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Luftballons und viele Worte

Die Bürgerkonferenz war eine Therapiesitzung für das kränkelnde Dresden: Selbstgespräch für die einen, Placebo für andere, die ihre Ängste vor Fremden lieber behalten wollen.

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© Wolfgang Wittchen

Von Doreen Reinhard

Wie viele sind wir? Ist das Kongresszentrum schon halb voll oder noch halb leer? Die Dresdner Bürgerkonferenz beginnt am Sonnabend 14 Uhr mit der gleichen Frage wie jede Pegida-Kundgebung. Und auch das ähnelt den Montagsdemonstrationen der Islamkritiker. Die Antwort ist keine Mathematik, sondern erst mal reine Ansichtssache. „Läuft ja super. Hätte doch niemand gedacht, dass überhaupt so viele Menschen zu so einer Veranstaltung zu bewegen sind“, sagen die einen. „Das sieht ja noch recht mickrig aus“, finden andere.

Wo kommen Sie her, die Flüchtlinge? Wer wollte, konnte sich auf der Dresdner Bürgerkonferenz umfassend informieren.
Wo kommen Sie her, die Flüchtlinge? Wer wollte, konnte sich auf der Dresdner Bürgerkonferenz umfassend informieren. © Wolfgang Wittchen
Ein Hauch von Kirchentag wehte am Sonnabend durch das Dresdner Kongresszentrum. Gegen eine Spende konnte bunte Schals erworben werden.
Ein Hauch von Kirchentag wehte am Sonnabend durch das Dresdner Kongresszentrum. Gegen eine Spende konnte bunte Schals erworben werden. © Wolfgang Wittchen
Hilfst du mir, helfe ich dir. Auf der Bürgerkonferenz waren deutlich mehr Ausländer zu sehen, als an Werktagen in der Innenstadt.
Hilfst du mir, helfe ich dir. Auf der Bürgerkonferenz waren deutlich mehr Ausländer zu sehen, als an Werktagen in der Innenstadt. © Wolfgang Wittchen

Bürgerkonferenz, Konzert und Schülerdemo in Dresden

Beim zweiten Open-Air-Konzert des Vereins „Dresden - Place to be!“ spielten am Samstagabend Bands aus der Elbestadt.
Beim zweiten Open-Air-Konzert des Vereins „Dresden - Place to be!“ spielten am Samstagabend Bands aus der Elbestadt.
Bei kühlem Frühlingswetter kamen am Abend zahlreiche Dresdner zu dem Konzert auf den Theaterplatz.
Bei kühlem Frühlingswetter kamen am Abend zahlreiche Dresdner zu dem Konzert auf den Theaterplatz.
Musiker aus elf Nationen spielten zum Ausklang der Bürgerkonferenz.
Musiker aus elf Nationen spielten zum Ausklang der Bürgerkonferenz.
Auch die Dresdner Künstlerin Anna Mateur war dabei.
Auch die Dresdner Künstlerin Anna Mateur war dabei.
Viele ihrer Zuhörer trugen bunte Schals mit der Aufschrift „Offen und bunt - Dresden für alle“.
Viele ihrer Zuhörer trugen bunte Schals mit der Aufschrift „Offen und bunt - Dresden für alle“.
Am Sonnabendnachmittag hatten zuvor hunderte Schüler gegen die montäglichen Pegida-Demonstrationen protestiert.
Am Sonnabendnachmittag hatten zuvor hunderte Schüler gegen die montäglichen Pegida-Demonstrationen protestiert.
Die Schüler forderten aber auch mehr Bildungsausgaben.
Die Schüler forderten aber auch mehr Bildungsausgaben.
Dabei zogen die Schüler entsprechend dem Motto der Dresdner Bürgerkonferenz durch die Stadt - "Offen und Bunt".
Dabei zogen die Schüler entsprechend dem Motto der Dresdner Bürgerkonferenz durch die Stadt - "Offen und Bunt".
Währenddessen stellten sich einige Kandidaten - hier Eva-Maria Stange - für die Oberbürgermeisterwahl im Juni bei der Bürgerkonferenz im Internationalen Congress Center vor.
Währenddessen stellten sich einige Kandidaten - hier Eva-Maria Stange - für die Oberbürgermeisterwahl im Juni bei der Bürgerkonferenz im Internationalen Congress Center vor.
Doch auch Dresdens aktuell Erster Bürgermeister Dirk Hilbert (rechts) war vor Ort.
Doch auch Dresdens aktuell Erster Bürgermeister Dirk Hilbert (rechts) war vor Ort.
Neben AfD-Kandidat Stefan Vogel (im Bild) waren auch Piraten-Kandidatin Lara Liqueur und Samuel Fink aka Rumpelkopf von Keebierda vor Ort.
Neben AfD-Kandidat Stefan Vogel (im Bild) waren auch Piraten-Kandidatin Lara Liqueur und Samuel Fink aka Rumpelkopf von Keebierda vor Ort.

Tatsächlich füllt sich die Kongresshalle am Elbufer ziemlich zögerlich. Eine Arche Noah, an diesem Tag herausgeputzt wie für eine Gute-Laune-Kreuzfahrt. Luftballons hüpfen im Wind, Salsaklänge säuseln, am Eingang werden Schals in Regenbogenfarben gegen Spenden verteilt. Trikotage als Zeichensetzung. Nur wenige Besucher greifen zu.

Die Veranstalter vom Verein „Dresden – place to be“ haben vorsichtig mit mehreren Tausend Besuchern gerechnet. Seit Monaten arbeiten sie mit ehrenamtlichen Höchstleistungen an einem Gegenentwurf zum Pegida-Dresden. Am Farbbild zum Negativ der wütenden Protestbewegung. Ihre Schlagworte: Toleranz, Weltoffenheit, Willkommenskultur. Die rosige Öffentlichkeitsarbeit soll Dresden vom Grauschleier der Asylkritiker und sonst wie besorgter Bürger befreien. Ende Januar gab es den ersten Teil ihrer Kampagne. Ein Konzert auf dem Neumarkt mit einer Kolonne singender Promis. Aufklärung verpackt in Unterhaltung. Über 20 000 kamen und tanzten. Teil zwei, die Bürgerkonferenz, ist heute ein anderes Kaliber. Keine Show, bei der geliefert wird, sondern Kopfarbeit, die jeder selbst leisten muss.

Das Programm ist dicker als manch studentischer Stundenplan. Diskussionen, Workshops, Theater, Kino, Infostände. Wer in den vergangenen Monaten durch die Straßen gebrüllt hat, dass keiner mit ihm rede, die Politik ihn ignoriere, es zu wenig Informationen über Themen wie Asyl und Integration gebe, kann sich hier eines Besseren belehren lassen. Wenn er denn will.

Die Veranstaltungen des fünfstündigen Aufklärungsmarathons liegen eng verschachtelt übereinander. Wer von allem etwas mitbekommen will, muss Info-Hopping betreiben. Oder sich entscheiden: Welche Debatte könnte die aufgewühlte Stadt weiterbringen? Vielleicht die zur Frage „Das Phänomen Dresden: ewig gestrig oder bürgerlich frei?“. Der große Saal ist optimistisch ausgesucht, nur ein Viertel der Stühle besetzt. Das Podium kommt grau in grau daher. Sechs Männer diskutieren – ein Bild, das sich an diesem Tag wiederholt. Am Rand mosern Besucher über die lausige Frauenquote in den Expertenrunden.

Die recht einheitliche Diagnose: Dresden krankt an Selbstgefälligkeit. „Es gibt in der Stadt eine Wagenburg-Mentalität. Man beschäftigt sich viel zu sehr mit sich selbst und ist sich vor allem darüber einig, dass man am schönsten und am besten ist“, sagt Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach. Christian Demuth vom Verein „Bürgercourage“ erklärt: „Es gibt keine ordentliche Streitkultur. Dazu fehlt der Mut.“ Oft sei auch er an zaudernden Instanzen gescheitert, etwa bei einer Demokratieveranstaltung, die er einst einem Dresdner Unternehmen vorgeschlagen hatte. Am Ende wurde sie abgesagt. „Der Veranstalter hatte Angst, jemanden zu diskriminieren.“ Valentin Lippmann, Landtagsabgeordneter der Grünen, zitiert einen Satz, den er oft gesagt bekommt: „Junger Mann, Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden.“ Bei drei Themen höre er das immer wieder: wenn es um die Zerstörung Dresdens geht, die Aufbauarbeiten danach und die Zeit des Mauerfalls. Lippmann ist Jahrgang 1991 und war bei all dem nicht live dabei. Das Recht, eine Meinung zu haben, nimmt er sich trotzdem heraus.

Die Experten analysieren die Krankenakte Dresden mehr oder minder einig, aber in der Runde fehlt eine Instanz, der man ein Rezept weiterreichen könnte. Ein Gestalter, Verwalter, Imageberater der Stadt, der etwas ändern könnte. Kontra aus dem Publikum gibt es kaum. Wolfgang Donsbach hat eine Ahnung, warum: „Das ist eine tolle Veranstaltung. Ich bin froh über jeden, der hier ist. Aber vor uns sitzt auch nicht die Mitte der Gesellschaft.“

Wer dann? Das vielbeschworene Bürgertum? Die linksliberale Studentenschaft? Die Menschen aus Dresden, die nicht nur maulen, sondern es besser machen, sich informieren und engagieren wollen? Es ist von allem etwas dabei. Auch deshalb hat dieser Nachmittag viel von einem Selbstgespräch. Die Menschen, die am Stammtisch der Ängste Platz nehmen, haben gar nicht so viel Angst vor Fremden. Die Runde, in der man bei Butterbrot und Bier über einen brüderlichen Umgang sinniert, steht sich gedanklich nah. Und die Passanten auf dem Markt der Möglichkeiten sind offen für die Welt außerhalb von Dresden. Sie schauen gern der chinesischen Folkloretänzerin zu, kaufen auch sonst im Eine-Welt-Laden ein und hatten sowieso vor, sich bei einem der vielen Helfernetzwerke anzumelden, zum Fußballspielen mit Asylbewerbern in Johannstadt oder zu Kochabenden mit Flüchtlingen in Klotzsche. Andere wollen das nicht.

Zum Beispiel ein Rentnerpaar, sie nennen sich Herr und Frau Müller. Er hat früher auf dem Bau gearbeitet, sie in der Buchhaltung. Gemeinsam waren sie schon zehnmal bei Pegida. Sie werden es wieder tun, aber heute sind sie auf der Bürgerkonferenz und stapfen missmutig durch die Gänge. „Wir sind sehr besorgt, was aus Deutschland wird. Deshalb sind wir hier“, sagt sie. „Aber das ist doch nur eine Beruhigung der Massen. Die hier mit ihrer Willkommenskultur und den bunten Schals“, zetert er. Beide schimpfen auf Knopfdruck und sind kaum zu unterbrechen: „Es kann doch nicht so weitergehen. Wir haben nichts gegen Ausländer und machen oft in Tunesien Urlaub. Aber ich sage Ihnen, das Arbeiten haben die in Tunesien auch nicht erfunden. Als wir da Räder ausgeliehen haben, mussten wir die erst mal selbst reparieren. Und wo ist eigentlich Frau Merkel, wenn man sie braucht?“

Nicht auf der Bürgerkonferenz, aber dafür stehen schließlich andere kompetente Gesprächspartner bereit. Den Hinweis ignorieren die Müllers jedoch. „Wir gehen wieder nach Hause. Wir sind hier doch in der Minderheit. Wenn man in diesen Runden etwas sagt, muss man sich am Ende noch ausbuhen lassen.“

Tatsächlich ist die Stimmung in den Diskussionsrunden selten zornig, eher zahm bis matt. Mehr Gespräche in der Gesellschaft, das wurde häufig gefordert und zuletzt oft praktiziert. Viele sitzen sich nicht zum ersten Mal gegenüber, sondern haben irgendwo schon mal miteinander debattiert: in der Landeszentrale für politische Bildung, beim Bürgerforum des Ministerpräsidenten, nun eben bei der Bürgerkonferenz. Auch viele Fragen kreisen bereits seit etlichen Monaten: Wer läuft bei Pegida mit, und wie viele davon sind „normal“? Soll man mit denen reden oder besser nicht? An welchen Stellen hat die Politik versagt und wie wahr ist der Begriff „Lügenpresse“?

Ein kleines Stürmchen faucht am Ende durch die Debatte über „Konservatismus, Populismus und die politische Rechte“. Dort erklärt Innenminister Markus Ulbig: „Wir können den Menschen Willkommenskultur und Nächstenliebe nicht verordnen. Wir müssen uns in den Prozess hineinbegeben.“ Für diesen Satz bekommt er Murren aus dem Publikum. Und schließlich gibt es wirklich noch Buhrufe – für den AfD-Politiker Uwe Wurlitzer, der feststellt: „Ich glaube, wir sind mittlerweile auf dem linken Auge blind. Alle sprechen über Rechtsextremismus, aber niemand über linksextreme Gewalt.“

Dann ist der letzte Programmpunkt geschafft. Leere – in den Gängen des Kongresszentrums, auch in den Gesichtern einiger Gäste. 5 000 Besucher seien da gewesen, verkünden die Veranstalter zufrieden. Nur am Tisch des Netzwerks Prohlis steht noch ein älteres Paar und redet und redet. Seit fast einer Stunde. Sie lamentierten über die Lage in Dresden und auf der ganzen Welt.

Julia Günther, Ortsbeirätin aus Prohlis, schaut irgendwann demonstrativ auf ihre Uhr und sinkt, als die beiden endlich gegangen sind, erschöpft zusammen. „Ich habe mir jetzt alles angehört, vom schlesischen Flüchtlingsdrama bis zur Ukraine-Krise. Aber die beiden haben nicht ein Mal gefragt, ob sie irgendetwas tun können“, sagt sie. Kleidung spenden, Deutschunterricht geben, mit den Flüchtlingen Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Alles Aktionen, die sie in ihrem Viertel angestoßen haben. „Ich kann einfach nicht mehr reden. Die Leute sollen endlich etwas machen.“

Und sei es Musik. Auf dem Theaterplatz versammeln sich am Abend noch mal Hunderte Menschen zum Konzert. Dieses Mal singt nicht Herbert Grönemeyer, es spielen lokale Bands. Wieder gibt es ein buntes Bild. Aber es besteht gar nicht so sehr aus Schals, Luftballons und Neonlichtern, sondern aus Menschen, die man im Stadtzentrum immer seltener sieht. Flüchtlinge, Migranten und Fremde tanzen zusammen mit Dresdnern. Ein klarer Erfolg für die Bürgerkonferenz. An einem Dresdner Pegida-Montag wäre so etwas undenkbar.