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Lunge ausgeflogen

Eine Chartermaschine startete Montag von Großenhain nach Belgien. Warum der hiesige Flugplatz für einen Patienten in Antwerpen ein Glücksfall ist.

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© Anne Hübschmann

Von Jörg Richter

Großenhain. Entspannt sitzt Flugkapitän Peter Wanzeck vor dem Tower auf dem Großenhainer Flugplatz und genießt einen Kaffee. Doch er weiß, dass womöglich gerade zur gleichen Zeit im 20 Kilometer entfernten Elsterwerda ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Ein Rennen um Leben oder Tod, bei dem er eine wichtige Rolle spielen wird.

Flugkapitän Peter Wanzeck (links) und sein Co-Pilot bringen vier Ärzte der Universitätsklinik Antwerpen so schnell wie möglich zurück nach Belgien. Jede Minute zählt.
Flugkapitän Peter Wanzeck (links) und sein Co-Pilot bringen vier Ärzte der Universitätsklinik Antwerpen so schnell wie möglich zurück nach Belgien. Jede Minute zählt. © Anne Hübschmann

Wanzeck fliegt seit zehn Jahren für die Aerowest GmbH in Hannover. Zu den Aufgaben dieser Charterfluggesellschaft gehören neben weltweiten Geschäfts- und Frachtflügen auch Ambulanzflüge. „Wir haben eine Stunde Vorwarnzeit. Spätestens dann fliegen wir los“, sagt der 51-Jährige.

Der heutige Auftrag ist ein ganz besonderer. Wanzeck und sein Co-Pilot sollen mit einer Piper Cheyenne vier Ärzte der Universitätsklinik Antwerpen nach Sachsen und wieder zurück fliegen. Das Ziel der belgischen Mediziner ist das südbrandenburgische Elsterwerda. Sie sollen im dortigen Krankenhaus einem sterbenden Organspender die Lunge herausoperieren. Im rund 630 Kilometer entfernten Antwerpen bereiten derweil Ärzte einen Patienten vor, dem diese Spender-Lunge hoffentlich ein neues Leben schenken wird.

Erst am Montagmorgen, gegen 3 Uhr, habe die Aerowest-Fluggesellschaft den Auftrag aus Antwerpen erhalten. Seit 4 Uhr ist Wanzeck mit seinem Co-Piloten unterwegs. Gegen halb sechs waren sie mit ihren vier Fluggästen von der belgischen Hafenstadt aus gestartet. Sie steuerten den nächstgelegenen größeren Flughafen an. Das war Dresden. Von dort aus wurden die Mediziner mit einem Auto des Malteser-Rettungsdienstes ins mehr als 60 Kilometer entfernte Elsterwerda gefahren. Knapp eine Stunde dauert die Fahrt auf der Straße.

Alle anderen Flugzeuge müssen warten

Bis zum Operationstisch sei das alles kein Problem, sagt Wanzeck, der schon mehrere Ambulanzflüge miterlebt hat. „Aber wenn die Lunge entnommen ist, läuft die Zeit!“ Innerhalb weniger Stunden müssen Spenderorgane wieder eingepflanzt werden. Am wenigsten Zeit bleibt bei Herzen. Entnahme, Transport und Transplantation dürfen nur vier Stunden dauern. Bei Lungen seien es fünf bis sechs Stunden. Mit dem Auto zurück nach Dresden würde die Fahrt zum Flugzeug etwa eine Stunde dauern. Das ist zu lange. Deshalb hatte Wanzeck nach einem kleinen Flugplatz in der Nähe von Elsterwerda gesucht und zum Glück in Großenhain gefunden. Der ehemalige Militärflughafen sei für Starts und Landungen am Tag ideal. „Hier könnt selbst ein Jet landen“, ist Peter Wanzeck begeistert.

Plötzlich erhält er einen Anruf. Die vier Antwerpener Ärzte sind mit Blaulicht nach Großenhain unterwegs. In etwa einer Viertelstunde werden sie da sein. Wanzeck und sein Co-Pilot gehen zu ihrer Piper Cheyenne und machen sie startklar. Dann erscheint ein Mercedes Kombi des Malteser-Rettungsdienstes. Die Ärzte steigen aus und beeilen sich, ins Flugzeug zu steigen. Zu ihrem Gepäck gehört eine weiß-blaue Kühlbox, in dem die Spender-Lunge aufbewahrt ist.

Anderthalb Stunden wird der Flug nach Antwerpen dauern. „Wir fliegen mit Ambulanz-Status“, sagt Wanzeck. „Da müssen alle anderen Flugzeuge warten.“ In 8000 bis 9000 Meter Höhe ist der Luftweg frei für die zweimotorige Maschine, die es bis auf 550 Stundenkilometer schafft.

Ob der Patient jemals erfährt, wie wichtig der Großenhainer Flugplatz für seine Lebensrettung war? „Das kann man nicht vorhersehen“, sagt Flughafenbetreiber Wolfgang Bothur. „Aber wenn man selbst in diese Situation kommt, ist man froh, dass es noch kleine Flugplätze gibt.“