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Lautes Wohnen

Immer mehr Menschen in der Region sind Verkehrslärm ausgesetzt. Ein Experte erklärt, warum und wie es leiser wird.

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© Andreas Weihs

Von Verena Schulenburg

Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Ob Lkws, Autos oder Motorräder, die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen nimmt zu. Während zum Stand Januar 2010 nach Angaben des Statistischen Landesamtes knapp 161 600 Kraftfahrzeuge im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge angemeldet waren, sind es sieben Jahre später, also zum Januar 2017, schon fast 10 000 Anmeldungen mehr, nämlich rund 171 000 Fahrzeuge. Dieser Trend geht über den Landkreis hinaus.

Andreas Rink ist beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie für den Bereich Lärmschutz zuständig.
Andreas Rink ist beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie für den Bereich Lärmschutz zuständig. © Marion Döring

Aber nicht nur mehr Fahrzeuge verursachen mehr Lärm. Auch die Zahl der Pendler steigt. Die Wege werden weiter, vor allem im ländlichen Raum, wo Menschen nicht mehr nur zur Arbeit, sondern immer öfter auch zum Supermarkt oder zum Arztbesuch ins Auto steigen müssen, weil Praxen oder Geschäfte schließen. „Was den Verkehrslärm betrifft, so sind wir mit der Negativseite unseres Mobilitätsverhaltens konfrontiert“, sagt Andreas Rink. Der 50-Jährige ist beim sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie der Experte für Lärmschutz und betreut dort auch die sogenannte Lärmaktionsplanung, die von der EU initiiert wurde und seit 2012 in besonderem Maße Städte wie Gemeinden dazu anhält, die Lärmbelastung auf den Straßen genauer zu untersuchen, so wie derzeit auch wieder.

Warum wird Verkehrslärm überhaupt näher untersucht?

Nach der Luftverschmutzung stelle Lärm ein besonders hohes Gesundheitsrisiko dar, erklärt Rink. Dabei gilt: Ab einer Lärmbelastung von 65 Dezibel am Tag oder 55 Dezibel in der Nacht steige das Risiko für gesundheitliche Folgen an. „Wobei vor allem nachts es ein besonders sensibler Wert ist“, sagt Rink. Nicht nur, weil dann die meisten Zuhause sind, sondern auch, weil dann Ruhe besonders wichtig ist. An Straßen, wo die genannten Grenzwerte überschritten werden, steige statistisch gesehen das Risiko für Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Störungen, so der Experte. Ziel der EU-Umgebungslärmrichtlinie ist es daher, die Lärmbelastung für Anwohner zu minimieren, die von Verkehrslärm betroffen sind.

Wo hat die Lärmbelastung besonders zugenommen?

Im Fokus der Untersuchungen stehen vor allem jene Straßen, die mindestens drei Millionen Fahrzeuge pro Jahr stemmen. Zum Vergleich: Auf der B 170 in Bannewitz sind täglich rund 26 000 Fahrzeuge unterwegs. Das wären fast 9,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr. Die A 4 zwischen Wilsdruff und Dresden meistert täglich rund 100 000 und damit jährlich sogar 36,5 Millionen Fahrzeuge. Vor allem auf den Autobahnen habe der Schwerlastverkehr zugenommen, so der Experte. Generell betroffen seien vor allem aber auch Bundes- und Staatsstraßen. Eben jene Straßen, auf denen vorrangig überörtlicher Verkehr fließt. Vor allem der Dresdner „Speckgürtel“ hat einiges an Verkehr zu bewältigen. Geschuldet ist das auch der zunehmenden Pendlersituation zwischen Stadt und Umland.

Hohem Verkehrslärm seien beispielsweise Anwohner entlang der B 170 ausgesetzt. Das betrifft vorrangig Bannewitz oder Orte weiter in Richtung Dippoldiswalde. Laut sei es auch entlang der B 172 in Pirna oder auch an der Dresdner Straße und der Wilsdruffer Straße in Freital. Hier habe die Belastung nicht nur durch ein wachsendes Verkehrsaufkommen zugenommen. Vor allem die Anzahl der Betroffenen sei gestiegen, erklärt Andreas Rink. Während vor Jahren noch viele Wohnungen unmittelbar entlang der Dresdner Straße leer standen, sind Häuser zwischenzeitlich saniert und vermietet.

Lärm wird nicht gemessen, sondern berechnet. Wie geht das?

Die Lärmschwerpunkte müssen alle fünf Jahre neu kartiert werden. Dabei werden an den jeweiligen Straßen keine direkten Messungen durchgeführt. „Das ist nicht zu leisten und auch nicht aussagekräftig“, erklärt Andreas Rink. Der Grund: Bei Lärmmessungen können keine Nebengeräusche ausgespart, also nicht allein der Verkehrslärm gefiltert werden. Messungen geben außerdem nur Momentwerte wieder, je nachdem, wo gemessen wird. „500 Meter weiter kann der Wert ganz anders aussehen“, so der Experte. Die Werte, die dagegen anhand von Berechnungen ermittelt und kartiert werden, beziehen sich auf die Lärmbelastung im Jahresdurchschnitt. Diese wird anhand verschiedener Parameter berechnet, wie Straßenbelag, Lärmschutzwälle oder -wände, Gebäudehöhen oder die Bedeutung von Schwerlastverkehr auf den jeweiligen Straßen. Damit die Werte der Realität entsprechen, sei es wichtig, dass die zugrundeliegenden Daten so aktuell wie möglich sind, erklärt Andreas Rink.

Die Ergebnisse, die in Lärmkarten hinterlegt sind, wirken sich auf Immobilienpreise aus oder fließen in den Mietspiegel ein. Sie sind vor allem aber Basis für den Lärmaktionsplan, der zum Ziel hat, mit geeigneten Maßnahmen die Lärmbelastung für Betroffene zu reduzieren. Rink stellt auch klar: „Eine schnelle Lösung zur Lärmreduzierung gibt es nicht.“ Vielmehr würden viele einzelne Maßnahmen, bei denen jeder gefragt sei, zu einer geringeren Belastung durch Verkehrslärm führen.

Wie kann Verkehrslärm im Sinn der Anwohner reduziert werden?

Da die Lärmaktionspläne von den einzelnen Kommunen beschlossen werden, sind auch hier in erster Linie die Maßnahmen zur Lärmminderung zu suchen. Da es sich bei den lauten Straßen vor allem aber um Autobahnen, Bundes- und Staatsstraßen handelt, müssen Städte und Gemeinden mit den zuständigen Verkehrsbehörden eng zusammenarbeiten, erklärt Andreas Rink. Werden Straßen saniert oder ausgebaut, werde seitens der Verkehrsbehörden in der Regel entweder mit Lärmschutzwällen oder -wänden oder mit einem geräuscharmen Fahrbahnbelag dafür gesorgt, dass der Verkehrslärm reduziert wird. Auch Geschwindigkeitsbeschränkungen seien immer wieder mal ein Thema, erklärt der Lärm-Experte. Einen guten Effekt hätten hierbei mobile Tempo-Tafeln, die je nach Bedarf an Straßen Raser ausbremsen und so auch lärmmindernd wirken. Freital, Bannewitz oder Tharandt beispielsweise setzen solche Tafeln ein.

Um Lärm im Ort zu reduzieren, könnten Kommunen auch das Rad- und Fußwegenetz in den Fokus nehmen. Nachdem zum Beispiel nun der Radweg zwischen Tharandt und Freital fertig gebaut ist, soll auch das Angebot für Radler im Tharandter Stadtgebiet überarbeitet werden. Ähnliche Gedanken macht sich derzeit auch Freital. Quasi nach dem Motto: Wenn sich die Bedingungen für Radfahrer verbessern, steigen auch mehr vom Auto aufs Rad um.

Um aber schon vorsorglich Anwohner nicht unnötig Verkehrslärm auszusetzen, müssten Kommunen ihre Ortsentwicklung genau hinterfragen, so Rink. Wer in der Nähe von Bundesstraßen Baugebiete ausweist, wie es zum Beispiel entlang der B 170 in Bannewitz der Fall ist, der hat am Ende auch lärmgeplagte Anwohner dort wohnen. Andersherum rät Andreas Rink Familien auch dazu, genau hinzuschauen, wo sie ihr Haus bauen.