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Leben mit Leergut

Andreas Pfannschmidt ist Glücksspieler und seit Jahren ohne festen Job.Um Notgroschen zu haben, sammelt er Pfandflaschen– so gut, sagt er, dass er in Dresden zu den Besten seiner Branche gehört.

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Von Doreen Hübler

Er hat seine allerletzten Notgroschen zur Bank gebracht. Sie stecken in einer Spardose aus Metall, die aussieht wie eine britische Telefonzelle. Die Ration für schlechte Zeiten, und diese sind gerade angebrochen. Der Monat ist noch nicht zu Ende, aber das Portemonnaie leer. Andreas Pfannschmidt ist mal wieder pleite. Abgesehen von den restlichen 4,62 Euro, seinem Haufen Centstücken, die der Bankautomat gerade gegen größere Münzen getauscht hat. Zu wenig, um entspannt zu sein, aber Andreas Pfannschmidt ist solche Summen gewöhnt. Er rechnet konzentriert durch: Das Geld reicht für einige warme Mahlzeiten bei der Dresdner Tafel, außerdem lagern im Kühlschrank zu Hause noch Reste zum Essen. Er braucht zwar dringend Handschuhe, weil das Wetter frostig geworden ist, aber da wird er sich ein Paar in der Kleiderkammer aussuchen, kostenlos. Und bei allen anderen Ausgaben hilft das, was immer hilft: Pfandflaschen sammeln. Geld holen, das auf der Straße liegt. Auch, wenn es Kleingeld ist.

Andreas Pfannschmidt sieht älter aus als die 50 Jahre, die ihm sein Personalsausweis bescheinigt. Seine Kleidung ist zerschlissen, aber sauber. Er lacht viel und raucht viel und manchmal muss er dabei rasselnd husten. „Eines will ich mir nicht nehmen lassen, das alles auch mit Fröhlichkeit zu sehen.“ Diesen Spruch sagt er oft. Es soll nach Optimismus klingen.

Am Rand der Gesellschaft eingerichtet

Andreas Pfannschmidt hat sich am Rand der Gesellschaft eingerichtet. Er war noch nie weit genug davon entfernt, um die Spielregeln zu verlernen. Das tägliche Überleben, das Suchen nach Nischen und Ecken, in denen es etwas zu holen gibt, das andere nicht mehr brauchen. Er ist Jäger und Sammler. Und außerdem süchtig. Nein, nicht Alkohol, sagt er. Zocken, blinkende Automaten, Glücksspiel, das sei sein Problem. Eines von vielen, dass er trotz etlicher Therapien nicht in den Griff bekommen habe. Seine Biografie, von der er Bruchstücke erzählt, handelt von Schicksalsschlägen, schlechter Gesellschaft und verhängnisvollen Wiederholungen. Eine Geschichte, für die bisher kein Happy End vorgesehen ist.

Die ersten Pfandflaschen tauchen schon in einem frühen Kapitel auf. Bereits als Junge habe er gesammelt, weil seine Eltern ihm und den drei anderen Kindern kein Taschengeld gaben. Er hortete Glas und Altpapier, für das Geld kaufte er Kuchen beim Bäcker. Schlecht habe er es in seiner Familie nie gehabt, erzählt Pfannschmidt, aber es gebe einen fatalen Hang zur Depression. Fünf Selbstmorde im nahen Umfeld habe er im Laufe seines Lebens erleben und verkraften müssen, auch zwei seiner Geschwister hätten sich umgebracht. Die ersten Katastrophen habe er noch bewältigt, in den Achtzigerjahren sogar seine Lehre als Hafenarbeiter beendet. Dann kam der Wendepunkt, er schaffte es nicht mehr, die Ereignisse zu verarbeiten. „Dann bin ich seelisch und moralisch abgeglitten.“

Er verlor den Halt in der Gesellschaft, begann zu spielen, zu verlieren, Schulden zu machen. Ein paar Jahre gab es noch hier und da eine feste Stelle, zuletzt Anfang der Neunzigerjahre in einem Dresdner Getränkemarkt. „Die Arbeit war hart, aber es gab ein super Mittagessen und die Chefin war top“, erzählt er. Dann war auch dieses Arbeitsverhältnis vorbei, von nun an jobbte Pfannschmidt mal bei der Obdachlosenzeitung, mal in einem Café, manchmal gar nicht. Die Schuld dafür sucht er nicht nur bei anderen, die findet er schnell bei sich selbst. In Sätzen wie: „Ich kann ein unbequemer Mitarbeiter sein“, und: „Sie müssen wissen, ein Engel war ich nie.“

Heute ist Pfannschmidt vor allem eins: Erwerbsunfähigkeitsrentner, „wegen Borderline-Syndrom und posttraumatischer Belastungsstörungen“. Sein Geld bekommt er von einem Anwalt ausgezahlt, damit er nicht alles auf einmal am Spielautomaten ausgibt, und bestenfalls etwas übrig bleibt, um seine Schulden zu tilgen. Von der Rente wird das Nötigste bezahlt, unter anderem eine Ein-Raum-Wohnung. Wenn es nicht reicht, dann ist Pfannschmidt Flaschensammler. „Einer der cleversten in Dresden“, das sagt er mit ein bisschen Stolz.

Der Barfußläufer und der Rotbarsch

Er kennt alle Reviere und Kollegen in der Stadt. Menschen, die nur noch Spitznamen haben. Wie „der Barfußläufer“, der sogar zu Festivals fahre, um dort viele Flaschen auf wenig Raum zu finden. Oder „der Rotbarsch“, der jeden Abend durch die Neustadt laufe, „so schnell, da kommste echt nicht hinterher“. Viele seien schwer krank, sagt Pfannschmidt, „Die sammeln zwei, drei Stunden und sind dann wieder weg“. Spurlos verschwunden am Rand der Gesellschaft. Dort seien sie alle aufgeschlagen – genau wie er, den eigentlich alle „Pfanne“ nennen. Nun wird er wieder öfter durch die Straßen ziehen. Denn auch sein aktueller Job ist seit ein paar Tagen Geschichte, der Kiosk auf der Alaunstraße, in dem er Bratwürste verkauft hat. Pfannschmidt hat darin Routine, im Anfangen und Aufhören. Und deshalb auch beim Sammeln von Pfand. „Das ist immer mein finanzieller Rettungsanker gewesen.“

Wenn er nur eine kleine Runde dreht, dann nimmt er seinen schwarzen Einkaufskorb, da passen genau 25 Bierflaschen rein. Macht exakt zwei Euro Pfand und das reicht für zwei Mittagessen bei der Tafel. Die neuralgischen Punkte, um genug Beute zu machen, kennt er, „die Krawallecken in der Neustadt“, das „Bermudadreieck“ auf der Louisenstraße, Ecke Görlitzer Straße, den Fußweg vor der Scheune… Überall, wo Menschen sich unter anderem zum Trinken treffen. Größere Gewinne fallen bei den Spielen von Dynamo ab, auch wenn er hier genug Sammelkonkurrenz trifft. Dann rückt Pfannschmidt auch mal mit dem Einkaufswagen an, um nach ein paar Minuten so viele Flaschen wie möglich wegzuschieben. Aber mehr als 20, 25 Euro Gewinn sei auch da nicht zu machen. Und Gelegenheiten wie beim Schaubudensommer vorigen Juni, die gebe es selten. „In vier Tagen hab ich dort 400 Flaschen weggeschafft“, sagt er. „und sogar noch eine volle Flasche französischen Rotwein gefunden.“

Keine Scham zulassen

Es klingt wie einer seiner vielen Jobs, wenn er vom Sammeln erzählt. Scham kennt er nicht. Oder besser: lässt er nicht zu. „Viele Leute sind sogar froh, wenn ich ihre Sachen wegräume“, sagt er. „Warum also sollte man das asozial finden.“ Nur um Papierkörbe macht Pfannschmidt meist einen Bogen, im Müll herumwühlen, das mag er nicht. Und er zieht nicht täglich durch die Straßen, denn davon „bekommt man eine Flaschenmacke“. Die Haltung wird gebückt, der Blick geht nur noch nach unten, das Wesen verändert sich.

Mit dem Sammeln aufgehört hat Andreas Pfannschmidt in den vergangenen Jahren nur ein Mal. Das war, als er mit Petra und ihren Kindern zusammen gewesen sei. „Da hatte ich gar keine Zeit für so etwas. Da ging es zur Heilsarmee, Kleidung für die Kinder holen, oder in die Bibliothek, um Erziehungsratgeber zu lesen.“ Irgendwann war auch dieses Kapitel beendet und Pfannschmidt wieder allein. Aber daran ist er gewöhnt. Damit kennt er sich so gut aus wie mit Pfandflaschen und Notgroschen.

In der „Wir-AG“ auf der Martin-Luther-Straße21 wird derzeit die Ausstellung „08-15-2025 – Flaschensammeln als Phänomen zwischen Armut und Lifestyle“ präsentiert. Die Schau wurde vom Stadtteilbüro der Linken initiiert und zeigt am Beispiel der Dresdner Neustadt die wachsende Zahl von Flaschensammlern und ihre Geschichten.