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Die Spur der Worte

Der türkische Bildhauer Hüseyin Arda lebt und arbeitet zurzeit in Dorfhain, bewegt Heidenau und vielleicht auch Freital.

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© Robert Michael

Von Birgit Grimm

Sein erstes Wort hieß Seele. Mit großem Mut ist er durch Deutschland gezogen. Seine Lust wurde gern gekauft. Die Liebe zur Berliner Kulturbrauerei ist von Dauer. Für ein Miteinander wirbt er in Heidenau. Einheit demonstriert er vor dem Deutschen Historischen Museum und zur Erinnerung fordert er am Deutschen Technikmuseum in Berlin auf: Hüseyin Arda legt eine Spur der Worte. In Berlin an der Oranienburger Straße baute er einst ein ganzes Buchstabenlabyrinth auf, eine begehbare Skulptur. Die Lettern sind immer aus Stahl. Jeder Buchstabe ist mehr als zwei Meter hoch, etwa 300 Kilogramm schwer und im Boden fest verankert. Arda hat die Schrift entworfen und fügt die Stahlteile selbst zusammen. Seine Assistentin, die Französin Emilie Gotmann, schweißt genauso gut wie er und hilft ihm dabei. In enger Nachbarschaft arbeiten sie zurzeit in einer Werkstatt in Dorfhain bei Tharandt.

Hüseyin Ardas 15 Meter langes „Miteinander“ steht in Heidenau. In 18 Sprachen wurde das Wort auf die Metallbuchstaben gesprüht.
Hüseyin Ardas 15 Meter langes „Miteinander“ steht in Heidenau. In 18 Sprachen wurde das Wort auf die Metallbuchstaben gesprüht. © dpa

Der Unternehmer Jens Jähnig, Spezialist für Bohrungen schwerster Art, Felssicherungen und Zaunbau, gibt den Künstlern Quartier. Das Betriebsgelände ist schon seit Jahren eine Open-Air-Galerie der technischen Art: Metallskulpturen aus Schrauben, Federn, Plättchen. Ein vier Meter großer Bohrmeister, der einem Mitarbeiter zum Verwechseln ähnlich sehen soll, steht zum Beispiel dort und ein Stier aus Metall. Der Stier ist das Wappentier der Firma und gewissermaßen auch das Symbol der Freundschaft von Arda und Jähnig.

Kennengelernt haben sich der Techniker und der Künstler im Berliner Kunsthaus Tacheles, das 1990 von Künstlern besetzt wurde und zwei Jahrzehnte Atelier-, Werkstatt- und Veranstaltungshaus war. Der Verkauf des Geländes und die Räumung des Tacheles wurden zum Politikum. 2012 war Arda einer der Letzten, der an die Utopie einer freien Künstlervereinigung glaubte und sich nicht aus der Oranienburger Straße vertreiben lassen wollte. Für kein Geld der Welt wollte er das Gesamtkunstwerk, das das Tacheles ja irgendwie geworden war, aufgeben. Die Atmosphäre dort war einzigartig und konnte an einem anderen Ort nicht einfach wiederhergestellt werden. Diese Sturheit hat Jens Jähnig mindestens ebenso beeindruckt wie die Kunst des Türken, der in Deutschland aufwuchs und ursprünglich Arzt werden wollte. In der Türkei hatte er in den 1980er-Jahren ein Medizinstudium begonnen, das er in Westberlin fortsetzen wollte. Dort verliebte er sich in eine Tänzerin, zeugte einen Sohn, erkannte seine wahre Begabung als Künstler und krempelte in der Wendezeit sein Leben um.

Die Utopie einer freien Künstlervereinigung lebt er nun auf andere Art weiter. Mithilfe von Jens Jähnig hat Hüseyin Arda seine Metallwerkstatt, einige seiner und Emilie Gotmanns Skulpturen aus Berlin nach Dorfhain verlagert. Permanent festsetzen will er sich dort nicht. Dorfhain ist eine Station seines mobilen Atelier-Projekts MAP. Das bringt Arbeit und Kunst an verschiedenen Orten der Welt zusammen. In Dorfhain schweißen die Künstler gerade an zwei Barbara-Figuren, die Jens Jähnig als Aushängeschild seiner Firma auf einer Tunnelbaumesse zeigen will. Die heilige Barbara ist die Schutzheilige der Bergleute und Symbol für die Wehr- und Standhaftigkeit im Glauben. Das passt. Zur Firma und zur Kunst von Hüseyin Arda.

In Istanbul und in Berlin gibt es weitere Standorte des MAP und weitere Wortskulpturen. „Die Wörter sind ein Projekt des MAP“, erklärt Arda. „Dabei ist die Wortfindung immer Teil des Prozesses. Wir fragen die Menschen an den Orten. Sie sollen darüber nachdenken, darüber diskutieren, was ihnen wichtig ist“, sagt der Künstler. Jens Jähnig und seine Kollegen entschieden sich für das Wort „Geokompetenz“. Es ist nicht zu übersehen, wenn man sich dem Firmengelände nähert. Auch dem Heidenauer „Miteinander“ ging ein längerer Prozess ganz ohne Wortfindungsschwierigkeiten voraus. 25 bis 30 Leute halfen mit, auch der Porzellankünstler Olaf Stoy und Mitglieder des Freitaler Kunstvereins waren dabei. Das Miteinander steht nicht als hohler Begriff in der Stadt. Es funktioniert. Bei der Einweihung machten Kinder und Erwachsene, Einheimische und Zugereiste die Buchstaben gemeinsam bunt. In achtzehn Sprachen sprühten sie „Miteinander“ auf die fünfzehn Meter lange Skulptur. Die Schablonen dafür wurden im Jugendklub geschnitten. „Heidenau hat das gut gemacht“, sagt Arda und bedankt sich beim Bürgermeister, den Behörden, den Bürgern und bei den Sponsoren.

Die Kunst der Kommunikation

Jähnig hatte das Geld für Material und Herstellung bei Geschäftspartnern und Kunden „eingesammelt“. Fünfundzwanzig hat er gefragt, die meisten sind dabei, jeder hat eine klare Ansage gemacht, dafür oder dagegen. Für Hüseyin Arda ist das in Ordnung: „Jeder soll selbst entscheiden, ob er sich an einem Kunstprojekt beteiligt oder nicht.“ Der 46-jährige Türke verbrachte die längste Zeit seines Lebens in Deutschland. „Fremdenfeindlichkeit war hier immer ein Thema. Als Kind bekam ich Angst und fühlte mich bedroht, wenn Deutsche nur über Gastarbeiter redeten. Aber inzwischen gibt es eine Gegenbewegung, eine Willkommenskultur.“ Dass die Asyldebatte jetzt so aggressiv geführt wird, missfällt ihm sehr: „Die Politiker sollten auch in ihrer Wortwahl mit gutem Beispiel vorangehen und Frieden stiften.“

Frieden könnte Freital guttun, meinen jene Wortfinder, die für Heidenau die richtige Wahl trafen. Das Angebot für die Skulptur steht, die Antwort der Stadt steht noch aus. Vielleicht sollte man die Freitaler direkt fragen, was ihnen wichtig ist?