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Landarzt will seine Zulassung verbrennen

Für Günter Krause aus Hainewalde sind die Bedingungen nicht mehr tragbar. Montag zieht er die Konsequenzen.

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© Matthias Weber

Von Mario Heinke

Dr. med. Günter Krause hat genug. Ab kommendem Mittwoch bleibt seine Praxis in Hainewalde geschlossen. Am Montag will er in Dresden vor der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen seine Kassenarztzulassung in einem mitgebrachten Öfchen verfeuern. Das kündigt er in einem Schreiben an. „Honorarbeschneidung, Rabattverträge, Regresse ... mir reicht es!“ Der Landarzt aus Hainewalde beendet sein Schreiben mit den Worten des Sachsenkönigs: „Macht doch euer’n Dreck alleene!“

Krause ist der Auffassung, dass die Bedingungen für ländliche Allgemeinmediziner nicht mehr tragbar sind. Viele seiner Berufskollegen sehen das genauso. Auch sie fühlen sich bevormundet, reglementiert, bestraft und gegängelt. Am Freitag klingelte den ganzen Tag Krauses Telefon. Kollegen aus ganz Sachsen bekundeten ihre Solidarität, einige kündigten an, sich an der Protestaktion am Montag beteiligen zu wollen. „Bisher kämpft jeder für sich allein“, sagt der 38-Jährige.

Worum geht es? Krause befürchtet, dass die medizinische Versorgung durch Landärzte bald zusammenbricht. „Wir verschwenden unsere Zeit für die Bürokratie und streiten uns ständig mit der Kassenärztlichen Vereinigung herum“, so der Landarzt, der neben den Sprechstunden täglich rund zehn Hausbesuche absolviert. Bei dem Streit geht es um viel Geld. Zur Behandlung seiner Patienten zwischen Dittelsdorf und Oybin, darunter die Bewohner in 16 Altenheimen, verfügt Krause über ein Budget. Das Budget orientiert sich an Durchschnittswerten und schreibt vor, wie viel er verschreiben und was die Behandlung kosten darf. Bei den planwirtschaftlichen Vorgaben kommt es häufig vor, dass die „geplanten Ausgaben“ für ein Jahr bereits aufgebraucht sind und er das Budget überschreitet, weil sich die Erkrankungen der Patienten nicht immer nach den wirtschaftlichen Vorgaben richten. Behandelt Krause seine rund 1 100 Patienten trotzdem weiter, statt seine Praxis zu schließen, trägt er die Behandlungsmehrkosten selbst. In der Praxis läuft das so ab: Die Kassenärztliche Vereinigung prüft die Ausgaben bis zu vier Jahre rückwirkend.

Nach der Prüfung bekommt Krause Post von der Kasse. Er wird aufgefordert, schriftlich darzustellen, warum die Stützstrümpfe, die Physiotherapie oder die verschriebenen Tabletten für Patientin X nötig waren. Gelingt es ihm nicht, „Praxisbesonderheiten“ herauszuarbeiten oder andere Belege anzuführen, dass Behandlungen oder Medikamente in der Form nötig waren, fordert die Kasse das Geld zurück. „Ich bezahle Behandlungen, die ich vor dreieinhalb Jahren durchgeführt habe, jetzt aus eigener Tasche“, sagt der Arzt und greift sich an den Kopf. Die sogenannte Therapiefreiheit existiere nicht und die ständige Bevormundung führe früher oder später zu einer Sinnkrise, fügt er hinzu und schimpft: „Ich verschreibe Medikamente doch nicht zum Spaß.“ Drei solcher Kassenprüfungen hatte der Landarzt in diesem Jahr bereits. Noch sind die Rückforderungen nicht existenzgefährdend, „nur“ ärgerlich und demotivierend, so Krause.

Den Werbefilm der Kassen, in dem mit blühenden Apfelbäumen und strahlend blauem Himmel für den „entschleunigten Job“ als Landarzt geworden wird, empfindet er als Hohn. Er kam nach seinem Studium in Mainz über Dresden zurück nach Hainewalde. In den nächsten Jahren werden viele Ärzte in den Ruhestand gehen und Nachfolger suchen. Er glaubt nicht daran, dass Mediziner unter den Bedingungen aufs Land gehen. 2014 übernahm er die Praxis und Hainewalder Patientenschaft von seiner Mutter Jutta Krause endgültig, nachdem sie noch einige Zeit zusammengearbeitet hatten. Seine Mutter wird heute noch zur Kasse gebeten und muss als Rentnerin fünfstellige Regressforderungen der Kassen begleichen.

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen konnte im vorliegenden Fall am Freitagnachmittag nicht mehr befragt werden. Sie verwies in ähnlichen Fällen auf die Krankenkassen: Diese würden für einen Großteil der ärztlichen Leistungen nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung stellen. Das aber würde nicht ausreichen, alle Leistungen der niedergelassenen Ärzte in vollem Umfang zu vergüten, so ein Sprecher im April gegenüber der SZ, im Falle eines Orthopäden, der wegen Budgetüberschreitung zeitweise unentgeltlich arbeitete.