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Mächtige Motivatorin

Seit ihrem Buch „Die Fettlöserin“ ist Nicole Jäger als dickste Ernährungsberaterin bekannt. Fülle ist ihr aber nicht genug.

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© Reinaldo Coddou H./PR

Das Netz ist voller adipöser Superlative. Sensationelle 400, 500, 600 Kilogramm, die irgendwo auf dieser Welt auf keine Personenwaage mehr passen. Immerhin 340 Kilogramm hat „Fettlöserin“ Nicole Jäger gewogen. Zweifler behaupten, statt ihr Gewicht halbiert zu haben, wie sie sagt, nehme sie ständig zu. Häme aus dem world wide Niemandsland. Fakt ist: Diese Mittdreißigerin ist mächtig. Mächtig füllig, mächtig erfolgreich, mächtig motivierend. Und bei all ihrem gnadenlosen Humor mächtig charmant. Gerade hat sie ihr drittes Buch veröffentlicht und startet ihre zweite Comedy-Tour durch Deutschland.

Frau Jäger, wie viele Magen-Darm-Grippen sind Sie noch von Ihrem Idealgewicht entfernt?

Genau 3,5 Ökotrophologen. Aber im Ernst: Ich kenne das Filmzitat natürlich – Der Teufel trägt Prada, ein großartiger Film!

Da hadert eine super schlanke Frau mit den letzten angeblich überschüssigen Gramm an ihrem 50-Kilo-Körper. Was denke sie über solche Lamoyanzen?

Ich kann das verstehen. Leid ist sehr individuell. Frauen können wegen drei, 30 oder auch 300 Kilogramm Übergewicht unglücklich sein. Und sie sind dann wirklich unglücklich. Das akzeptiere ich, denn der Druck ist der gleiche, egal, um welches Körpergewicht es sich handelt. Das Gefühl entscheidet, nicht die Zahl auf der Waage.

Aber Ihr Kampf gegen die Kilos ist härter als der von Emily im Film.

Vor Jahren sagte der Arzt zu mir: Weniger als zwei Prozent der Menschen mit einem Body-Mass-Index von mehr als 45 schaffen es, erheblich abzunehmen. Meiner betrug 111. Ab etwa 30 gelten Menschen als fettleibig. Das sollte heißen: Vergessen Sie’s! Sie schaffen es nie!

Wie entmutigend muss das sein!

War es nicht. Im Gegenteil. Ich habe mir gesagt: Immerhin, zwei Prozent nehmen ab. Ich gehöre dazu.

In welchem Zustand waren Sie damals?

Ich verließ das Haus nicht mehr, konnte kaum noch laufen und bekam, gefühlt, einen Herzinfarkt. Ich dachte, ich muss sterben. Letztendlich war es kein Infarkt, sondern der Kollaps meiner Schilddrüse. Aber die Todesangst war ein großer Motivator.

Wie haben Sie einen Anfang gefunden?

Ich habe nachts im Treppenhaus geübt, Stufen zu laufen – im Dunkeln, damit mich keiner sieht. Außerdem bin ich endlich ehrlich zu mir gewesen, indem ich aufgeschrieben habe, was ich den Tag über esse. Statt mit fünf Brötchen zum Frühstück versuchte ich es mit vier – und siehe da: Ich bin nicht verhungert. Irgendwann habe ich mich mit Badeanzug in die Schwimmhalle getraut und stellte fest: Ich bin im Übrigen gerade nicht gestorben. Ohne Brille sehe ich noch nicht mal, wie mich die anderen angucken. Sport und kontrollierte Ernährung, das ist mein Rezept. Trotzdem bleibt es dabei: Ich esse nicht nur total gern. Ich bin ein essgestörter Mensch.

Viele Fettleibige lassen sich mit einer Operation helfen. Warum kam für Sie keine Magenverkleinerung infrage?

Eine solche OP ist ein krasser Eingriff. Ich wollte das einfach nicht. Die Behauptung, der Dicke sei krank, stimmt nicht immer. Oft sorgen eher äußere Umstände dafür, dass jemand dermaßen übergewichtig wird. Ich habe immer schon gern und viel gegessen, wurde mit fünf Jahren zu meiner ersten Kur geschickt, um abzunehmen. Dann landete ich wegen eines Unfalls im Rollstuhl und wurde durch die Bewegungslosigkeit noch dicker. Es folgen weitere gesundheitliche Probleme, Anfeindungen, Scham, Isolation – und ständige Diäten. Ich war 20 Jahre meines Lebens auf Diät.

Wahrscheinlich mit Jo-Jo-Effekt.

Richtig. Nach langer Hungerei erliegt man wieder dem Essen. Essen stellt keine dummen Fragen und macht für den Moment glücklich. Aber Pfunde gehen halt gut drauf und nicht gut runter. Abnehmen ist pure Physik: Man muss mehr Energie verbrauchen als man zuführt. Nur hungern sollte man nicht. Wer abnehmen will, muss satt sein. Das Fatale daran: Egal ob ess- oder magersüchtig, das Gefühl, satt zu sein, ruft Schuldgefühle wach.

Was halten Sie von TV-Formaten wie The Biggest Looser?

So wie dort dargestellt, funktioniert Hilfe nicht. Klar nehmen die Kandidaten grandios ab, wenn sie lange genug mit Heuballen auf dem Arm durch Schlamm gerobbt sind. Aber was nach der Sendung passiert, sieht niemand.

Wie fühlen Sie sich jetzt in Ihrer Haut?

Ich bin Buchautorin und stehe mit meinen eigenen Shows auf der Bühne, ich bringe Leute zum Lachen, und sie gehen mit guten Gefühlen nach Hause – das ist doch ein Traum! Was mein Gewicht betrifft: Ich habe da die magische Zahl 125 Kilogramm im Hinterkopf. Und ich möchte im Badeanzug noch ein bisschen besser aussehen.

Das Interview führte Nadja Laske.

Nicole Jägers neues Buch „Nicht direkt perfekt“ erscheint am 15. Dezember. Mit ihrem Programm ist sie am 22. Januar, 19.30 Uhr im Boulevardtheater zu erleben. Tickets ab 16 Euro: 26353526