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Letzte Klappe für Kult-Videothek

Die Phase IV ist mehr als nur ein Filmverleih. Nach zehn Jahren gibt Inhaber Sven Voigt auf. Und feiert trotzdem.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Zum Ende gibt es einen zärtlichen Kuss. Die junge Frau legt den Kopf in den Nacken, sieht hoch zur Hutkrempe des Mannes, haucht den Kuss auf seine Wange. Es ist ein Kuss zum Geburtstag, zum Abschied, ein Kuss auf den Film. Er hat von allem etwas. Und passt deshalb so gut auf den aktuellen Flyer für die Phase IV.

Mit dem kündigt Inhaber Sven Voigt nicht nur den zehnten Geburtstag seiner Programm-Videothek in der Neustadt Ende Januar an. Mit dem will er sich auch von seinen Kunden verabschieden. Nach zehn Jahren ist Schluss. Sven Voigt wird Ende März schließen. Den Kuss – eine Szene aus dem Film „Außer Atem“ von 1958 – hat er bewusst gewählt. „Der Film gilt als Start der Nouvelle Vague, der neuen Welle“, sagt er. „Er hat den französischen Film damals komplett umgekrempelt.“

Einen Neuanfang, ein Ende, eine neue Welle – das steht dem 41-Jährigen nun auch bevor. Seit zehn Jahren gehört seine Programm-Videothek in die Dresdner Neustadt. Der Laden ist Kult. Rot-Orange leuchten die großen Fenster der Räume an der Königsbrücker Straße 54 in die Dunkelheit. Viele Nachtschwärmer kamen nur deshalb rein und sind begeistert als treue Kunden geblieben. An den Wänden stehen dunkle Regale, meterhoch, gefüllt mit Filmhüllen. 12 000 verschiedene Filme hat Inhaber Sven Voigt im Angebot: Klassiker, Blockbuster, Nischenfilme aus aller Welt, Liebhaberstücke genauso wie längst vergessene Relikte aus 120 Jahren Filmgeschichte.

Filminfos in sowjetischen Sesseln

Die Phase IV ist eine Herzensangelegenheit. Schon immer hat Sven Voigt Filme geliebt, ist dieser Leidenschaft auch im Studium gefolgt. Im Leipzig schrieb er sich in den Fächern Geschichte sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft ein. Zurück in Dresden, entdeckte er das Geschäft an der Königsbrücker. Damals wurde das Gebäude saniert. Durch dicke Holzbretter lugte Sven Voigt in das Geschäft. Und wusste schnell, dass hier der richtige Ort für seine Leidenschaft ist. Die fünf Meter hohen Decken, die Galerie, die großen Fensterscheiben – all das passte zu seinem Traum von der ganz anderen Videothek. „Einer normalen Videothek auf den Kopf gestellt“, sagt er. Mit einem Namen von einem Science-Fiction Film aus den 1960er-Jahren.

Den skeptischen Vermieter hat er schnell überzeugt. Und die Herzen der Neustädter erobert. In der Phase IV lebt der Film, egal ob Kassenschlager oder Spartenwerk. In einer der Regalwände finden sich 1 800 Filme, sortiert nach ihren Regisseuren. Jeder der acht Mitarbeiter hat sein Spezialgebiet, kann erklären, empfehlen, diskutieren. Die Kinosessel aus dem alten sowjetischen Pavillon der Messe Leipzig laden zu Expertengesprächen ein. An einem Drehrad werden 28 Regisseure vorgestellt, deren Filme kann der Kunde kostenlos mitnehmen. In manchen Nächten hat Sven Voigt bis zu drei Filme gesehen, um Aktuelles empfehlen zu können. Nach der Geburt seiner Tochter schafft er nur noch einen pro Nacht, wenn überhaupt. Dennoch: Immer wieder entführt er so seine Kunden in unbekannte Filmwelten.

Trotz aller Wohlfühlatmosphäre, der Oase für Filmfans, dem Kultfaktor: Nun ist Schluss. Die Treue von 6 000 aktiven Kunden, die mindestens einmal pro Jahr etwas ausleihen, reicht nicht. Langfristig sei der Umsatz gesunken. Schon vor zwei Jahren hat Sven Voigt ans Aufhören gedacht, hat es aber nicht übers Herz gebracht. „Die Phase IV ist großartig, die Kunden wunderbar. Das ist genau der richtige Ort dafür“, sagt er. Doch er denkt realistisch. Gegen die Alltäglichkeit des Filmeguckens im Internet kommt er nicht mehr an. Immer mehr Menschen wollen für das Filmerlebnis nichts oder nur noch wenig bezahlen. Dass es dort nur Mainstream ohne Beratung gibt, scheint nebensächlich. Manch einer fragt auch in der Phase IV, warum die Ausleihe überhaupt Geld kostet.

Den Spagat zwischen Kulturbetrieb und Ausleihe schafft Sven Voigt nicht mehr. Ohne Zweifel ist die Sammlung auch ein Stück Filmkultur, ein kultureller Schatz, den es so wohl kein zweites Mal gibt. Das haben auch andere Kulturschaffende der Stadt gewusst. Mit vielen hat Sven Voigt zusammengearbeitet, so mit dem Thalia-Kino und dem Dresdner Filmfest. Trotzdem war es stets unmöglich für ihn, eine Förderung für seine Sammlung zu bekommen.

Sven Voigt zieht den Schlussstrich. Was danach kommt, weiß er nicht. Irgendwas mit Filmen will er machen. Die komplette Sammlung kann er nicht behalten. Viele Filme werden verkauft. „Die Besten behalte ich aber“, sagt er. Ganz loslassen will er nicht. In Melancholie versinken auch nicht. Die nächsten Wochen werden traurig sein. Viele Kunden werden noch einmal kommen, werden nach dem Warum fragen. Werden es vielleicht nicht verstehen. Oder helfen wollen. Werden sich erinnern an Erlebnisse in der Filmgalerie.

Und weil es davon jede Menge gibt, will Sven Voigt noch einmal groß feiern. Am 30. Januar jährt sich die Eröffnung zum zehnten Mal. In der Scheune ist eine Party geplant, so wie jedes Jahr. Die Phase-IV-Partys waren stets ausverkauft. Zu an die Wand projizierten Filmszenen und DJ-Klängen wird getanzt. Ein zarter Kuss auf die Wange darf dann nicht fehlen.

Eine begrenzte Anzahl Karten für die Geburtstagsparty in der Scheune gibt es ab diesem Sonnabend in der Phase IV. Karten gibt es zudem an der Abendkasse.