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Lauf zwischen den Welten

Der Beirut-Marathon vereint ein Land, auch wenn es über die Demarkationslinie geht.

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© dpa/Ratib Al Safad

Von Ralf Lutoschka

Läufer finden weltweit ihre Ziele. Warum also nicht Beirut? Anfang November 2015 liefen bei der 13. Auflage 37 811 von der Schnupperdistanz bis zum Marathon durch die Hauptstadt des Libanon. Viereinhalbmal so viele wie beim jüngsten Morgenpost-Lauf. Dies regte unseren Autor an, Eindrücke vom Beirut-Marathon zu notieren, die der Dresdner vor zwei Jahren mit seiner Frau erlebte. An der Situation hat sich dort nicht viel verändert, außer, dass noch mehr Flüchtlinge dazukamen.

Bunt ist das Feld und manche Läuferin mit Anhang.
Bunt ist das Feld und manche Läuferin mit Anhang. © Reuters

Für einen Mitteleuropäer ist die Vorstellung, nach Beirut zu reisen, eher mit Bedenken verbunden. Das Auswärtige Amt hält bis heute an seiner Teilreisewarnung für den Libanon fest. Dabei endete der Bürgerkrieg 1990. Aber Beirut wird immer wieder zum Schauplatz von Stellvertreterkonflikten. Dies schreckte uns nicht ab, Beirut über Google anzuschauen. Aus der Perspektive wirkt die Stadt sehr „normal“.

Bei unserer Ankunft sah die Weihnachtsdekoration bei Temperaturen von tagsüber zwischen 24 bis 26 Grad skurril aus. Auch die Nächte kühlten kaum ab. Das pulsierende Nachtleben lud daher immer wieder ein zum Bummeln, Schauen oder Probieren der kulinarischen Genüsse. Die Gastfreundschaft paart sich mit multikultureller Offenheit.

Beirut ist täglich am Rande des Verkehrsinfarktes. Da beeindruckt es, wenn die Stadt einem am Marathontag zu Füßen liegt, die bis zu acht Fahrspuren den Läufern gehören. An den allgegenwärtigen Anblick von bewaffneten Soldaten und gelegentlich gepanzerten Fahrzeugen an der Strecke gewöhnten wir uns.

Der Lauf hat eine berührende Geschichte. Die ehemalige Marathonläuferin und Gründerin des Beirut-Marathons, May El-Khalil, lag nach einem Unfall wochenlang im Koma. Nach 36 Operationen und zwei Jahren Krankenhausaufenthalt konnte sie keinen Marathon mehr laufen. Aber ein Teil ihres Traumes vom Frieden wurde wahr, wenigstens an einem Tag. Sie vereint als Organisatorin den Libanon, der seit Jahrzehnten durch Politik und Religion geteilt ist, an diesem einen Tag. Die Strecke ist ein anspruchsvoller, leicht hügeliger Kurs mit Schleifen durch die ganze Stadt. Zweimal geht es über die Demarkationslinie, die West- und Ost-Beirut trennt.

Ständig wechselten wir die Welten in den einzelnen Stadtteilen: Christen, Schiiten, Sunniten, weiter außerhalb armenische Christen. Die Linie zwischen Christen und Moslems wird auch heute noch an einigen Stellen mit Soldaten und Panzerfahrzeugen schwer bewacht.

Zwischen Bauboom und Orient

Die verschiedenen Kulturen sind gut zu erkennen – und wo das meiste Geld ist. Während im Hafen- und Geschäftsviertel noble deutsche Automarken und Boutiquen europäisch anmutenden Wohlstand dokumentieren und der Bauboom nie zu enden scheint, sieht es an anderen Streckenabschnitten aus wie tief in der orientalischen Welt. Die Vielfalt an der Strecke lässt keine Tristesse aufkommen. Die Augen sind dankbar für die Abwechslung.

Manche in Deutschland organisierte Sportveranstaltung kann sich ein Beispiel nehmen, angefangen von der Verpflegung mit isotonischen Getränken, Gel, Datteln und Bananen und Schwämmen bis hin zur Streckenabsperrung und der in großer Zahl zur Verfügung stehenden medizinischen Versorgung.

Zuschauer sind eher selten an der Strecke, aber wenn man durch die engen Straßen in den muslimischen Stadtteilen läuft, wird man freundlich-neugierig beäugt. Auch die bewaffneten Streckenposten – gefühlt mehr als Teilnehmer – sind freundlich und im Prinzip eigentlich überflüssig.

Als Tourist sieht man nur die Oberfläche. Doch es beeindruckt, wie in einem so kleinen Land 18 verschiedene christliche und muslimische Religionsgemeinschaften auf teils engstem Raum miteinander auskommen – meistens.