guten Englischkenntnissen arbeiten in dem Betrieb, berichtet Firmenchef Marko Rutzke aus Hohenstein-Ernstthal. Allerdings sind die Syrer einstweilen nur Praktikanten. Sie sind auch nicht als Flüchtlinge ins Land gekommen, sondern als Studenten an die Chemnitzer Universität.

Spanier mit Händchen für Holz: Ingenieure in den Deutschen Werkstätten Hellerau stellen sich als Pablo (von links), Rodrigo, Martín, Ramón und Jorge vor. Der Dresdner Betrieb beteiligt sich am Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen. Fotos: Kairospr
Spanier mit Händchen für Holz: Ingenieure in den Deutschen Werkstätten Hellerau stellen sich als Pablo (von links), Rodrigo, Martín, Ramón und Jorge vor. Der Dresdner Betrieb beteiligt sich am Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen. Fotos: Kairospr © kairospress

Nettask-Chef Rutzke ist sicher, dass er seinen ersten syrischen Praktikanten nach Studienabschluss einstellen wird. Dessen Englisch sei gut, das sei wichtig in der Branche. Auf einer Jobmesse war die Software-Firma eine von wenigen, die sich auf Englisch präsentierte. „Das bringt ungeheuren Zuspruch“. Rutzke kann ausländische Experten brauchen – aus seiner Sicht herrscht Fachkräftemangel in der Software-Branche und innerdeutscher Wettbewerb um Nachwuchs.

Die Softwarefirma Nettask gehört zu den Gründern des Vereins Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen. Mit zehn Mitgliedern hat der Verein im Sommer begonnen, am Mittwoch übergab Vorstandschef Andreas von Bismarck die Mitgliedsurkunde an die Industrie- und Handelskammer Chemnitz (IHK). Mit ihr sind mehr als 50 Firmen und Institutionen in dem Klub vereint. In seinem Werbefaltblatt ist von Flüchtlingen keine Rede. Der Verein will „fremdenfeindlichen Tendenzen durch Aufklärungsarbeit entgegenwirken“.

Die Unternehmer in dem Verein sorgen sich um den Ruf Sachsens. Da die Wirtschaft auf internationale Kontakte und Fachkräfte angewiesen ist, will der Verein durch Integration Zuwanderung fördern. Dass es dabei um „qualifizierte Zuwanderung“ gehe, betont Hans-Joachim Wunderlich. Der IHK-Hauptgeschäftsführer hofft auf Einwanderer, die drei Kriterien erfüllen: Ausbildung, deutsche Sprachkenntnisse und den Willen, die Gesetze zu beachten. Derzeit fehlen laut Wunderlich etwa Klempner, Altenpfleger, Baufachleute und „zuverlässige“ Kraftfahrer. Die einheimische Bevölkerung schrumpft und altert.

Auf spanische Ingenieure verlässt sich das Traditionsunternehmen Deutsche Werkstätten Hellerau GmbH. Firmensprecher Konstantin Kleinichen berichtet, dass vor vier Jahren acht Holz-Experten angeworben wurden. Die Vornamen kennt er auswendig und beginnt mit Rodrigo und Pablo. Acht kamen, drei gingen wieder, dafür holte die einzige Frau ihren Mann nach. So arbeiten nun sechs Spanier in dem Betrieb, der in der DDR für Schrankwände bekannt war und heute statt Massenware Innenausbauten für Jachten konstruiert.

Hellerau-Sprecher Kleinichen ist ebenso wie der Nettask-Chef zum ersten Vereinstreffen „Wirtschaft im Dialog“ gekommen, um ein Beispiel zu geben. Doch typisch am Weg zu neuen Mitarbeitern scheint nur zu sein, dass es keine eingefahrenen Pfade gibt. „Eher zufällig“ seien die Deutschen Werkstätten zu ihren Ausländern gekommen, berichtet Kleinichen. Zwar habe das Unternehmen Niederlassungen in Russland und in der Schweiz, ein Gemeinschaftsunternehmen in der Türkei sei nicht gelungen, aber eines mit Chinesen in Vorbereitung.

Kontakte mit Spaniern ergaben sich etwa über den Ausbau einer Privatbibliothek im Stil des Architekten Antoni Gaudi. Die Dresdner erfuhren von der hohen Arbeitslosigkeit in Spanien und organisierten selbst eine „kleine Jobmesse“ im Wallfahrtsort Santiago de Compostela. Danach kümmerte sich der Betrieb um Unterbringung und Sprachkurse, Behördenformulare und Versicherungen. Eine Mitarbeiterin hatte damit Erfahrung aus einer früheren Arbeitsstelle, berichtet Kleinichen. Flüchtlinge waren mal als Praktikanten im Betrieb, aber mehr hat sich nicht ergeben.

Vereinschef von Bismarck, Chef des Maschinenbaubetriebs Terrot, findet bei der Suche nach Mitarbeitern nur schwer den Überblick über Aufenthaltsrecht und Qualifizierung: „Man kann sehr schnell verzweifeln, ehe man den ersten Menschen zu Gesicht bekommt“, sagt er. Als Helfer für kleinere Unternehmen stellt sich Uwe Müller von der „Leitstelle Zuwanderung“ in Dresden vor. Mit einem Kollegen hat er seit einem Jahr Tipps im Internet zusammengestellt und 60 Anfragen bekommen. Vor allem Kurierfahrer wurden gesucht, auch Fleischer. Müller verweist in solchen Fällen an den Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur, kennt aber keinen Fall, in dem ein Flüchtling in Arbeit vermittelt wurde. In Reichenbach im Vogtland wird in wenigen Wochen ein „Impuls-Mobil“ 30 Flüchtlinge zu sechs Praktikumsbetrieben bringen.

Der Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen bereitet nun Workshops zur „interkulturellen Öffnung“ vor. Unternehmer sollen erfahren, wie sie mit ihren einheimischen Mitarbeitern über Ängste vor Fremden sprechen können. „Jede Belegschaft ist vielfältig, da ist auch Schlagfertigkeit gefragt“, sagt von Bismarck.

www.welcomesaxony.de

www.leitstelle-kmu-sachsen.de