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Lange kein Schwein gehabt

Im Dresdner Norden versucht ein Jagdpächter einer Wildschweinplage Herr zu werden. Doch er kann nur wenige Treffer vorweisen. Das liegt nicht nur an der Intelligenz der Tiere.

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© René Meinig

Von Kay Haufe

Auf dieser Wiese wächst so schnell kein Gras mehr. Wildschweine haben neben der Klotzscher Biogasanlage nach Insekten und Würmern gegraben und alles umgepflügt. Unter dem kurz geschnittenen Gras war der Boden noch warm, dementsprechend groß das Nahrungsangebot. Andrzej Krysztofinski weiß, dass die Tiere gern wiederkommen, wenn sie viel Futter finden. Deshalb hat sich der Jagdpächter an diesem Abend mit Dackeldame Reja aufgemacht, um den Wildschweinen den Kampf anzusagen. Denn die haben sich in den vergangenen zwei Jahren explosionsartig im Dresdner Norden vermehrt.

„Die Felder mit Mais, Raps und Sonnenblumen sind wie ein gedeckter Tisch für die Tiere. Hinzu kommt, dass es in den letzten Jahren enorm viele Eicheln und Bucheckern gab. Dank dieses energiereichen Futters gehen die Wildschweine gestärkt in den Winter und bekommen inzwischen fast ganzjährig Junge“, sagt Heiko Müller, der bei Sachsenforst für den Staatswald zuständig ist. Der Tierbestand habe sich aufgrund mehrfacher Würfe pro Jahr und milder Winter stark erhöht. Zur Futtersuche bleiben die Wildschweine längst nicht mehr im Wald oder auf den Feldern. In Klotzsche, Hellerau und Weixdorf finden aufmerksame Beobachter Dutzende umgewühlte Rasenflächen. Auch vor Gärten machen die Schweine nicht halt, wenn sie mit ihren sensiblen Nasen darin Futter wittern. Zäune sind nur dann ein Hindernis, wenn sie fest einbetoniert sind.

In den letzten Wochen bleibt Krysztofinskis Handy kaum noch still. Anwohner und Landwirte seines Jagdbezirkes rufen ihn an, weil Felder oder Gärten umgewühlt sind. Auch immer mehr Firmen melden sich, auf deren Werksgelände die Wildschweine unterwegs sind. Jede kleine Lücke im Zaun nutzen die Tiere, um auf die Wiesen zu gelangen. Hier sind sie oft ungestört, Bäume und Sträucher bieten Schutz. Auf dem Gelände eines Betriebs liegt Krysztofinski seit Wochen in den späten Abendstunden auf der Lauer. Mitarbeiter der Nachtschicht trauen sich nicht mehr auf den Parkplatz, zu dem sie ein kleines Wäldchen durchqueren müssen. Die Bilder von Überwachungskameras haben bis zu 36 Tiere gezeigt, die munter umherlaufen.

Doch bisher kann Krysztofinski nur wenige Treffer vorweisen. „Auf einem solchen Gelände ist es äußerst schwer, ein Wildschwein zu schießen“, sagt der 56-Jährige. Zwar spricht er ab, zu welchen Zeiten keine Mitarbeiter draußen unterwegs sein sollen, doch er muss auch parkende Fahrzeuge berücksichtigen und mit Passanten rechnen. Hinzu kommt, dass die intelligenten Tiere sehr vorsichtig sind. Zwar sind sie an Menschen gewöhnt, nehmen aber kleinste Bewegungen abseits von belebten Wegen genau wahr. Deshalb sieht Krysztofinski an diesem Abend zahlreiche Pfade, die die Tiere im Himbeergestrüpp ausgetreten haben. Doch auf ein Wildschwein wartet er vergebens. Wieder muss er der Firma mitteilen, dass er keine Treffer hatte.

Für ihn, der tagsüber als Inhaber eines Projektbüros Inneneinrichtungen plant, ist die Nachtschicht längst nicht vorüber. Weiter geht’s nach Weixdorf, wo die Schweine Wiesen und Gärten verwüstet haben. Der Pächter, der sich seinen Bezirk mit zwei weiteren Jägern teilt, muss die Schäden beseitigen oder am Ende bezahlen. Und das bereitet Krysztofinski angesichts der Masse der Tiere wirklich Sorgen. Und schießen kann er auch nicht einfach so. Er benötigt stets die Erlaubnis des Grundstückseigentümers, um auf dessen Flächen jagen zu dürfen. Angesichts von Hunderten Schweinen, die in seinem Bezirk unterwegs sind, muss er seine zweistellige Abschussquote für 2017 deutlich verbessern. „In meinem Revier treffen Stadt und Land aufeinander. Es gibt keine Bereiche, die menschenleer sind. Und es gibt keine Zeiten, zu denen ich ungestört jagen kann“, sagt er.

Das bestätigt auch Heiko Müller von Sachsenforst. Mountainbiker würden mit Vorliebe möglichst tief ins Dickicht hineinfahren. Er hat Geocacher beobachtet, die um Mitternacht auf Baumwipfel kletterten. „Das Wild findet keine Rückzugsmöglichkeiten mehr“, sagt Müller. Mittlerweile würden Rehe in umzäunte Anpflanzungen flüchten, um endlich Ruhe vor den Menschen zu haben. „Die Wildschweine sind anders. Sie passen sich an, kommen teilweise dicht an Menschen heran.“

Andrzej Krysztofinski ist einer, der die Tiere dank seiner langjährigen Erfahrung im Dunklen hört und riecht. Doch in dieser wolkigen Nacht lassen sie sich nicht orten. Wie zum Spott findet der Jäger auf dem Rückweg ihre Spuren. Während er im Wäldchen nahe des Flughafens unterwegs war, haben sie keinen Kilometer entfernt die Wiese umgepflügt. Er fährt noch einmal zur Biogasanlage. Am Montagabend gelingen ihm endlich zwei Abschüsse. Doch für das Firmengelände fehlt weiter eine Lösung.