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Lange verschwiegen und verdrängt

Christian Schäfer berichtet über den Umgang mit Sucht auf dem Land. Dort gibt es noch eine Scheu vor dem Thema.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Franz Herz

Freital. Die Suchtberatung Löwenzahn ist seit 1995 in der Weißeritzregion aktiv. Sie hat jetzt ihren Jahresbericht für 2016 vorgelegt. Darüber sprach die Sächsische Zeitung mit dem Sozialarbeiter und Suchttherapeuten Christian Schäfer, Mitarbeiter der Beratungsstelle.

Herr Schäfer, die Suchtberatung Löwenzahn hat ihre Jahresstatistik für 2016 vorgelegt. Womit haben Sie am häufigsten zu tun?

Wir hatten im vergangenen Jahr 215 Klienten, die wegen Alkoholproblemen zu uns kamen und 174, die wegen illegalen Drogen unsere Hilfe gesucht haben. Des Weiteren berieten wir 51 Angehörige. Bei anderen Suchtformen wie Medikamenten-, Spiel-, Medien- oder Tabaksucht hatten wir jeweils zwischen zwei und fünf Ratsuchende. Dabei muss man beachten, dass wir immer die Hauptdiagnose registrieren. Es kommt durchaus vor, dass jemand mit Alkohol und gleichzeitig mit illegalen Drogen Probleme hat. Insgesamt führte die Beratungsstelle Löwenzahn im vergangenen Jahr 2157 Beratungsgespräche durch.

Wo bieten Sie Ihre Beratung an?

Unsere Hauptstelle ist in Freital, eine Außenstelle haben wir in Dippoldiswalde, und in Altenberg im Rathaus sind wir jeweils freitags zu regelmäßigen Sprechstunden anwesend.

Beobachten Sie Unterschiede, wenn Sie an den verschiedenen Orten sind?

Es ist auffällig, dass in den ländlichen Gebieten die Menschen mitunter länger brauchen, bevor sie sich in der Beratungsstelle Hilfe holen. Es wird oft lange verschwiegen und verdrängt, wenn es in der Familie Suchtprobleme gibt. Die traditionell engmaschigen sozialen Netze, die es in den Dörfern häufig noch gibt, sind vielleicht eine komplexe Ursache. Denn sie haben an sich eine positive Wirkung für die Menschen. Bei einem Suchtproblem kann das aber ins Gegenteil umschlagen, wenn die Familie aus Angst um ihren Ruf das Suchtproblem in der Familie zu lange bedeckt hält, anstatt sich Hilfe zu holen. Andere, die helfen wollen, wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wir beobachten dennoch, dass Angehörige zu uns kommen, auch wenn es nach wie vor eine große Scheu gibt, das Thema mit anderen Menschen anzusprechen.

Wie versuchen Sie, dieses Problem zu lösen?

Ein Weg, den wir gehen, führt über die behandelnden Haus- und Fachärzte. Die meisten Menschen, auch die mit einem Suchtproblem, haben einen Hausarzt, mit dem sie mehr oder weniger aktiv in Verbindung stehen. Ärzte sprechen ein Suchtproblem meist offen an, aber der Patient verschweigt das dann oft der Familie. Manchmal werden die Aussagen des Arztes, die sich kritisch auf den Suchtmittelkonsum des Patienten beziehen, auch vom Patienten verharmlost. Dieses Jahr haben wir geplant, dass wir unsere Arbeit den Ärzten bei den regionalen Ärztestammtischen vorstellen, die es in unserer Region gibt.

Ist das der einzige Weg, an die Süchtigen heranzukommen?

Sehr wichtig ist uns die Angehörigenarbeit. Oft beginnt eine Beratung damit, dass diese allein ohne den Betroffenen zu uns kommen. Dafür bieten wir, neben vertraulichen Einzelgesprächen, eigene Informationsseminare für Angehörige an. Das nächste Seminar findet am 22. März in der Suchtberatungs- und -behandlungsstelle „Löwenzahn“ in Freital um 16.30 Uhr statt. Dabei muss jeder wissen, dass für uns die gleiche Schweigepflicht gilt wie für Ärzte.

Welche Angehörigen suchen Rat?

Das ist unterschiedlich. Bei Alkoholkranken sind es häufig Partner, die Hilfe suchen, manchmal auch die Kinder. Bei Konsumenten von illegalen Drogen hingegen kommen oft die Eltern, weil sie sich existenzielle Sorgen um ihre Kinder machen.

Welche Arten illegaler Drogen werden in der Region konsumiert?

Das aktuelle Klientel neigt zu einem gewissen Mischkonsum von vielen Substanzen. Es gibt jedoch fast immer eine Hauptsubstanz dabei. Am häufigsten haben wir bei der Hauptdiagnose mit Crystal zu tun, dabei handelt es sich um 119 Klienten. Des Weiteren hatten wir im vergangenen Jahr 39 Klienten mit der Hauptdiagnose Cannabis und 13 Betroffene mit Heroin oder anderen Opiaten. Dabei ist auffällig, dass Heroin im oberen Kreisgebiet offenbar eine untergeordnete Rolle spielt, sondern sich mehr in Freital konzentriert.

Gibt es lokale Schwerpunkte, wo Suchtprobleme auftreten?

Das können wir nicht beobachten. Je nach Bevölkerungszahl kommen natürlich aus einzelnen Orten mehr Klienten zu uns. Es ist sicher nicht erstaunlich, dass die größte Zahl aus der urbanen Region Freital kommt. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es Suchtprobleme in allen Orten im gleichen Maß gibt.

Und gibt es dabei soziale Unterschiede?

Sucht verteilt sich generell über alle Schichten der Gesellschaft.

Wie können Sie bei einer Sucht helfen?

Mithilfe des Beratungsgespräches wird zunächst eine Veränderungsmotivation des Klienten aufgebaut. Wenn ein Behandlungsbedarf besteht, beantragen und vermitteln wir stationäre Therapien. Nach Abschluss einer stationären Entwöhnungsbehandlung führen wir über die Kostenträger der Reha bis zu einem Jahr und länger die Nachsorge-Behandlung durch. Im vergangenen Jahr wurden bei 80 Reha-Anträgen 29 Alkoholentwöhnungen genehmigt und 26 Drogenentwöhnungen. Und wir bieten selbst die ambulante Rehabilitation an.

Wo liegen dabei die Schwierigkeiten?

Um von den Zwängen der Suchterkrankung loszukommen, ist es wichtig, wie jemand sozial eingebunden ist. Hat er eine Familie, einen Partner, der ihn dabei unterstützt? Im Alleingang ist es schwierig, dauerhaft von der Erkrankung zu genesen aber auch professionell mit Krisen umzugehen. Dazu benötigt es die fachliche Unterstützung von Betroffenen und Familie gleichermaßen. Die Beratungsstelle „Löwenzahn“ lädt daher alle ein, sich mit ihren suchtspezifischen Fragen an sie zu wenden, denn sie hält die notwendigen Angebote in Altenberg, Dippoldiswalde und Freital bereit.