Merken

Lyrische Landwirtschaft

Johannes Hindemith aus Reichenbach bewirtschaftet 170 Hektar Land – und schreibt Gedichte. Die Muse küsste ihn unterm Pflaumenbaum.

Teilen
Folgen
NEU!
© Constanze Junghanß

Von Constanze Junghanß

Jetzt hat der Traktor erst einmal Winterpause. Feldarbeiten stehen in der kalten Jahreszeit nicht an. Da bleibt dem Landwirt Johannes Hindemith mehr Luft, als in den Sommermonaten mit seinen bis zu 60-Stunden-Arbeitswochen. Zeit, um seinem Hobby nachzugehen. Das hängt nicht im Entferntesten mit Bodenbearbeitung, Getreidemahd oder Pflanzenschutzmaßnahmen zusammen. Der 47-Jährige dichtet.

Vor allem Fabeln sind es, in denen Fauna und manchmal auch Flora zu Wort kommen. Bisweilen entstehen sogar Wortschöpfungen, die der Duden gar nicht kennt. „Schnabelstift“ und „Krallenlack“ gehören dazu. Diese Dinge – angelehnt an Schminkutensilien der Damenwelt – bekommt das Huhn „Schantalle“ vom Hahn „Ricco“ in einem seiner Vielzeiler geschenkt. In denen steckt jede Menge Humor. Und in den letzten Strophen oft ein moralisch erhobener Zeigefinger mit kräftigem Augenzwinkern. Gedichtete Fabeln mit Komikcharakter. Die erinnern ein bisschen an Wilhelm Busch.

Den berühmten Schriftsteller und Schöpfer der Lausbuben „Max und Moritz“ findet Johannes Hindemith schließlich auch gut. Ebenso „The BossHoss“ – eine Countryrock-Band, die unter anderem 2014 den deutschen Musikerpreis „Echo-Pop“ – einheimste. Country-Liebhaber Johannes Hindemith ist der offizielle Fanbeauftragte von „The BossHoss“ und kommt bei den Konzerten sogar bis in den Backstage-Bereich.

Die Muse küsste den Freizeitdichter vor sechs Jahren unter einem Pflaumenbaum, wie er erzählt. Zu Besuch bei den Eltern war das. Der „Pflaumenbaum“ war das erste Gedicht von geschätzten 60 Werken, die mittlerweile entstanden sind. Dem privaten Freundes- und Bekanntenkreis ist seine spitze Feder seit Jahren bekannt. Zu Geburtstagen und Hochzeiten greift er schon lange in die Tastatur. Geschrieben wird auch nicht per Hand. Sondern gleich auf Laptop oder Tablet.

Jetzt tastet sich Bauer Hindemith mit seinen Gedichten in die Öffentlichkeit vor. Auf seiner Facebookseite sind einige der Reimereien zu lesen. Die Resonanz sei bisher durch die Bank weg positiv. So mancher Leser staune, dass der Diplom-Ingenieur ein solches Talent entwickelt. Noch mehr freut den Zeilenschmied jedoch die Reaktion einer Gymnasiallehrerin von einem seiner drei Söhne. Und das kam so: In der Schule sollten die Kinder ein Gedicht vortragen. „Mein Jüngster fragte, ob er eins von meinen Gedichten in den Unterricht mitnehmen darf“, erzählt der Vater. Die Folge: Die Schüler sollten sich letztlich zwischen zwei Stücken entscheiden. Zum Lernen standen zur Auswahl Friedrich Hebbel und Johannes Hindemith. Mehr als die Hälfte habe sich für den „Pflaumenbaum“ entschieden. Die Veröffentlichung auf Facebook brachte ihm ebenso Anerkennung. Auch die Bitte wurde mehrfach geäußert, die Gedichte in einem Band zusammenzufassen. „Vielleicht wird die Sammlung wirklich bald zu einem Buch gebunden. Das habe ich mir jedenfalls nun vorgenommen“, überlegt der Mann mit der auffälligen Brille. Nur bräuchte er noch jemanden, der Zeichentalent mitbringt und seine Verse bebildert. „Bisher habe ich da leider noch niemanden gefunden.“

Gefunden hat er sich allerdings beruflich. Das geerdete Gewerke wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Bereits Vater und Großvater verdienten damit ihr Brot. Geboren und aufgewachsen als Jüngster auf dem „Glashof“ in der Nähe von Reichenbachs Partnerstadt Seckach, zog er nach dem Studium Anfang der 1990er Jahre nach Reichenbach. Den „Glashof“ mussten die Eltern aufgeben, da der Pachtvertrag beendet wurde. „Mein Vater ist gebürtiger Reichenbacher. Er zog in die Heimat zurück, wo er den Hof hier pachtete und den Familienbetrieb aufbaute“, erzählt Johannes Hindemith von den Anfangsjahren.

Bei Null habe der Vater angefangen. Jetzt bewirtschaftet Hindemith rund 170 Hektar Land. Konventionelle Landwirtschaft: Anbau von Getreide, Raps, Mais und Zuckerrüben. Zweites Standbein ist die Arbeit als Lohnunternehmen für andere Bauern. Der Poet pflügt, eggt und beerntet von Zittau bis Görlitz und Bautzen die Felder der Region, ist im ganzen Landkreis unterwegs. Zwei Mitarbeiter und die modernen Maschinen stehen ihm dabei zur Seite. Mittlerweile sind die sogar so weit auf der Höhe der Zeit, dass der Traktor dank GPS von alleine die Furche findet. Da bleibe dann immer mal ein Quäntchen Zeit für gedankliche Dichtkunst, die in den Wintermonaten umgesetzt werden kann.

„Pflaumenbaum“ von Johannes Hindemith

Ich liege unter`m Pflaumenbaum und traue meinen Augen kaum denn was ich da so sehe wenn ich mich etwas drehe das amüsiert mich sehr.

Da liefert sich ’ne Raupe mit bunt betupfter Haube ein Rennen mit ’nem Wurm und das bei diesem Sturm die können bald nicht mehr.

Sie schnaufen wie beim Marathon mal sieht man Wurm, mal Raupe vorn wer wird hier wohl gewinnen sie eilen wie von Sinnen unfassbar der Verkehr. Es ruft der Wurm: ich krieg dich noch die Raupe meint: versuch es doch und lacht dabei ganz hämisch ich denke nur „Pfui schäm dich“ der Wurm hat es nun schwer.

Und wie ich grade Mitleid habe kommt aus der Fern` ein dunkler Rabe der sieht das bunte Treiben will sich was einverleiben hat Hunger wie ein Bär.

So rennt die Raupe siegessicher (vom Wurm hört man nur leis Gekicher) ans End` des Pflaumenastes tja Raupe, Mensch! nu hastes Dein Sieg hilft dir nicht mehr. Denn „Pflückebeutel“ gar nicht faul sitzt da schon mit ’nem offnen Maul die Raupe völlig siegesblind saust rein dort wie ein Wirbelwind das freut den Vogel sehr.

Und die Moral von dieser Story gewinnen nützt nicht immer - sorry wer nur auf „Sieg“ versessenwird oft genug gefressen Das Leben ist nicht fair.

Ich liege unterm Pflaumenbaum und merke grad das war ein Traum ich schmunzel und denk nach bin froh, daß ich nun wach