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Lusche im Landratsamt

Wegen Hausfriedensbruchs und Beleidigung steht der Angeklagte in Meißen vor Gericht. Das Amt habe ihn ruiniert, sagt er.

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Von Jürgen Müller

Mit dicken Aktenordnern kommt er zur Verhandlung. Nicht etwa der Staatsanwalt, nicht etwa die Richterin, nein, der Angeklagte. Seit zehn Jahren liegt der 55-Jährige mit dem Landratsamt, genauer gesagt mit dem Jobcenter, im Dauerclinch. Sage und schreibe 73 Verfahren allein vor Sozialgerichten gab es. Ein Grund: Der Mann hatte Sozialleistungen erhalten, die ihm aber nur als Darlehen gewährt wurden, weil er ein Haus im Westerzgebirge also Vermögen besitzt. Das Geld - insgesamt rund 24 000 Euro, muss er zurückzahlen, entweder aus Mieteinnahmen oder dem Verkaufserlös. Das Jobcenter warf dem Mann auch vor, in dem Haus eine Kellerwohnung ausgebaut zu haben, die er selbst nutzte, ohne das anzugeben.

2013 gab es eine Hausbesichtigung. Das Ergebnis wird unterschiedlich interpretiert. „Es wurde keine Wohnung gefunden“, so der Angeklagte. Der Justiziar des Jobcenters widerspricht. „Der Keller war wie eine Wohnung eingerichtet“, sagt er. Ob der Angeklagte dort tatsächlich gewohnt hat, sei nicht nachzuweisen. Eine Rolle spielt es ohnehin nicht mehr. Die Rückforderungen betreffen den Zeitraum von 2008 bis 2010. Doch um genau jenes Protokoll dieser Hausbesichtigung geht es dem Angeklagten, als er am 17. Oktober 2013 - zwei Wochen nach dem Besichtigungstermin – ins Landratsamt Meißen, wo er Hausverbot hat, kommt und das Protokoll haben will.

Doch das ist noch nicht fertig. Er lässt sich nicht abwimmeln, will so lange im Zimmer des Justiziars sitzen bleiben, bis das Protokoll vorliegt. Der Aufforderung, das Zimmer zu verlassen, kommt der Mann erst nach, als der Justiziar den Notruf wählt. Doch kurz darauf ist er wieder da. Jetzt beleidigt er den Mitarbeiter: „Sie sind unfähig, eine Lusche, Sie haben keine Ahnung“, schimpft er. Was ihm prompt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und Beleidigung einbringt.

„Ich bin krank, ich kann nicht mehr“, sagt der Angeklagte. „Das Jobcenter hat mich in die Überschuldung laufen lassen.“ Anfang des Jahres hat man sich zivilrechtlich darauf geeinigt, dass er 12 000 Euro in monatlichen Raten von je 100 Euro an das Jobcenter zurückzahlen muss. Macht er das nicht oder nicht regelmäßig, erhöht sich die Summe auf 15 000 Euro. „Die Differenz zu den 24 000 Euro sind Forderungen, die der Angeklagte gegenüber Dritten hat. Diese Forderungen hat er an das Jobcenter abgetreten“, sagt Gerhard Rose, der Dezernent für Arbeit und Bildung im Landkreis Meißen, der als Zeuge geladen, aber wie alle anderen fünf Zeugen, nicht gehört wurde. Derzeit zahlt der Angeklagte lediglich 50 Euro monatlich, weil er nur Krankengeld bezieht. Abgesprochen hat er das nicht, sondern das Jobcenter nur informiert. „Wir haben dem nicht zugestimmt“, sagt Rose.

Staatsanwalt Andreas Ball möchte die Situation nicht weiter anheizen, will erreichen, dass die Sache nun endlich zumindest juristisch abgeschlossen wird. Er schlägt vor, das Verfahren gegen eine Geldauflage von 500 Euro einzustellen. Doch der Angeklagte will nicht. Lange diskutiert er mit seinem Anwalt, später auch mit dem Staatsanwalt, feilscht um 100 Euro. Ja, 400 Euro wolle er zahlen. „Wir sind nicht auf dem Basar“, sagt Richterin Ute Wehner und lässt dann doch mit sich handeln. Sie stellt das Verfahren gegen eine Geldauflage von 400 Euro wie vom Angeklagten gewünscht vorläufig ein. Das Geld muss der Mann innerhalb von sechs Monaten an das Kinder- und Jugenddomizil Coswig zahlen.

Dass die Streitigkeiten wie von Staatsanwalt und Richterin gewünscht, nun beigelegt sind, bleibt wohl eine Illusion. Beim Gang in den Gerichtssaal nach einer Pause raunzt der Angeklagte dem Dezernenten zu: „Wir sehen uns noch!“ Rose reagiert irritiert: „War das jetzt eine Drohung?“

Nach der Verhandlung klärt der Angeklagte darüber im Gespräch mit der SZ auf. „Ich wollte damit sagen, dass wir uns vor Gericht wiedersehen. Ich habe Herrn Rose wegen falscher Verdächtigung angezeigt“, sagt er. Der Dezernent weiß davon noch nichts. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass es zu einer Verhandlung kommt. Ein anderes Verfahren gegen Rose wurde zwar eingestellt, jedoch ebenfalls gegen eine Geldauflage.

Nach der Verhandlung hat der Angeklagte, der einst in der Meißner Stadtverwaltung einen gut dotierten Posten hatte, jedoch in der Probezeit rausflog, nicht nur der SZ einen Besuch abgestattet, sondern auch dem Landratsamt. Eine neue Straftat beging er dabei aber nicht. Das Hausverbot wurde inzwischen aufgehoben.

Die Richterin gab dem Angeklagten in der Verhandlung noch einmal die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge darzustellen. Dabei sprach er vom „System Sadismus“ im Jobcenter. „Die haben mich als Arbeitslosen behandelt, als sei ich der Abschaum der Gesellschaft“, sagte er.