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Längst mittendrin

Am Sonntag ist Tag der Menschen mit Behinderung. In Radeberg ist das aber eigentlich nichts Besonderes mehr …

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© Alexander Nuck

Von Alexander Nuck

Kleinwachau. Am Sonntag ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung. Was die Vereinten Nationen seit 1993 als einen gesonderten Tag ausrufen, ist in Radeberg eigentlich schon fast nichts Besonderes mehr. Hier leben Menschen mit Behinderungen bereits integriert in die Gesellschaft, hier gibt es eine ganze Reihe von Vereinen und Menschen, die sich für andere einsetzen. Den Offroad Travel e.V. rund um Frank Hantschmann zum Beispiel, die Initiative „Gemeinsam“ Radeberg, Deutschlands einzigen Taubblindendienst mit einem herrlichen Botanischen Blindengarten, ein medizinisch hochspezialisiertes Epilepsiezentrum im Ortsteil Liegau-Augustusbad, zwei Förderschulen und sogar ein Inklusionsunternehmen. Einen eigenen Tag braucht es hier eigentlich gar nicht mehr. Denn Menschen mit Behinderung sind schon heute in Radeberg Nachbarn, Kulturinteressierte, Wähler, Kunden im Supermarkt – und auch Sportler.

So wie zum Beispiel Mandy Schwarz. Die 29-Jährige wohnt in der Tobiasmühle, einem Wohnprojekt des Epilepsiezentrums Kleinwachau, etwas abseits gelegen am idyllischen Röder-Ufer. Ihr Alltag dagegen ist so gar nicht abgelegen. Mandy Schwarz arbeitet in der Keramikwerkstatt des Epilepsiezentrums auf der Stolpener Straße, mittendrin in Radeberg. Mit viel Freude formt sie hier die neuesten Keramik-Kreationen, gerade in der Vorweihnachtszeit ist da viel zu tun. Und dabei hat sie ihr eigenes Anti-Stress-Rezept: „Meine Mitbewohner fragen mich oft, warum ich so entspannt bin“, sagt sie. Und fügt gelassen an: „Dann erkläre ich, dass ich ein paar Mal die Woche Sport treibe.“ Ein Anti-Stress-Programm mit einfachen Zutaten also: Schwimmen und Fußball.

Menschen zusammenbringen

Die Begeisterung für den Sport erlangte Mandy Schwarz bereits in der Förderschule Kleinwachau. Damals wurde sie gefragt, ob sie denn nicht im Schwimmteam mitmachen wolle. Von ihren Leistungen waren bald alle begeistert. „Ich war es gewohnt, einmal in der Woche zu trainieren – nach der Schule hat mir der Sport richtig gefehlt“, erinnert sie sich. Lutz Höhne, der Verantwortliche für Sport und Kultur im Epilepsiezentrum Kleinwachau, sieht darin ein generelles Problem: „Viele unserer ehemaligen Schüler verlieren mit dem Verlassen der Förderschule die Anbindung an den Sport.“ Deshalb sei es so wichtig, „dass wir Angebote im Breitensport schaffen, und letztlich Menschen mit und ohne Behinderung durch den Sport zusammenbringen“, ist er überzeugt.

Kleinwachauer Erfolge

Special Olympics 2016: Bei den Sommerspielen in Hannover gab es zwei Gold- und sieben Bronze-Medaillen.

Sepp-Herberger-Urkunde: 2013 zeichnete der DFB die Kooperation zwischen dem SV Liegau-Augustusbad und dem Epilepsiezentrum aus.

Deutscher Athletensprecher: 2009-2014 ist Roman Eichler aus Kleinwachau Sprecher der Special Olympics und reist zu den Wettkampfstätten der Special Olympics World Games in Pyeongchang.

Förderer gesucht: Wer die begeisterten Sportler unterstützen möchte: www.kleinwachau.de/spenden

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Über eine Kollegin ist Mandy Schwarz zunächst zum Fußball gekommen. Seit zwei Jahren ist sie zudem Teil der zwölfköpfigen Kleinwachauer Schwimmgruppe. Diese wird wöchentlich von zwei ehrenamtlichen Trainern in der Schwimmhalle in Dresden-Klotzsche trainiert. Und die Radebergerin schwimmt nicht nur gern, sondern auch erfolgreich. Ihren ersten sächsischen Meistertitel bei den Special Olympics in Riesa erkämpfte sie sich sprichwörtlich aus der Kalten: Durch einen Irrtum bei der Anmeldung sollte sie statt der geplanten 25 plötzlich über 100 Meter schwimmen.

Mindestens ein Wettkampf im Jahr

Mandy Schwarz nahm die Herausforderung an und gewann mit Bravour. 2017 kamen Gold und Silber in Freistil und Brustschwimmen hinzu. Die Special Olympics sind die Olympiade für Menschen mit geistiger Behinderung. Jedes Jahr gibt es regionale Wettkämpfe und alle vier Jahre einen nationalen Entscheid. „Unser Anspruch ist es, dass die Kleinwachauer Sportler sich mindestens einmal im Jahr in einem Wettkampf beweisen können“, macht Lutz Höhne deutlich. Dabei gehe es aber nicht nur um die Special Olympics, sondern auch um Turniere mit gemischten Mannschaften. „Wir wollen vom Nebeneinander zum Miteinander“, beschreibt Lutz Höhne, warum sich die Kleinwachauer gerade beim Thema gemischter Teams so engagieren. Also bei Mannschaften aus Nichtbehinderten und aus Menschen mit Handicaps.

Doch dieses Miteinander kostet Geld. Für die Wettkämpfe fallen neben Startgebühren auch Kosten für Fahrt, Verpflegung und Übernachtung an. „Damit unsere Sportler fürs Mitmachen keine allzu hohen Summen bezahlen müssen, sind wir auf Spenden angewiesen“, so Lutz Höhne.

Rein in die Vereine

Egal, ob Schwimmen, Fußball, Tischtennis, Radfahren oder Leichtathletik, die 40 Sportler aus Kleinwachau waren schon bei einigen Events dabei: Radeberger An- und Abradeln, Hüttertallauf, Velorace und Rewe-Team-Challenge in Dresden, Turnier der Herzen in Wiesbaden und die Hamburg Cyclassics, die Liste ist lang. Wichtig sind für Lutz Höhne auch Kooperationen mit Städten, Kirchgemeinden und Sportvereinen. „Wir wollen unsere Sportler so stark wie möglich in die normalen Abläufe und Strukturen integrieren – sie sollen raus aus Kleinwachau und rein in die Vereine“, erklärt der Sportverantwortliche sein Herzensanliegen.

Bestes Beispiel dafür ist der SV Liegau-Augustusbad. Zehn Jahre kooperiert das Epilepsiezentrum Kleinwachau bereits mit dem Verein. Gemeinsames Training und Spiele, jährliche Benefiz-Turniere, Kleinwachauer als Neumitglieder im Breitensport und der anstehende Bau eines komplett barrierefreien Vereinsgebäudes sind die Früchte dieser Zusammenarbeit. 2013 erkannte das auch der Deutsche Fußballbund (DFB) und krönte die Liegauer Bemühungen mit der Sepp-Herberger-Urkunde für die gelungene Inklusion.

Morgens aufwachen in der Wohnung in Radebergs Innenstadt. Nachmittags in die neueste Ausstellung im Schloss Klippenstein. Abends zum Sport in die örtliche Tischtennisgruppe. Alles ganz normal. Alles möglich. Alles kein Problem. Auch für Menschen mit einer Behinderung. „Vernetzung beginnt nebenan“, heißt das Projekt, das Lutz Höhne im Epilepsiezentrum Kleinwachau leitet. Drei Jahre lang wird es von der Aktion Mensch finanziell unterstützt. „Wir haben gemerkt, dass es nicht reicht, die Leute in einer Wohngruppe in der Stadt unterzubringen“, erklärt er. „Auch das Rundherum muss stimmen und so sein, dass Menschen mit Behinderung ohne Probleme Freizeitangebote nutzen können.“

Strukturen müssen wachsen

Genau solche Strukturen sollen weiter aufgebaut werden. Dafür hat er längst schon Mitstreiter im Boot. Neben dem Schloss Klippenstein etwa auch die Volkshochschule mit speziellen Angeboten für Menschen mit langsamem Lerntempo oder die Tischtennisgruppe des SV Einheit Radeberg. „Es geht bei alldem nicht darum, Angebote zu schaffen, die ausschließlich für Behinderte gedacht sind – vielmehr sollen sie alle nutzen können“, sagt Höhne und bleibt doch Realist. „Inklusion funktioniert nicht mit einem Eimer, den ich einfach ausschütte“, weiß er. Solche Strukturen müssten wachsen. Dafür sei es auch notwendig, Dinge zu erklären. Viele Mitmenschen hätten beispielsweise Angst davor, im Fall eines epileptischen Anfalls nicht richtig reagieren und helfen zu können. „Im Notfall kann aber jeder einen Krankenwagen rufen“, macht er deutlich.

Zurück auf dem Fußballplatz in Liegau-Augustusbad kickt Mandy Schwarz derweil das Runde ins Eckige. „Ohne Sport wäre ich nicht glücklich“, sagt die Stürmerin und fügt freudestrahlend hinzu: „Ich freue mich jedes Mal riesig drauf und kann beim Sport alles andere völlig vergessen.“ Und fügt noch schmunzelnd an: „Danach bin ich zwar immer fertig, aber richtig froh, was ich geleistet habe.“