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„Man kann nicht wie eine Uhr immer laufen“

Pfarrer Joachim Rasch kam vor einem Jahr nach Bischofswerda. Er ist heimisch geworden. Und nachdenklich geblieben.

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© Steffen Unger

Von Gabriele Naß

Bischofswerda. Was macht ein Pfarrer sonntags nach dem Gottesdienst? Joachim Rasch zieht sich gern in die Berge zurück. Und nicht nur sonntags. In diesem Sommer war er mit Frau Ebba Ludewig auf Wanderurlaub in den französischen Alpen und dort mit Zelt unterwegs. Darin sind die beiden, nach Natur und Ruhe suchend, erprobt. Jetzt hat den Pfarrer der Alltag wieder. Frau Ludewig, die nach der Hochzeit ihren Namen gern behalten wollte, bereitet sich nach längerer Krankheit auf den Wiedereinstieg in ihren Beruf vor. Sie ist Sozialpädagogin und arbeitet in Kamenz in der Schwangeren- und Familienberatung.

Keine freie Minute

Bischofswerdas evangelischer Pfarrer Rasch hat einen vollen Terminkalender. In die Gottesdienste teilt er sich mit Tobias Mickel, der die Leitung der Gemeinde aus gesundheitlichen Gründen an Joachim Rasch abgab. Seelsorgerischen Dienst – bei Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen zum Beispiel –  erfüllt größtenteils Pfarrer Mickel. Joachim Rasch braucht als Leiter der Kirchgemeinde fast die Hälfte seiner Zeit, sich um Kirchgebäude, Kirchgemeinde und Pfarrhäuser zu kümmern, um Bauangelegenheiten, die Finanzen und das Personal: zwölf Mitarbeiter und rund 2400 Gemeindeglieder. Der finanzielle Spielraum wird enger, weil Gemeinden nicht mehr wie bisher mit Zuschüssen der Landeskirche rechnen können und seit diesem Jahr verpflichtet sind, Rücklagen für den Erhalt ihrer Gebäude zu bilden. Die Höhe ist festgeschrieben. Pfarrer Rasch, der es noch offen lässt, darüber öffentlich zu sprechen, was das im Einzelnen nach sich zieht, sieht natürlich, womit die Entwicklung zusammenhängt: „Die Mitgliederzahl der Gemeinde sinkt wie fast überall. Das liegt vor allem daran, dass mehr Gemeindemitglieder sterben als durch Taufen neue dazukommen. Wir leben in einer Zeit, in der die Zugehörigkeit zu einer Kirche nicht mehr selbstverständlich ist, sondern eine eigene aktive Entscheidung erfordert.“ Er wünsche sich, „dass wieder mehr Menschen den Mut haben, zu sagen: Ja, ich glaube an Gott, gehöre zur Kirche und bringe mich aktiv ein.“ Es gehöre dazu, „dass die Gemeinde offen und einladend ist auch für Menschen, die nicht schon eine kirchliche Prägung mitbringen.“

Zwei Gottesdienste am Sonntag

Veränderungen gehören zum Alltag des Pfarrers. Als sich Joachim Rasch nach Amtsantritt gemeinsam mit Tobias Mickel überlegt hat, wie sie die Arbeit organisieren, war schon fast klar, dass auf beide mehr zukommen würde. Die Bischofswerdaer Pfarrer haben inzwischen die Vertretung für Putzkau, Schmölln und Demitz übernommen, weil dort im Mai die Pfarrerin wegging. Inzwischen ist entschieden, dass sich Putzkau und Schmölln als Schwestern-Kirchgemeinden im Januar mit Bischofswerda verbinden, während Demitz sich nach Burkau orientiert. Ein Strukturwandel, der nicht automatisch in den Kopf eines jeden will. Aber Pfarrer Rasch macht Mut. Schon jetzt predigen er und sein Kollege sonntags oft in zwei Kirchen. Den ersten Gottesdienst gibt es neun Uhr, den zweiten 10.30 Uhr – immer in der Stadt, aber abwechselnd auch in Großdrebnitz oder Goldbach. Kirche so nah wie möglich. Das wollen die beiden Bischofswerdaer Pfarrer auch für Putzkau und Schmölln möglich machen. „Wir alle brauchen menschliche Beziehungen, wir brauchen es, in einem Raum leben zu können, in dem wir uns kennen. Das kann man nicht in Strukturen lösen“, sagt Joachim Rasch. Verharren in alten Strukturen sei jedoch trotzdem nicht möglich bei sinkenden Bevölkerungszahlen. Seine Kirchenleitung gehe davon aus, dass ein Landpfarrer rund 1500 Gemeindeglieder betreuen kann. Die Gemeinde sucht dafür nach Lösungen. So gibt es gemeinsam gefeierte Gottesdienste, wenn es sich wie zu Himmelfahrt und Schulanfang anbietet. Aber an jedem Sonntag? Pfarrer Rasch meint, „der Platz zum Beten und um auf Gottes Wort zu hören, lässt sich nicht beliebig zusammenfassen.“

Vernunft und Miteinander

Joachim Rasch kam vor einem Jahr aus Sebnitz nach Bischofswerda. Fast zeitgleich kamen über die Balkanroute die Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder Afghanistan. Durch die damals hier vom Freistaat eröffnete Erstaufnahmeeinrichtung strandeten die Fremden in Massen und gegen den Willen vieler in der kleinen Stadt. Pfarrer Rasch gehörte zu den Ersten, die die Fassung wieder fanden und wussten, was zu tun ist. Er gehörte zu denen, die sich trauten, laut von Vernunft und Miteinander zu sprechen. Er sprach in der Christuskirche Friedensgebete. Viel mehr Menschen als sonst kamen. Seine ständige öffentliche Präsenz in der für Bischofswerda ungewohnt schwierigen Zeit hält der Pfarrer für selbstverständlich. „Diese Situation hat sich Bischofswerda nicht ausgesucht. Solche Sachen legt einem der liebe Gott vor die Füße, damit muss man umgehen.“

Keine Angst vor der Zukunft

Mit den vielen Bildern von Terror und Tod und deren Deutung tut sich der Pfarrer schwer. „Ist es überhaupt möglich, einen Sinn im Tod derer zu finden, die Opfer eines Anschlags wurden?“ Er macht sich viele Gedanken darüber, warum so viele Menschen weltweit mit Sorgen und Angst leben müssen. Auch bei uns. Er selbst sei nicht frei davon. „Doch wir brauchen uns nicht von der Angst bestimmen zu lassen. Wir leben in einem reichen Land, materiell geht es uns so gut wie keiner Generation vor uns. Aber vielleicht gerade deshalb wird die Unsicherheit der Zukunft bedrohlicher und weniger hoffnungsvoll empfunden. Doch als Christen können wir getrost leben – im Sinne von gelassen und besonnen, voll Gottvertrauen. Christliche Gemeinde soll dazu ermutigen und kann es.

Die Ruhe genießen

Familie Ludwig-Rasch wohnt im Pfarrhaus der Gemeinde in Großdrebnitz. Als wir uns hier treffen, nehmen wir auf der Terrasse hinterm sanierten Fachwerkhaus Platz. Es ist warm, die Sonne scheint. Gibt es einen schöneren Platz? Wir sind umgeben von großen Wiesen, Pflanzen in Beet und Töpfen, hohen Bäumen und einem Bauergarten. Wir haben Ruhe. Nur die Glocken der nahen Kirche sind zu hören. Frau Ludewig liebt das alles sehr, „ich bin so gern draußen“. Das Umfeld erinnert sie an früher, als sie in einer Gärtnerei aufgewachsen ist. Sie hat zuerst auch Gärtnerin gelernt und später, als schon Kinder da waren, noch studiert. Nun baut sie aus Freude Blumen an und zieht alles mögliche Gemüse groß. „Frische macht einen besonderen Geschmack.“ –  Etwas mehr als früher gönnt sich ihr Mann das Zuhause sein, im Garten zu helfen oder die Ruhe zu genießen. Bevor er nach Bischofswerda kam, gab es für Joachim Rasch nur selten frei. Den Wechsel hierher wollte er nutzen, über sich nachzudenken, um Wege zu finden, sich zu beschränken. „Man kann nicht wie eine Uhr immer laufen“, sagt er – und hält sich nun den Montag möglichst frei. Dabei merkt er schon: „Das tut mir und anderen gut.“ Pfarrer Rasch ist Jahrgang 1963. Arbeiten muss er wie jeder, der keine Vorzüge für vorzeitigen Ruhestand in Anspruch nehmen kann, bis 67. Und das möchte er gern hier. Hier habe er so viele Menschen um sich, mit denen er gern arbeitet. Rund 80 Ehrenamtliche und Mitarbeiter der Gemeinde feierten kürzlich mit ihm und seiner Frau erst Gottesdienst und dann ein schönes Sommerfest vorm Pfarrhaus.