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„Leipzig wird Energiewendestadt“

Der Energieexperte Christian Haase spricht im Interview über Elektroautos, träge Stromkunden und wachsenden Druck aus China.

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© dpa

Herr Haase, Ihr Unternehmen hilft dabei, den Stromversorger zu wechseln. Finden Sie dafür noch neue Kunden?

Christian Haase ist Vorstand des Unternehmens Kilowatthandel und Landesvorsitzender im Verband Die Familienunternehmer (früher: ASU).
Christian Haase ist Vorstand des Unternehmens Kilowatthandel und Landesvorsitzender im Verband Die Familienunternehmer (früher: ASU).

Das Geschäft ändert sich brutal, der große Hype vom Anfang des Jahrtausends ist längst vorbei. Wer seinen Energieversorger wechseln will, kann das einfach übers Internet erledigen. Trotzdem ist die Hälfte der Haushaltsstromkunden noch immer in der Grundversorgung und bezahlt unnötig hohe Preise. Viele Menschen sind bei solchen Fragen träge. Ich habe selbst auch nur einmal den Telefon-Anbieter gewechselt und weiß nicht genau, ob ich jetzt beim billigsten bin.

Geben Sie diesen Geschäftszweig denn nun auf?

Nein, aber wir konzentrieren uns auf Industriebetriebe, dort lässt sich mehr bewegen. Allerdings gibt es bei niedrigen Strompreisen von drei Cent an der Strombörse nicht viel nachzuverhandeln. Die Energiewende hat zu diesen niedrigen Preisen geführt, die Strom-Erzeugung in großen Kraftwerken ist nicht mehr attraktiv. Doch in dieser Energiewende steckt eine große Chance. Deutschland hat dabei drei bis fünf Jahre Vorsprung vor anderen Ländern in der Welt. Nun geht es darum, die Energiewende richtig umzusetzen.

Welche Ideen haben Sie dafür?

Wir haben ein Konzept für die Energiewendestadt Leipzig entwickelt. Daraus kann ein Modell für viele werden. Es wäre sehr schön, wenn wir in Leipzig 2018 eine Delegation aus Schanghai empfangen könnten, die von uns wissen will, wie eine nachhaltige Stadt der Zukunft aussieht.

Warum soll gerade die Stadt Leipzig als Modell für die Energiewende geeignet sein?

Der Modellversuch sollte in einer der zehn größten Städte Deutschlands stattfinden, damit er weltweit vorzeigbar wird. Leipzig ist zudem bereits das Datenzentrum der Energiewende, denn hier sitzt die Strombörse EEX. Außerdem baut BMW hier Elektroautos. Leipzig hat auch einen kleinen Wende-Bonus, vielleicht gönnt man es der Stadt deshalb eher. Und es gibt viel kommunales Eigentum, auf das die Stadt direkten Zugriff für ein solches Projekt hat.

Was soll ausprobiert werden?

Die Energiewende hat drei Aspekte: Energie dezentral erzeugen, Verbrauch flexibilisieren und Strom speichern. Für die Strom-Erzeugung kann eine Stadt wie Leipzig viele Flächen bereitstellen: Fotovoltaik-Anlagen passen auf Plattenbauten, an den Flughafen, auf die Alte und Neue Messe und auf ältere Industriebauten, die bisher nicht saniert wurden.

Und was meinen Sie mit flexiblerem Verbrauch?

Strom kostet nichts, wenn er an sonnigen Tagen um die Mittagszeit produziert wird. Manchmal erzeugen die Fotovoltaik- und Windanlagen in Deutschland schon so viel Strom, dass wir Österreich Geld dafür bezahlen, ihn abzunehmen. Also muss Strom künftig vor allem dann verbraucht werden, wenn er erzeugt wird. Nehmen Sie als Beispiel ein Kühllager für Tiefkühlpizza, das bei minus 22 Grad betrieben wird. Man kann es tagsüber mit billigem Strom noch ein paar Grad stärker herunterkühlen, ohne die Qualität zu verändern. Danach kann man die Kühlaggregate abends für einige Zeit ausschalten, wenn Strom teurer ist. Die Strombörse in Leipzig kann helfen, die Preise auf die Stunde genau vorherzusagen – die Wetterprognosen sind gut genug.

Sind trotzdem Stromspeicher nötig?

Ja, denn nur ein Teil des Stromverbrauchs lässt sich flexibilisieren. Beim Speichern können Elektroautos helfen. Die meisten fahren doch morgens nur fünf bis 20 Kilometer und stehen tagsüber. Wenn die Batterien aufgeladen werden, können sie abends Strom nach Hause bringen, wo er benötigt wird.

Es nützt doch nichts, von Elektroautos zu schwärmen, wenn sie so wenig gekauft werden wie bisher?

In wenigen Jahren sieht die Welt schon völlig anders aus. Schon jetzt gibt es immer mehr Elektro-Ladestationen, häufig mit Gratis-Strom. Elektro-Autos sind viel billiger zu bauen als herkömmliche mit Motor, nur die hohen Batteriekosten machen zurzeit zwei Drittel des Auto-Preises aus. Die Batterien werden aber mit zunehmenden Mengen billiger. Der Druck wird aus China kommen, denn dort werden Verbrennungsmotoren bestimmt bald in großen Städten verboten – wegen der Luftverschmutzung. Wenn die deutschen Hersteller von Premium-Autos nicht bald ein Elektro-Konzept haben, werden sie den Markt an chinesische Hersteller verlieren.

Wollen Sie zum Autohändler werden?

Klassische Autohändler gibt es vielleicht künftig auch nicht mehr. Viele Leute werden kein Auto mehr haben wollen, sondern sich Mobilität bestellen – also jeweils das passende Transportmittel für die Fahrt oder Reise. Elektroautos von Apple oder Google, die auch alleine fahren, gibt es dann womöglich bei Sixt zu mieten oder über eine App wie Mytaxi zu bestellen. Das Auto ist in Zukunft im Grunde nur noch ein Computer. Man kann es über das Handy fahren lassen.

Wird sich das alles wirklich bald durchsetzen?

Das klingt alles nach Star-Trek-Film, aber in den nächsten zehn Jahren wird es dazu kommen. Die meisten Menschen überschätzen den Wandel im nächsten Jahr, unterschätzen aber den Wandel in zehn Jahren. Meine Tochter ist 16 und fragt mich: Wie habt ihr euch eigentlich früher getroffen, ohne Handy?

Wird Ihre Tochter später Ihre Firma übernehmen?

Ich würde mich freuen, wenn eines meiner Kinder das Unternehmen weiterführt. Die meisten meiner Kollegen im Verband Die Familienunternehmer wollen ihr Unternehmen langfristig führen und weitergeben.

Sie sind Landesvorsitzender des Verbandes. Was bringt die Mitgliedschaft?

Austausch mit anderen Unternehmern, ein gutes Netzwerk, wenn man Unterstützung braucht. Jeder ist mal durch harte Zeiten gegangen. Im Verband Die Familienunternehmer sind ausschließlich Unternehmer Mitglieder, nicht angestellte Manager. Uns geht es um die Nachhaltigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die wenigsten von uns könnten ihren Betrieb nach Bangladesch verlagern.

Ihr Verband spricht sich für das Handelsabkommen TTIP und gegen gesetzlichen Mindestlohn aus und fordert: Hände weg von der Zeitarbeit. Vertreten Sie die reine Marktwirtschaft?

Marktwirtschaft ist der Kern unserer sozialen Marktwirtschaft. Es geht nicht um Sozialismus mit einem bisschen Markt, sondern erst einmal muss der Markt funktionieren, dann kann man ihn sozial gestalten. Der Energiemarkt ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Markt ein besseres Ergebnis bringt als der Staat.

Aber gerade der Energiemarkt in Deutschland ist doch sehr stark vom Staat reguliert?

Ja, aber Anfang der 2000er-Jahre wurde vieles liberalisiert. Das brachte große Erfolge, Wettbewerb mit neuen Unternehmen und sinkenden Preisen. Dann ging es aber wieder los mit staatlichen Eingriffen, mit Subventionen hier und dort. Das hat den Markt vollkommen aus den Angeln gehoben. Zum Beispiel gab es garantierte Preise für Fotovoltaik, und damit wurde schließlich Technik aus China importiert. Der Staat sollte eben nur dort eingreifen, wo der Markt nicht funktioniert.

Die Energiewende bringt trotzdem neue Marktchancen?

Ja, heute ist in diesem Markt mehr Geld als vor zehn Jahren. Früher gab es da hauptsächlich Eon und RWE. Heute investieren viele Fonds in Windparks und Fotovoltaik. Ich hoffe nur, dass nicht der Großteil des Geldes in ein paar Jahren bei Apple landet, sondern dass Deutschland eine sinnvolle Mischung hinbekommt. Dazu gehören nicht nur neue Technologien, sondern auch die Steuerung, ein sinnvoller Einsatz der Erzeugungskapazitäten und ein sinnvoller Zugang zu Energie.

Das Gespräch führte Georg Moeritz.