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Mama, Papa, Sophie

Vor 13 Jahren haben die Krügers ein Mädchen aus Südafrika adoptiert. Was können sie heute über Rassismus in Dresden erzählen?

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© André Wirsig

Von Anna Hoben

Blicke sagen mehr als Worte, und wenn man ein Kind aus Afrika adoptiert, lernt man eine ganze Palette an Blicken kennen. Sabine Krüger kann davon erzählen.

Im Oktober 2002 berichtete die Sächsische Zeitung über die Adoption von Sophie. Damals entstand dieses Familienfoto.
Im Oktober 2002 berichtete die Sächsische Zeitung über die Adoption von Sophie. Damals entstand dieses Familienfoto. © Jürgen Lösel

Vom Blick des hellhäutigen Mannes, abschätzig, vermeintlich wissend: Aha, die hat es mit einem Schwarzen getrieben. Vom Blick des dunkelhäutigen Mannes, irgendwie kumpelhaft: Hallo Schwester, wir sind verbunden. Von den Blicken älterer Frauen, sie musternd, von oben bis unten: Die hat wohl keinen anderen gefunden. „Ein Blick“, sagt Sabine Krüger, 51, „und man ist abgelegt in einer Schublade“.

Dann blickt sie zu ihrem Kind, hier auf dem Balkon ihrer Wohnung in Trachau – und alle anderen Blicke werden unwichtig: Sophie Charlotte Prudence, 13 Jahre, geboren in Johannesburg, Südafrika, als Prudence Masuku. Sophie besucht das Sempergymnasium, sie singt, spielt Klavier und kann stundenlang in Büchern versinken. Sie hat Hip-Hop getanzt, aber wieder damit aufgehört. Sie liebt große Städte, Berlin, Paris, London, am liebsten sitzt sie in Straßencafés und beobachtet die Menschen.

„Wir wussten sofort, das ist unsere Tochter“

Die Eltern wissen nicht mehr, wann sie die Adoption zum ersten Mal ihrer Tochter gegenüber thematisiert haben. „Wir haben von Anfang an so darüber gesprochen, dass sie es mitbekommt“, sagt Uwe Korzen-Krüger. Im Sommer 2002 waren sie nach Südafrika geflogen, um das sieben Monate alte Mädchen zu sich zu holen. „Wir wussten sofort, das ist unsere Tochter“, sagte der frischgebackene Papa damals in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung. Heute ist er 54, ein zurückhaltender Mann, dem man anmerkt, wie stolz er auf seine hübsche Tochter ist – wie jeder Papa eben. Die Krügers arbeiten beide in Behörden des sächsischen Innenministeriums und sind, soviel sie wissen, das einzige Paar in Dresden, das ein afrikanisches Kind adoptiert hat. Sie kennen noch eine Familie in Pirna mit zwei Mädchen aus Äthiopien.

Wie ist das mit einem andersfarbigen Kind in Dresden im Jahr 2015? In einer Stadt, in der die Unterkünfte von Menschen angegriffen werden, weil sie anders aussehen. In einem Land, das um Haltung ringt und sich eingestehen muss: Wir haben ein Problem mit Rassismus.

Natürlich hat die Debatte über Asylbewerber nichts mit Sophie zu tun, einerseits. Natürlich hat die Debatte darüber, wie wir mit Menschen aus anderen Teilen der Welt umgehen, mit Sophie zu tun, andererseits. „Warum ist es für viele Menschen so wichtig, wie jemand aussieht?“ Sophie grübelt. „Vielleicht, weil sie es nicht mögen, wenn jemand anders ist als sie.“

Komische Blicke, blöde Sprüche

Jedes Jahr zu Pfingsten trifft sich Sophie mit anderen adoptierten Kindern aus Afrika. Die meisten leben in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen. Dieses Jahr waren sie in Rheinland-Pfalz. Einmal gingen sie ins Schwimmbad, eine Gruppe von 25 dunkelhäutigen Kindern mit Betreuern. Der Mann an der Kasse machte große Augen und fragte: „Alles Asylantenkinder?“ Komische Blicke, blöde Sprüche – Sophie kennt das. Ihre Mutter sagt trocken: „Es ist beruhigend, dass es dort in der Provinz auch nicht anders ist als hier.“

Hier, in Dresden. Bereut haben sie es bislang noch nie, dass sie in dieser Stadt leben. Sie haben Sophie gefragt: Sie habe keine negativen Erlebnisse gehabt, sagt sie. In ihrem Umfeld ist ihre Hautfarbe kein Thema. „Meine besten Freundinnen vergessen das“, sagt Sophie. „Wir vergessen es auch“, sagt Sabine Krüger. Erst wenn es von außen gespiegelt wird, wird es ihr bewusst. Bei den Blicken, Kommentaren. Wenn jemand in der Straßenbahn, ohne zu fragen, Sophies Zöpfe anfasst. Das kam ein paarmal vor, als sie noch kleiner war. Solche Aktionen sind selten böse gemeint, sondern basieren auf der Neugier gegenüber dem vermeintlich Exotischen, aber es sind eben Grenzüberschreitungen. Viele Dunkelhäutige können davon erzählen. Im Magazin der Süddeutschen Zeitung schrieb vor Kurzem ein schwarzer junger Mann aus Leipzig unter Pseudonym über seine Erfahrungen. Mit Kindern, die ihn auf Geheiß ihrer Eltern anfassen, um zu schauen, ob die Farbe abgeht. Aber auch mit Erwachsenen, die sich im Bus woanders hinsetzen oder auf der Straße vor ihm ausspucken.

„Ich komme aus Dresden“

Sophie wird in ihrem Leben wahrscheinlich noch viele Male gefragt werden: „Wo kommst du her?“ Sie wird antworten: „Aus Dresden.“ Und der Fragende wird insistieren: „Nein, ich meine, ursprünglich.“ Sophie kann dann ihre Adoptionsgeschichte erzählen, wenn sie will. Doch was erzählt ein Schwarzer, der in Deutschland geboren wurde? Die „Ursprünglich“-Frage sagt einiges darüber aus, wie wir definieren, was Deutschsein bedeutet.

„Dresden ist eine Stadt mit zwei Gesichtern“, sagt Sabine Krüger. Und im Moment findet ein Kräftemessen statt. Das freundliche, weltoffene Gesicht ist zwar viel größer, trotzdem dominiert das hässliche, laute, fremdenfeindliche Gesicht das Bild. „Das Klima ist bedrückend“, sagt Uwe Korzen-Krüger. „Rassismus wird gesellschaftsfähig. Diejenigen, die etwas dagegen tun könnten, denken offenbar immer noch, Sachsen sei immun.“ Während in Leipzig und anderen Städten von Anfang an eine „massive Anti-Pegida-Stimmung“ geherrscht habe, seien die Gegner in Dresden nicht richtig aus den Puschen gekommen. „Mütter haben bei Kindern in dem Alter immer Angst“, sagt Sabine Krüger. Sie und ihr Mann haben jetzt vielleicht noch ein bisschen mehr Angst als andere, dass ihrer Tochter etwas zustoßen könnte. „Aber ich kann mein Kind ja nicht einsperren.“

In London hat die Hautfarbe niemanden interessiert

Bislang einmal sind die drei Krügers seit der Adoption nach Südafrika geflogen, kurz vor Sophies Einschulung war das. „Wir wollten, dass sie sich an möglichst viel erinnert“, sagt die Mutter. Sophie erinnert sich an den Hotelpool, an Geckos, an eine Farm, wo abends getrommelt wurde, an leckeres Essen. Sie wünscht sich, bald wieder hinzureisen. Vor allem will sie die großen Städte sehen: Kapstadt, Pretoria, ihre Geburtsstadt Johannesburg.

Was sie sich auch immer gewünscht hat: eine kleine Schwester, am liebsten eine dunkelhäutige. Wenn sie in Köln oder Düsseldorf sind, freut sich Sophie, dass sie so viele Schwarze sieht. Ganz aus dem Häuschen war sie in London. Zu Ostern war sie dort, allein mit ihrer Mama: „Bei McDonald’s saßen 20 dunkelhäutige Menschen“, erzählt sie. „Keiner hat geguckt, weil Mama mit mir unterwegs war.“ Am Albertplatz sieht sie auch fast immer jemanden, der nicht „typisch deutsch“ aussieht. Sie lächeln einander dann zu.

Die Einteilung von Menschen in Rassen ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Genetik längst überholt. Die Kategorie Rasse ist eine Fiktion – und zugleich ein Fakt. Als das Familienfoto für diese Geschichte gemacht wird, sagt Sabine Krüger ganz unverkrampft, dass es schwierig sei, sie drei auf ein Foto zu bekommen, wegen der Kontraste. Als sie kürzlich mit ihrer Tochter einkaufen war, stellte sie mal wieder fest, dass weiße und rosa Strumpfhosen bei Sophie blöd aussehen, es aber kaum andere Farben für junge Mädchen gibt. Die Beraterin schlug „Hautfarbe“ vor. Dann schaute sie zu Sophie, dachte vielleicht über das Wort „Hautfarbe“ nach, und Sabine Krüger sagte: „Das ist meine Tochter.“