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Kurs auf Neustädter Hafen

Dresden bekommt ein neues Kriegsmahnmal – ein Flüchtlingsboot. Nach einem Standort ist wochenlang gesucht worden.

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© Sebi Berens/OUTLAW Stiftung

Von Sandro Rahrisch

Dresden. In Seenot befindet sich die „Al-hadj Djumaa“ nicht, als sie im Sommer 2013 vor Lampedusa von der italienischen Küstenwache beschlagnahmt wird. Die Situation an Bord des Bootes ist trotzdem unerträglich: Einen Tag lang müssen sich die fast 300 Passagiere weniger als 50 Quadratmeter teilen – die Größe einer Zweiraumwohnung. Wie eng es bei der gefährlichen Überfahrt von Ägypten nach Italien gewesen sein muss, lässt sich nächste Woche auch in Dresden erahnen.

Am Dienstag wird die „Al-hadj Djumaa“ an der Elbe festmachen. Anlegen wird sie allerdings nicht am Terrassenufer, wie zunächst angedacht. Für den Plan, das Boot aus der Elbe zu hieven und auf den Neumarkt zu transportieren, hat die Stadt keine Genehmigung erteilt (die SZ berichtete). An der Frauenkirche findet zur selben Zeit eine andere Veranstaltung statt, lautet die Begründung.

Allerdings war der Plan im Vorfeld auch auf Ablehnung gestoßen, ähnlich wie das Kunstwerk „Monument“ – drei hochkant gestellte Busse, mit denen ein Dresdner Künstler auf den Krieg in Syrien sowie auf Flucht und Vertreibung aufmerksam machen wollte. Ein Argument der Gegner: Der Neumarkt solle dem Gedenken an die Zerstörung Dresdens vorbehalten bleiben. Begleitet wurde die Eröffnung im Februar von lautstarken Protesten. Die Idee, auch das Boot auf den Neumarkt zu holen, hatte Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) zuvor als tolle Idee bezeichnet. Sie ist auch Schirmherrin des Projekts.

Mit der Dresdner Stadtverwaltung sei in den vergangenen Wochen ein alternativer Ort zum Anlegen gesucht worden, sagt Projektkoordinator Tobias Heinemann von Outlaw. Die Stiftung, die sich für das Wohl von Kindern und Jugendlichen einsetzt, schickt die „Al-hadj Djumaa“ und ein Schwesterschiff derzeit quer durch Deutschland. Bisher lagen etwa Münster und Hannover auf ihrem Weg. Mit dem Projekt „Mit Sicherheit gut ankommen“ will Outlaw auf die Situation von Flüchtenden vor, während und nach der Flucht aufmerksam machen.

Der neue Dresdner „Hafen“ befindet sich zwar auch am Elbufer, aber nicht mehr direkt im Zentrum. Das Boot wird am Neustädter Hafen unterhalb der Marienbrücke zu sehen sein, wie seit Montag feststeht. Begrüßt wird die Besatzung öffentlich am kommenden Dienstag um 13 Uhr von Petra Köpping und Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke). Besucher können das Boot von Dienstag bis Donnerstag besichtigen. Auch Schulklassen sind täglich ab 10 Uhr eingeladen. Abends steht Musik auf dem Programm. So wird am Donnerstag von 20 bis 21 Uhr die Dresdner Gruppe Banda Internationale am Boot proben. Deren Mitglieder kommen unter anderem aus Syrien und dem Irak.

Elbe bereitet Sorgen

„Wir sind zufrieden mit dem Neustädter Hafen und dass wir in Dresden anlegen können“, sagt Tobias Heinemann. „Das Boot wird direkt am Wasser liegen, dort, wo Boote hingehören.“ Außerdem sei das Mahnmal noch fußläufig vom Zentrum aus zu erreichen. Nur eines klappt nicht: Die „Al-hadj Djumaa“ kann nicht über Saale und Elbe nach Dresden kommen. „Das Boot hat einen Tiefgang von 1,10 Meter, die Elbe ist derzeit aber nur 80 Zentimeter tief. Deshalb muss das Boot mit einem Tieflader nach Dresden transportiert werden.“

Ein Grund für den starken Tiefgang des nur zwölf mal vier Meter großen Bootes: Auf ihm befinden sich 80 Bronzefiguren. Sie zeigen Männer, Frauen und Kinder, eingehüllt in Decken und Tücher. Ihre Gesichter: mal ängstlich und ausgemergelt, mal völlig emotionslos in die Weite starrend. Die Skulpturen, die Asiaten, Afrikaner, Südamerikaner und Europäer widerspiegeln, stammen von dem dänischen Bildhauer Jens Galschiøt. Seine Botschaft: Flucht ist nicht nur das Problem eines Landes. „Ziel dieses sozial-kulturellen Projekts ist es, mit einem ’Hingucker‘ die Gelegenheit zu bieten, sich mit dem Flüchtlingsthema auf eine andere Weise als gewohnt auseinanderzusetzen“, so die Stiftung. Im Mittelmeer vor der Küste Italiens gehöre die Ankunft von Booten und Schiffen, überladen mit unzähligen flüchtenden Menschen, mittlerweile zum Alltag. Die Überfahrt sei immer lebensgefährlich und ein Ankommen ungewiss. Mit dieser Tatsache müsse man sich auseinandersetzen.

Das Boot mit seinen leblosen Passagieren verlässt Dresden am Donnerstag wieder. Dann geht es in Richtung Potsdam. Am 28. September soll das Boot seine letzte Station erreichen, Berlin. Am 30. September begeht Deutschland dann den Tag des Flüchtlings. In Dresden ist das Bootsprojekt eingebettet in die internationalen Wochen zu Frieden, Kultur und Stadt. Die dreiwöchige Reihe mit Konzerten, Gebeten und Kunstinstallationen startet am Sonntag.