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Kunstvolle Kacheln

In den traditionsreichen Fleischereien Heinze und Keller in Bautzen gibt es nicht nur Bockwurst, Hack und Lende. Die alten Wände aus Glas und Porzellan erinnern an eine bewegte Geschichte.

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© Robert Michalk

Bautzen. In den beiden traditionsreichen Fleischereien Heinze und Keller im Zentrum der Stadt Bautzen gibt es nicht nur Bockwurst, Hack und Lende. Die alten Wände aus Glas und Porzellan erinnern an eine bewegte Geschichte. Die Kunden blicken hier auf verzierte Fliesen und kunstvollen Deckenschmuck.

Einige Kacheln in der Fleischerei Heinze wurden im Krieg beschädigt. Jörg Börner würde sein Geschäft gern restaurieren, doch das ist sehr teuer.
Einige Kacheln in der Fleischerei Heinze wurden im Krieg beschädigt. Jörg Börner würde sein Geschäft gern restaurieren, doch das ist sehr teuer. © Robert Michalk

Das Interieur der Geschäfte stammt noch aus der Gründerzeit – und gibt ihnen bis heute ein besonderes Flair. Die SZ hat sich in den Läden umgeschaut und mit den Chefs der beiden Fleischereien gesprochen.

Fleischerei Keller: Wie beim Urgroßvater

Mit dem lateinischen Segensgruß „Salve“ wird der Kunde der Fleischerei Keller empfangen. Dieser ist in den Fußboden direkt am Eingang des Geschäftes eingelassen. Im Gegensatz zur restlichen Innendekoration nimmt sich der Spruch bescheiden aus. An den Wänden beeindrucken mit feinen Ornamenten dicht verzierte Fliesen. Nach oben blickt der Kunde auf eine bunt und gülden verzierte Glasdecke. In deren Mitte ranken sich goldene Blüten, Schmetterlinge flattern darüber.

„Um die Jahrhundertwende sind tolle Läden entstanden – mit Fliesen, Wandmalereien, Prunk und Schmuckelementen“, sagt Fleischermeister Thomas Keller. Sein Ururgroßvater Oswald Rossig hatte vor 140 Jahren das Haus in der Seminarstraße samt Laden erbauen lassen. Am 1. Oktober 1876 wurde die Fleischerei eröffnet. Oswald Rossig ließ sich die Einrichtung einiges kosten: Die Keramikplatten an den Wänden stammen von Villeroy & Boch. Oben an der Glasdecke setzen weiße Rosetten aus Meissner Porzellan Akzente zwischen den Glasquadraten. Früher gab es im Geschäft auch eine gemauerte Theke mit einer Arbeitsplatte aus Marmor. Der Ladentisch musste aber aufgrund geänderter Hygienevorschriften später abgerissen werden.

Die Verzierungen waren übrigens vor allem für das Auge des Kunden gedacht. Vor dem Ladentisch waren die Fliesen mit Ornamenten bemalt, dahinter blieben sie einfarbig. Es ist ein Glücksumstand, dass alles noch so gut erhalten ist. „Bautzen ist im Krieg mächtig bombardiert worden“, erzählt Thomas Keller. Das Hinterhaus hatte was abgekommen, dort gingen Fensterscheiben zu Bruch. Wie durch ein Wunder hatte die Einrichtung vorn im Laden alle Erschütterungen überstanden. Dass sein Geschäft heute noch so aussieht wie vor 140 Jahren, führt der Fleischermeister auch auf die Mangelwirtschaft in der DDR zurück. Weil es an Baumaterial fehlte, blieb eben alles beim Alten.

Thomas Keller ist in dem Haus an der Seminarstraße geboren und groß geworden. 1990 hat er das Geschäft von seinem Vater übernommen. So schön das Interieur ist, so kompliziert ist es auch. Viel zu riskant sei es, etwa die Deckenbeleuchtung zu versetzen, leicht könnte die Glasdecke Schaden nehmen. Trotzdem ist der Fortschritt an dem Betrieb nicht vorbeigegangen. „Unsere Produktion im hinteren Bereich ist modernisiert“, betont Keller.

Fleischerei Heinze: Ein Faible für Blumen

Um die Mittagszeit ist es bei der Fleischerei Heinze rappelvoll. Während sich die Warteschlange im Verkaufsraum bis zur Tür windet, kann man sich die Zeit vertreiben, in dem man botanische Kenntnisse auffrischt. Denn auf den hundertjährigen Kacheln sind zarte Blumen gemalt: Tulpen, Osterglocken, Alpenveilchen und Enzian. „Das ist ein Edelweiß“, sagt eine alte Dame und zeigt mit ihrem Finger auf die schmalblättrige Blüte.

Drei Fleischer-Generationen haben schon in dem Laden gearbeitet. Die Einrichtung von 1900 mit den gemusterten Wandkacheln und der filigranen Glasdecke hat sie alle überdauert. „Die Bodenfliesen wurden in freien Sand gelegt“, erklärt Jörg Börner, der die Fleischerei seit 2001 führt. Und so halten Fliesen bis heute.

Am 3. November 1900 hatte Herman Emil Stephan das Geschäft am Wendischen Graben in Bautzen eröffnet. Wie damals üblich, wurde die Inneneinrichtung komplett gefliest, auch die gemauerte Theke wurde mit gemusterten Kacheln verziert. Der Gründer hatte offensichtlich ein Faible für Blumen. So strahlt noch heute in kräftigen Farben ein Kranz aus Rosenblüten von der Mitte der Glasdecke herab.

Bei aller Schönheit, auf den zweiten Blick sieht man im Geschäft auch einige lädierte Ecken. „Im Zweiten Weltkrieg war hier Kampfgebiet“, erklärt Jörg Börner. Deutsche und Sowjets lieferten sich in Bautzen Häuserkämpfe. Die Kugeln pfiffen auch durch den Fleischerladen am Wendischen Graben. „Die Einschusslöcher wurden zugegipst“, sagt der Fleischermeister. Denn die Fliesen auszutauschen, ist extrem aufwendig. Es besteht das Risiko, dass intakte Flächen dabei zerstört werden. Das ist auch ein Grund, warum alte Fleischerhaken nicht einfach abmontiert werden. Zu groß ist die Gefahr, dass dabei Stücke der historischen Kacheln abplatzen.

Sicherlich wäre der Fleischermeister nicht abgeneigt, sein Geschäft zu restaurieren. Die Farben an der Glasdecke könnten aufgefrischt werden. Aber die Kosten sind für den mittelständischen Betrieb allein nicht zu stemmen. „Erneuern ist unbezahlbar“, so der Fleischermeister. Und nicht nur die Kacheln haben an der Wendischen Straße ein Jahrhundert überdauert. Wenn man bei Heinze eine Salami ordert, dann angelt die Verkäuferin sie mit dem Wursthaken herunter, den schon der Gründer vor 117 Jahren in der Hand hatte.