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Lehrlings-Leerstand?

Nachwuchssorgen hat die Ullersdorfer Klempnerei Lück nicht. Doch damit ist sie eine Ausnahme.

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© Willem Darrelmann

Von Luise Martha Anter

Die Wand ist das Sinnbild. Drei Meisterbriefe hängen da, schickes Papier, edle Schrift, voller Ornamentik. Und so viele Urkunden, dass man sie beim ersten Hinsehen gar nicht zählen kann. Die meisten ehren „Sachsens besten Lehrling im Bereich Klempner“. Die Wand im Büro von Klempnermeister Thomas Lück in Ullersdorf, gleich neben der einstigen Ullersdorfer Mühle, sie ist das Sinnbild für die Worte, die er nun nicht ohne Stolz vorträgt: „Unsere Firma hat für das Fortbestehen des Unternehmens vorgesorgt.“

Seit 1993 hat er den Betrieb aufgebaut, ganz alleine. Klempner: Der Beruf passte einfach. Heute, 23 Jahre später, umfasst sein Team 13 Leute, mit drei Meistern ist es vergleichsweise „überqualifiziert“, wie er sagt. Vor allem aber ist das Team jung – von Anfang an bildete Lück zum Klempner und Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik aus. Viele der Lehrlinge bleiben dem Betrieb nach dem Ende ihrer Lehrjahre treu. Große Nachwuchssorgen macht sich Thomas Lück also nicht.

Banger Blick in die Zukunft

Doch er weiß: Viele Handwerksbetriebe schauen sehr wohl bangen Blickes in die Zukunft. Denn sie haben ein Problem. Oder besser: 172 224 Probleme. So viele Ausbildungsstellen waren bundesweit zu Beginn des aktuellen Lehrjahres am 1. September 2016 noch unbesetzt. Gezählt hat das der Deutsche Industrie- und Handelskammertag.

Setzt sich dieses Bild im Kammerbezirk Dresden, zu dem auch Radeberg gehört, fort? Eine genaue Zahl der freien Lehrstellen kann die Handwerkskammer Dresden nicht nennen, so Pressesprecherin Carolin Schneider. Für die Betriebe bestehe keine Pflicht, die freien Stellen zu melden. Einen Anhaltspunkt biete aber die Lehrstellenbörse der Kammer im Internet. Dort finden sich derzeit 550 Stellenangebote – „zum Großteil für das vor der Tür stehende Lehrjahr.“ Die Tendenz der letzten Jahre: Es gibt mehr Lehrstellen als Bewerber. Doch dürfe man nicht pauschal urteilen, so Carolin Schneider: Häufig passten Anforderungsprofil und Bewerber nicht zusammen – egal, ob es um Noten oder soziale Kompetenz geht.

Jugendliche haben falsche Vorstellungen

Nicht nur der Beruf hat Anforderungen an den Bewerber, das gilt auch umgekehrt. Besonders weit oben in der Gunst der jungen Menschen stehen Kraftfahrzeugmechatroniker, Friseure und Elektroniker. Das Nahrungsmittelgewerbe und Baubetriebe hingegen haben es schwerer, Nachwuchs zu gewinnen. Viele Jugendliche, so Carolin Schneiders Kollege Daniel Bagehorn, hätten falsche Vorstellungen vom Beruf oder würden von „wenig attraktiven“ Arbeitszeiten beispielsweise eines Bäckers abgeschreckt. Doch er zeigt sich optimistisch: Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge um 8,5 Prozent. Das „Klappern“ der Betriebe um Nachwuchs sei erfolgreich, freut er sich.

Für Thomas Lück hingegen ist klar: „Das Kind ist längst in den Brunnen gefallen.“ Auch er hat seinen Beruf attraktiv präsentieren wollen zum Tag der offenen Tür der Handwerkskammer beispielsweise. Allein: Der Erfolg blieb aus. „Da kamen keine Anfragen, die Jugendlichen sind achtlos vorbeigegangen und haben gar kein Interesse gezeigt!“ Thomas Lück wirkt frustriert, wenn er an diesen Nachmittag zurückdenkt: „Meine Zeit ist wertvoll. Ich werde sie für so etwas wohl nicht wieder verwenden.“

Bei Wind und Wetter unterwegs

Lück spricht nicht von falschen Vorstellungen, die man revidieren kann. Lück spricht vielmehr von einem tief verwurzelten Imageproblem. „Die Gesellschaft lebt andere Ideale vor als den des Handwerkers. Der ist schmutzig, dreckig, nass und kalt.“ Bei „Wind und Wetter“ sei er auf Dächern und Gerüsten unterwegs. „Natürlich ist das anstrengend.“

Auch der Blick auf das potenzielle Gehalt dürfte einem Lehrlingsanwärter winterliche Akrobatikübungen auf Ullersdorfs Dächern nicht unbedingt sympathischer machen. Lück macht keinen Hehl daraus, dass er als Handwerker einfach nicht so viel bezahlen könne, wie die Industrie oder das Bankgewerbe: Wer seine Ausbildung beispielsweise bei der Sparkasse macht, bekommt im ersten Lehrjahr 938 Euro monatlich. Lück zahlt anfangs 350 Euro. „Das muss man dann schon wirklich wollen.“

Tritt der Glücksfall ein und die Chemie zwischen Beruf und Bewerber stimmt –, so sind doch noch nicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt.

Im Falle der Klempnerausbildung bei Thomas Lück in Ullersdorf könnte letzterer, also der Weg, selbst zum Hindernis werden: Der ist nämlich ganz schön lang. Die Berufsschule liegt nicht etwa in Dresden, Kamenz oder Bautzen. Auch nicht in Leipzig oder vielleicht Chemnitz. In Sachsen bilden schlicht nicht genug Betriebe aus: Deshalb liegt die Berufsschule in Meiningen. Meiningen ist in Thüringen, exakt 306 Kilometer von Thomas Lücks Betrieb entfernt. Der Zug, auf den viele Auszubildende wohl angewiesen wären, benötigt vier Stunden. Minimum. „Das erklären Sie mal ‘nem jungen Kerl.“ Thomas Lück lacht bitter.

Luise Martha Anter studiert an der TU Dresden Politik- und Kommunikationswissenschaften und absolviert derzeit ein Praktikum in der Radeberger SZ-Redaktion.