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Letzte Ruhe im Prinzenwald

Der Tod ist nicht umsonst. Davon war Daniel Prinz zu Sachsen überzeugt, als er vor mehr als einem Jahrzehnt begann, Sachsens ersten Bestattungswald zu planen.

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© Ronald Bonß

Von Ines Mallek-Klein

Das Golfcar zuckelt über den mit Holzschnitzeln bedeckten Weg. Es riecht nach nasser Erde und feuchtem Laub. Das Wasser rinnt von den Zweigen. Doch Daniel Prinz von Sachsen verzichtet auf den Schirm. Er springt vom Golfcar, geht zu einer Eiche und bückt sich über ein Erdloch, das von einer großen Holzscheibe abgedeckt ist. Rechts und links stehen brennende Kerzen. Daniel Prinz richtet den Stoffrand. Alles soll perfekt sein, wenn hier in wenigen Minuten eine Urne beigesetzt wird – gefüllt mit der Asche einer über 90-Jährigen. Sie hat ihr Leben gelebt, die Natur geliebt und wird nun hier, mitten im Friedewald, ihre letzte Ruhe finden.

Schon mehr als 250 dieser Beisetzungen haben in dem Waldstück zwischen Radebeul und Dresden stattgefunden. Hinzu kommen Hunderte, die bereits zu Lebzeiten ihren Baum ausgesucht haben. Zu seinen Wurzeln soll ihre Asche bestattet werden.

Die naturnahe Bestattung als erfolgreiches Geschäftsmodell? Ja, die Nachfrage ist da. Damit hatte Daniel Prinz zu Sachsen auch gerechnet, als er vor mehr als zehn Jahren begann, an seinem Konzept eines Bestattungswaldes zu arbeiten. In der Bodenseeregion, der Heimat seiner Frau, hatte er einen Friedwald besucht und war begeistert von den Freiheiten, die diese neue Bestattungskultur bietet. In den neuen Bundesländern gab es dieses Angebot damals noch gar nicht, und so wagte Daniel Prinz zu Sachsen den Vorstoß.

Pläne für den Prinzenwald

Sachsen-Prinz Daniel hat in seinem mit Eichen bepflanzten Friedewald Platz für 120000 Urnen.

Schrittweise soll eine Fläche von 40 Hektar zum Bestattungswald werden.

Die günstigste Grabstätte unter einem Gemeinschaftsbaum mit elf anderen Urnen kostet 450 Euro für 20 Jahre. Den Familien-Baum für bis zu fünf Urnen gibt es ab 4300 Euro.

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Er plante den ersten Friedwald in Sachsen, und das anfänglich sogar mit dem gleichnamigen, bundesweit tätigen Unternehmen aus Griesheim bei Frankfurt/Main.

Die Friedwald GmbH betreibt heute knapp sechzig Bestattungswälder bundesweit. Die Flächen von Daniel Prinz zu Sachsen gehören nicht dazu. „Das Konzept war mir am Ende doch zu statisch, zu routiniert. Ich möchte den Hinterbliebenen so viele Freiheiten wie möglich geben beim Abschied von einem lieben Menschen“, sagt der Forstwirt, der auch selbst Grabstellen mit vorbereitet und manchmal sogar eine Trauerrede hält.

Seine erste sprach er für eine junge Frau, gerade einmal 21 Jahre alt. An ihrem Urnenplatz liegt ein Stein. Er ist am Tag der Beisetzung durch die Hände der Trauernden gewandert. Wer wollte, konnte sich mit persönlichen Worten verabschieden – oder einfach nur schweigen. Und dann war da noch die Kerze. Sie hat in der Wohnung der jungen Frau gestanden. Nun brannte sie an ihrem Grab, und jeder der Trauergäste konnte ein Licht an ihr entzünden, um es mit nach Hause zu nehmen.

Die Trauer ein Stück weit im Wald zu lassen und neue Kraft aus der Natur mitnehmen, die hilft, den Verlust zu verarbeiten. Das ist die Idee der Naturruhe GmbH, die Daniel Prinz zu Sachsen gegründet hat und die seit Oktober vorigen Jahres offiziell Bestattungen im Friedewald anbieten darf. Davor lagen viele Jahre Arbeit an der Konzeption und Gespräche mit denen, die dem Projekt kritisch gegenüberstanden. Davon gab es nicht wenige. Ein erster Versuch, den Bestattungswald anzulegen, scheiterte nach einem Stadtratsbeschluss von Coswig. Die Kommunalpolitiker befürchteten, zu wenig Mitspracherechte zu haben.

Daniel Prinz zu Sachsen überarbeitete sein Konzept, warb für seine Idee und räumte Stück für Stück die Bedenken seiner Gegner aus. „Heute weiß ich, dass vor allem die Kirche intervenierte“, sagt er, „aus Sorge um ihre Friedhöfe“. Schon heute gibt es dort viele freie Plätze. Die Zahl der Erdbestattungen – im Osten ohnehin selten – nimmt weiter ab. Urnengräber brauchen weniger Platz, und dann gibt es da noch den Trend zur „grünen Wiese“. „Das ist für mich eine Bestattungsunkultur“, sagt Daniel Prinz zu Sachsen.

Die anonyme Bestattung, namenlos, im Gemeinschaftsgrab sei würdelos. Menschen brauchten einen Ort zum Trauern. Das könne auch der Friedhof sein. Nur sei die Kirche, egal ob katholisch oder evangelisch, viel zu rigide in ihren Angeboten. Auch deshalb komme zu Lebzeiten kaum einer auf die Idee, seine Grabstätte auf dem Friedhof auszusuchen.

Im Wald ist das anders. Nur jede fünfte Grabstelle wird von den Nachkommen ausgesucht. „Die meisten kommen zu Lebzeiten hierher und wählen sich ihren Platz aus“, sagt der 42-jährige Familienvater. Da ist das hochbetagte Rentnerpaar, das wegen seiner Gehbehinderung im Golfcar durch den Wald gefahren wird. Und da ist der 27-jährige Student, der – obwohl gesund und fit – alles geregelt haben möchte für sein Ableben, inklusive der Musik, die bei der Beisetzung gespielt werden soll.

Den Tod zurück ins Leben holen. Auch das ist eine Mission von Daniel Prinz zu Sachsen. Wer ihn im Büro der Naturruhe GmbH in Radebeul besucht, trifft auf schneeweiße Möbel und Sonnenstrahlen, die auf einem riesigen Wandbild durch eine Baumkrone schimmern. „Die Natur hat ein anderes Verständnis vom Tod als wir. Das Sterben gehört dazu, damit Neues wachsen kann“, sagt der Unternehmer und Forstwirt. Es ist dieser natürliche Kreislauf von Entstehen, Werden und Vergehen, der ein Stück Trost spendet.

Auch deshalb beantwortet Daniel Prinz zu Sachsen bei seinen regelmäßigen Führungen durch den Bestattungswald geduldig alle Fragen. Was wird aus der Urne, zum Beispiel. Sie besteht aus Holz und Lignin, ist komplett biologisch abbaubar und wird im Laufe der Jahre von Mikroorganismen zersetzt. Und die Asche? Die besteht aus Kohlenstoffen, die mit dem Wasser von den Pflanzen wieder aufgenommen werden. Es ist ohnehin der wichtige Anspruch, durch die Bestattungen nicht in das Ökosystem Wald einzugreifen. Auch deshalb ist kein Grabschmuck erlaubt. Einzig Steine oder Moosherzen werden zu den Trauerfeierlichkeiten geduldet.

Die Grabstellen sind Bäumen zugeordnet, die mit GPS ausgemessen worden sind. Die Gräber selbst werden mit dem Kompass und einem Zollstock eingemessen. Unter einem Gemeinschaftsbaum finden bis zu zwölf Grabstellen Platz.

Es gibt aber auch noch den Partnerbaum. „Er ist das unflexibelste Modell, eigentlich ziemlich antiquiert und trotzdem sehr stark nachgefragt“, so Daniel Prinz zu Sachsen. Wer auch nach dem Tod seine Familie um sich wissen möchte, der kann einen Familienbaum mit Platz für fünf Urnen reservieren.

Die Bäume stehen entweder schon im Wald oder können auf Wunsch auch neu angepflanzt werden. Nicht jeder Wald kann Bestattungswald werden. Man braucht spezielle Baumarten und Bodenvoraussetzungen. Daniel Prinz zu Sachsen hat in dem Friedewald schon vor knapp einem Jahrzehnt mit dem Waldumbau begonnen. Kiefern wurden schrittweise durch Buchen oder Eichen ersetzt. Die Hölzer sind robust, wenig anfällig für Schädlinge und können mindestens 200 Jahre alt werden.

Das ist wichtig, denn die Naturruhe GmbH bietet Ruhezeiten von mindestens 20 und maximal 98 Jahren an. Überdauert ein Baum diese Zeit nicht, gibt es eine Ersatzpflanzung.

Das Urnengrab ist bis zu einem Meter tief und wird mit 60 Zentimetern Erde abgedeckt. Sorge, dass Tiere die sterblichen Überreste wieder ausbuddeln, müsse man nicht haben. Die Urnen seien geruchsneutral und damit für die Tiere uninteressant. Wichtiger sei schon die Bodenbeschaffenheit. „Wir wollen ja keine Seebestattung machen, brauchen also Erdschichten, die kein Wasser führen“, erklärt er. Die Wege im Friedewald tragen Baumnamen. Die Pfade erinnern an Amsel, Drossel, Fink und Star. Jeder Baum ist nummeriert. Er kann auf Wunsch auch mit einem Namensschild versehen werden.

Immer mehr Menschen entscheiden sich für die Bestattung im Grünen. Viele, weil sie schon zu Lebzeiten naturverbunden waren. Doch manch einer will seinen Kindern auch nur die Grabpflege ersparen. „Die übernimmt bei uns die Natur“, sagt der Naturruhe-Gründer.

Den Trend zum Friedwald hat unterdessen auch ein anderer erkannt. Prinz zur Lippe hat in Oberau einen Bestattungswald eröffnet. Mit Blick auf das Elbtal ist Platz für 220 000 Urnen. Anders als bei Daniel Prinz zu Sachsen wird es hier die Friedwald GmbH sein, die den Bestattungswald betreut. Einen großen Konkurrenzkampf erwartet Daniel Prinz zu Sachsen nicht. Eines aber ärgert ihn schon, die räumliche Nähe. Beide Wälder trennen kaum mehr als fünf Kilometer. „Man baut ja auch keine Krankenhäuser oder Kindergärten direkt nebeneinander“, sagt er.

Im ersten Quartier des Friedewaldes sind etwa 60 Prozent der Plätze schon vergeben. Der Waldumbau wird also weitergehen. Schritt für Schritt. Und bei jeder Eiche, die Daniel Prinz zu Sachen pflanzt, hat er ein gutes Gefühl. Er weiß, der Wald kann die Trauer nicht nehmen, aber er kann sie lindern.