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„Liebesfest zwischen Pegida und Dresden-Nazifrei“

Bei der ersten Bürgerversammlung zur Asylpolitik in der Kreuzkirche wird klar: Viele sehnen sich wieder nach Frieden in der Stadt.

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© Sven Ellger

Von Andreas Weller und Ulrich Wolf

Dresden. In der Wendezeit 1989 war die Kreuzkirche für Dresden das Symbol für die politische Umgestaltung. Wird sie es wieder? Geht es nach dem Willen der Initiatoren der Bürgerversammlung vom Mittwochabend soll genau das geschehen. „Wir sind der Hoffnung, dass unsere Kirche gemäß unseres historischen Auftrags erneut ein Ort der Begegnung und des Gespräches wird“, sagte der evangelisch-lutherische Kreuzkirchenpfarrer Holger Milkau vor mehreren Hundert Menschen.

Und in der Tat, sie begegneten sich, die extremen Meinungen der Stadt. Als ein junger Mann Pegida als „neofaschistisch“ bezeichnete, riefen andere ihm zu, er solle sich nach Leipzig verziehen „zu den Linksfaschisten“. Man beleidigte sich lautstark, es kam zu leichtem Tumult. Frank Richter schaffte es, die Stimmung zu beruhigen, indem er deutlich machte, dass jedwede Beschimpfung untersagt ist. „Manchmal muss man eben Menschen aushalten, die ganz anders denken als ich“, sagte er. Das war der einzige Zwischenfall bei der rund zweistündigen Abendveranstaltung. Insgesamt kamen rund 20 Leute in der Bürgerrunde zu Wort, deren Meinungen vom „Verlust deutscher Werte und Normen“ bis hin zum „Gewinn durch multikulturelle Vielfalt“ reichten.

Vor der Bürgerrunde hatten zehn Redner jeweils dreiminütige Statements abgegeben, alphabetisch streng sortiert nach dem Anfangsbuchstaben der Nachnamen. Darunter war auch Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP). „Wir stecken fest, da schließe ich mich mit ein“, sagte er. Die Meinungen in der Stadt empfinde er als frustrierter, wütender, kompromissloser werdend. Er tue alles, um den Kreislauf von Standpunkt und Gegenstandpunkt zu durchbrechen. „Nur dann kann Dresden aus der jetzigen Diskussion gestärkt hervorgehen.“

Rene Jahn, Ex-Vize von Pegida, glaubte zu wissen, dass sich viele Dresdner von Politik und Medien übergangen fühlen. „Sie sehen deshalb keine andere Möglichkeit, als montags bei Pegida ihren Protest zu zeigen.“ An mehr gegenseitigen Respekt untereinander im Meinungsstreit appellierte der Radebeuler Schriftsteller Jörg Bernig, Mitglied der sächsischen Akademie der Künste. Nicht jeder Asylkritiker sei ein Rassist, nicht jeder Journalist ein Lügner, sagte er. Für ihn stehen das veröffentlichte und das öffentliche Wort derzeit in Deutschland nicht im Einklang. Sein ebenfalls aus Radebeul stammender Künstlerkollege Sebastian Hennig, Autor des Pegida-Buches „Spaziergänge über dem Horizont“, vertrat die Ansicht, die gebildete Elite schenke dem Volk kein Gehör.

Der ehemalige sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo sagte, Deutschland habe zuletzt „in einem Zustand der relativen Biedermeierzeit“ gelebt, die nun durch die vielen Flüchtlinge beendet werde. Darum sei es notwendig, Ideen für die sich verändernde Gesellschaft zusammenzutragen. Dazu sollte Dresden einen Zukunftsrat bilden. Claudia Greifenhahn, Betreiberin eines Vollwertrestaurants und dreier Weltläden, entwarf die Vision, in einer Stadt zu leben, „in der ‚Gutmensch‘ kein Schimpfwort ist“.

In Am Sayad Mahmood, Elektroingenieurin und Vorsitzende des Dresdner Ausländerrats betonte, Vorurteile gegen Muslime würden Deutschland vor Überfremdung nicht schützen. Den deutsch-syrischen Unternehmer Samer Mohamad treibt vor allem der Ansehensverlust Dresdens im Ausland um. Pfarrer und Polizeiseelsorger Christian Mendt formulierte seine Sehnsucht nach „einem Liebesfest zwischen Pegida und dem Bündnis Dreden-Nazifrei“. Er erntete Gelächter und konterte es mit den Worten: „Noch ist es wohl nicht so weit.“

Für Diskussionen hatte im Vorfeld der Veranstaltung die Absage von „Dresden für Alle“ gesorgt. Man wolle sich nicht von Menschen vereinnahmen lassen, die Pegida-Positionen unterstützen, lautete ein Grund des Boykotts. „Wir lehnen einen Dialog mit Menschen ab, die Hetze in Dresden salonfähig gemacht haben“, hieß es auf der Facebookseite des pegidakritischen Bündnisses. Anlass für dieses Reaktion war ein Eintrag von Rene Jahn auf dessen privater Facebookseite. Die Formulierungen hatten den Eindruck erweckt, als gehöre Jahn zu den Initiatoren der Bürgerversammlung, was jedoch nicht der Fall ist.