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„Malerei ist wie Luftholen“

Für den Künstler Hans Kutschke ist jede Ausstellung ein Neuanfang. Bis Montag zeigt das Museum Bautzen seine Werke.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Eine Frau in einem roten Mantel spaziert über eine verzierte Brücke. Der Fluss macht darunter eine sachte Biegung. Grünlich schimmert das Wasser. In einer Ecke stehen zwei Beobachter und genießen die Szenerie. Hans Kutschke bleibt vor dem Bild mit dem Titel „Venezianische Spiegelung“ stehen. „Diesen Moment habe ich einem Verkehrsspiegel gesehen. Als dann die Dame kam, wusste ich, das muss ich festhalten. Hier ist alles aus dem Lot. Das gefällt mir“, sagt der Maler. Bis Montag zeigt das Museum Bautzen noch seine Arbeiten.

Bis Montag sind Arbeiten des Künstlers Hans Kutschke im Museum Bautzen zu sehen
Bis Montag sind Arbeiten des Künstlers Hans Kutschke im Museum Bautzen zu sehen © Uwe Soeder

Die Schau „Zwischen den Mauern“ entstand anlässlich des 70. Geburtstags des Künstlers. Hauptsächlich sind Werke der vergangenen zehn Jahre zu sehen. „Ich halte nichts von Retrospektiven. Für mich sind Ausstellungen ein Neuanfang. Im eigenen Atelier habe ich keinen Überblick über mich selbst“, sagt der Dresdner und geht in den Oberlichtsaal des Museums. An den weißen Wänden hängen Bilder voller Kraft, andere strahlen Melancholie aus. Manche haben etwas Leichtes. Hans Kutschke betrachtet das „Lesende Kind“. Still versunken ist der Junge in die Lektüre.

Mit der Kunst im Zwiegespräch

Der Künstler beginnt eine Zeitreise in Gedanken. An dieser Wand hängt vor über 50 Jahren sein erstes Bild in einer Ausstellung. „Selbstbildnis“ heißt damals ihre große Überschrift. Der junge Mann zeichnet sich mit den typischen Malerutensilien und wagt sich mit diesem Porträt erstmals in die öffentliche Kritik. Irgendwann in dieser Zeit beschließt er auch, dass er Malerei studieren möchte. Lange ist dieser Gedanke für ihn unvorstellbar. Viel lieber bleibt er mit seiner Kunst im Zwiegespräch.

Dabei zeichnet Hans Kutschke, solange er es sich vorstellen kann. In der Bautzener Behringstraße verziert er schon als Zweijähriger die Küchenwände. Später zieht die Familie in die Schäfferstraße. Als Malunterlagen dienen dem Kind nun ausrangierte Berichtshefte seines Vaters und ein einziger harter Bleistift. Es sind die Nachkriegsjahre. Die Menschen denken ans Überleben statt an die Kunst. Geboren wird der Maler 1945 südlich des böhmischen Mittelgebirges in Leitmeritz, ehemals Letomerice, in der Nähe von Ústi nad Labem.

Flüchtige Illusionen auf hartem Grund

„Ich habe nie auf weißes Papier gezeichnet, vielleicht hätte mich das sogar eher abgeschreckt“, sagt er. Am liebsten skizziert er Tiere, die Natur. Wenn es etwas größere Motive sein sollen, geht er einfach nach draußen. Der breite Fußweg besteht aus gestampfter, dunkler Erde. Ganz wunderbar eignet sich der harte Untergrund für flüchtige Illusionen. Verträumt wirkt auch das Bild mit dem verlassenen Campingstuhl. Mit einem feuchten Handtuch über der Lehne wartet er auf seinen Besitzer. Es ist ein stiller Augenblick, ein bisschen Trauer schwingt sogar mit.

In einem stillen Moment teilt Hans Kutschke seinen Eltern mit, dass er Maler werden will. Der Vater kommentiert es mit den Worten „Hungerkünstler“, die Mutter stellt sich mit aller Liebe hinter den Sohn. Trotzdem absolviert er nach der Schule erst einmal eine Ausbildung zum Qualitätsprüfer im Roburwerk in Bautzen. Selbstbewusst bewirbt er sich danach an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Er erhält 1968 die Studienzulassung. Nur kurze Zeit später ereilt ihn aus politischen Gründen das Studienverbot.

Erstes Atelier in der Seidauer Straße

Doch der junge Mann hadert nicht mit der Situation. „Ich hatte nur ein Ziel: Ich wollte gut malen. Die Malerei ist für mich wie Luftholen“, sagt der Künstler. Anstelle der akademischen Ausbildung beginnt er an der Abendschule der Dresdener Kunsthochschule ein vierjähriges Studium. Künstler wie Harald Metzkes und Horst Bachmann werden seine Wegbegleiter. Gleichzeitig studiert er intensiv seine künstlerischen Vorbilder. Der Maler Paul Cézanne ist zu nennen, aber auch Werke Rembrandts, Albrecht Dürers, Matthias Grünewalds und Caspar David Friedrichs. Er könnte noch mehr aufzählen.

Im Jahr 1971 richtet sich Hans Kutschke ein eigenes Atelier an der Seidauer Straße in Bautzen ein. Er will als freischaffender Künstler arbeiten. Doch seine Werke entsprechen nicht der realsozialistischen Malerei. Im Jahr 1984 übernimmt er die Leitung der Außenstelle der Hochschule für Bildende Kunst Dresden in Nadelwitz. Seine Absolventen, wie Angela Hampel, Maja Nagel, Iris Brankatschk oder Steffen Bachmann, gehören heute zu überregional anerkannten Künstlern.

Hans Kutschke geht zu einem Bild. Stürmische Wellen türmen sich an den Ostseenordstrand, darüber liegen die grau verhangenen Regenwolken. Es rauscht, braust, Gischt übernimmt den Sand. Die Ostsee und ihre Landschaft gehören nach der Wende genauso zu den Lieblingsmotiven des Malers wie Impressionen aus Italien. Lange Zeit faszinierte ihn auch der verfallene Bahnhof Mitte in Dresden. „Der morbide Charme reizte mich genauso wie die Tristesse und die armen Gestalten, die dort umherlungerten“, sagt er.

Das Skizzenbuch ist immer dabei

Das Jahr 1990 bedeutet für den Künstler eine erneute Zäsur seines Schaffens. „Die sozialistische Wirklichkeit der DDR interessierte mich nicht. Da habe ich die Fantasie wuchern lassen“, sagt er. Doch nach dem Ende seines ersten Kunstlandes kehrt er zur Realität zurück. Die Farbpalette wird ruhiger und heller, die Kompositionen wieder strenger. Die Werke der vergangenen zehn Jahre stellen sich dieser Wirklichkeit: in Landschaften, in Städten, in sozialen Konflikten oder in Einsamkeit.

Hans Kutschke beendet seine Runde im Oberlichtsaal. Er steht hier, um weiter voranzuschreiten. Ein Skizzenbuch hat er immer dabei, inzwischen greift er auch zum Fotoapparat, um bestimmte Stimmungen schnell einzufangen. „Ich habe wieder Lust, Radierungen auszuprobieren. Selbst an Skulpturen denke ich. Ausstellungen sind der beste Ausgangspunkt zum Weitermachen“, sagt der Maler. Dann verabschiedet er sich. Erst in einer Stunde fährt sein Zug nach Dresden. Die Zeit kann er noch in seinem Bautzener Atelier nutzen.

Museum Bautzen, Di.-So. 10 bis17 Uhr, Pfingstmontag ist das Museum ebenfalls geöffnet.

www.museum-bautzen.de