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Linde macht Standort Dresden dicht

Bei dem Anlagenbauer verlieren voraussichtlich 480 Beschäftigte ihre Jobs. Der Technologieriese nennt Auftragsflaute als Grund.

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© kairospress

Von Michael Rothe

Der Linde-Engineering-Standort Dresden zählt zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich Planung, Lieferung und Bau von Petrochemie-, Luftzerlegungs-, Gas-, CO2- und Energieanlagen.“ So schwärmt der Technologiekonzern Linde im Internet von seiner sächsischen Adresse. Weiter heißt es: „Als Teil der Linde Engineering Division ist der Standort Dresden ein weltweit tätiger EPC-Anlagenbauer (Engineering, Beschaffung und Errichtung). Wir beschäftigen rund 500 hoch qualifizierte Ingenieure und Experten und arbeiten mit modernsten Tools und Systemen, um maximale Effizienz zu gewährleisten.“

Nicht Firmensitz, aber bis 2009 eine markante Ansicht am Dresdner Postplatz.
Nicht Firmensitz, aber bis 2009 eine markante Ansicht am Dresdner Postplatz. © SZ/Thomas Lehmann
Auf der Referenzliste der Dresdner Linde-Abteilung steht auch diese 2009 übergebene, gut 500 Millionen Euro teure Polyethylen-Anlage im saudi-arabischen Al-Jubail. In der Wüste entsteht ein Vorprodukt von Kunststoff – jährlich 400000 Tonnen Granulat.
Auf der Referenzliste der Dresdner Linde-Abteilung steht auch diese 2009 übergebene, gut 500 Millionen Euro teure Polyethylen-Anlage im saudi-arabischen Al-Jubail. In der Wüste entsteht ein Vorprodukt von Kunststoff – jährlich 400000 Tonnen Granulat. © Linde AG

Superlativ auf Superlativ. Doch die Realität sieht anders aus. Am Montagnachmittag erhielt die Belegschaft überraschend die Botschaft, dass der Standort geschlossen wird. „Das Produktportfolio sei nicht mehr so nachgefragt wie angedacht“, fasst Betriebsratschef Frank Sonntag die Begründung der Chefs zusammen.

Auf der Dresdner Linde-Website ist von Referenzen für große Petrochemieprojekte im Nahen Osten, in Europa und in Russland die Rede – zum Beispiel von Polyethylen- und Polypropylen-Anlagen und von Luftverflüssigungs- und Luftzerlegungsanlagen, die seit über 100 Jahren nach Russland und in die Ukraine geliefert werden. Auch bei kohlenstoffarmen und sauberen Energietechnologien und Prozessanlagen, etwa für die Lebensmittelindustrie, habe sich der – als Linde-KCA bekannte und 2015 im Konzern aufgegangene – Standort einen Namen gemacht.

Die Linde Group mit Sitz in München gehört zu den führenden Gase- und Engineeringunternehmen der Welt und hatte 2015 fast 18 Milliarden Euro Umsatz erzielt. Mit 65 000 Mitarbeitern ist Linde in über 100 Ländern vertreten. Jahrelang hatte der Dax-Konzern dank Bestellungen von Scheichs und aus Russland Rekordbilanzen vorgelegt – und der Dresdner Ableger mit dreistelligen Millionenumsätzen mehr als nur ein Scherflein beigetragen. 2013 wurde der Komplex gar Hauptsitz für die weltweiten Montageaktivitäten von Linde. „Das heißt, in Dresden werden Ausschreibungen und Durchführung gebündelt“, hatte Ex-Standortchef Jörg Linsenmaier damals gesagt. Und: „Damit wird der Standort noch mehr aufgewertet.“ Ein Trugschluss.

„Wir waren lange eine Erfolgsstory“, sagt Betriebsratschef Sonntag. Er nennt das Aus, für das es noch keinen Zeitplan gebe, „wirtschaftlich falsch, ungerecht und nicht nachvollziehbar“. Zwar würden auch in Pullach bei München 20 Prozent der Stellen abgebaut, aber nur in Dresden gingen die Lichter aus. Sonntag, Mitglied im Linde-Aufsichtsrat, hofft, dass sich die Betriebsräte auf eine gemeinsame Strategie verständigen. Er befürchtet aber, dass die Solidarität am Ortsausgangsschild enden könnte.

„Das Kennzahlen-getriebene Management hat immer nur Stammhalter aus Pullach nach Dresden in die Lehre geschickt“, schimpft Sonntag. Der Betriebsteil sei wettbewerbsfähig, zumal die Belegschaft bei weniger Gehalt auch fünf Stunden pro Woche länger arbeite als die im Westen. Der Betriebsrat, der noch den VEB aus DDR-Zeiten kennt, bezweifelt, dass ernsthaft nach Alternativen gesucht wurde. „Man bohrt das Brett an der dünnsten Stelle“, sagt er.

Ende Oktober hatte der Konzern ein Effizienzprogramm namens „Lift“ angekündigt, mit dem ab 2019 jährlich 370 Millionen Euro gespart werden sollen. Laut Vorstandschef Wolfgang Büchele wurde „das gesamte Unternehmen mit allen Organisationseinheiten einer Überprüfung der strategischen Ausrichtung und der Strukturen unterzogen“. Das Unternehmen sei auf dem Weg „zu einem der profitabelsten und präferierten Anbieter im Industriegase- und Engineeringgeschäft“. Die für Dresden relevante Engineering Division bilanziert bis Ende September 2016 zwar einen Umsatz- und Ergebniseinbruch von 13 Prozent, aber auch eine Marge, die mit 8,4 Prozent über dem Branchenschnitt liegt.

Betriebsratschef Sonntag sammelt gerade Aufnahmeanträge für die IG BCE. „Viele erinnern sich der Gewerkschaft erst, wenn es im eigenen Garten einschlägt“, sagt er. Jetzt gehe es um ihre Zukunft. Noch gebe es Hoffnung, und sei es unter anderem Eigner – „denn so einen Ingenieurpool bekommt man so leicht nicht wieder“. Sonntag setzt auf Hilfe der Politik und von Ex-Linde-KCA-Chef Günter Bruntsch.

Der Unternehmensberater ist seit 2010 Präsident der Dresdner Industrie- und Handelskammer und gilt als Strippenzieher im besten Sinn. Der frühere Kombinatsdirektor des VEB Komplette Chemieanlagen hatte 1989 als erster Ossi ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Westkonzern Linde beantragt. Entsprechend sauer ist er nun, da sein Lebenswerk beerdigt werden soll. Bruntsch spricht von „Desaster“ und kündigt Treffen mit den Entscheidern an.

Einer von Bruntschs Nachfolgern, Niederlassungsleiter Dirk Richter, ließ eine Anfrage der SZ am Dienstag unbeantwortet. Wie am Vortag die Nachfragen der enttäuschten und wütenden Belegschaft.